Persönliche Gesundheit

Aphasie: Formen und Symptome

Einteilung und Merkmale verschiedener Aphasieformen

Eine erworbene Sprachstörung (Aphasie) tritt nach einer umschriebenen Hirnschädigung auf, in den meisten Fällen aufgrund eines Schlaganfalls. Je nachdem welcher Bereich des Gehirns betroffen ist, zeigen sich unterschiedliche und sehr individuelle Störungsmuster. Im klinischen Alltag bezieht man sich häufig auf eine Einteilung in globale Aphasie, Broca-Aphasie, Wernicke-Aphasie und amnestische Aphasie. In den allermeisten Fällen verändert und verbessert sich die Symptomatik im Krankheitsverlauf. Der Sprachverlust bedeutet keineswegs eine Denkstörung und ist nicht gleichbedeutend mit einem Verlust der Kommunikationsfähigkeit.

Inhaltsverzeichnis

Eine kurze Übersicht

Die Vielfalt der individuellen Störungsmuster bei einer Aphasie und das Auftreten von Misch- und Sonderformen führen dazu, dass es keine allgemeingültige Klassifikation gibt, die im klinischen Alltag uneingeschränkte Anwendung erfährt. Die umfassendste (aber dennoch grobe) Orientierung bietet die Klassifikation nach Poeck et al. (1989), die auch in der Praxis breite Anwendung findet. Diese Einteilung beruht auf Aphasien, die durch einen Schlaganfall verursacht wurden. Dabei werden 4 Syndrome unterschieden: die globale Aphasie, die Broca-Aphasie, die Wernicke-Aphasie und die amnestische Aphasie.

Folgende charakteristische Merkmale sind als Leitsymptome für die jeweiligen Formen, einer durch einen Hirninfarkt erworbenen Sprach- und Kommunikationsstörung, beschrieben und treten in ganz unterschiedlichem Maße bei den Erkrankten auf:

  • Globale Aphasie: Schwere Störungen aller Sprachmodalitäten (Sprechen, Verstehen, Lesen, Schreiben) und weitestgehend unverständliche oder fehlende Äußerungen.
  • Broca-Aphasie: Hauptstörung der motorischen Sprachfunktionen und der Sprachproduktion mit einer verlangsamten, unflüssigen, agrammatischen und telegrammstilartigen Sprache.
  • Wernicke-Aphasie: Störung des sensorischen Sprachzentrums mit einem eingeschränkten Sprachverständnis und einer flüssigen und überschießenden, aber oft unverständlichen Sprache.
  • Amnestische Aphasie: Wortfindungsstörung, die eine Kommunikation weitestgehend ermöglicht, aber ein stockendes, ungenaues und mühsames Sprachvermögen verursacht.

Da diese Klassifikation nur eine Tendenz der jeweiligen Ausprägung aufzeigt und mögliche Begleitsymptome kaum berücksichtigt, ist eine genaue individuelle Diagnostik des Störungsbilds unabdingbar, vor allem für eine angemessene Betrachtung der Behandlungsmöglichkeiten einer Aphasie. Dabei geht man davon aus, dass in den ersten vier bis sechs Wochen eine Akutphase vorliegt, in der die Syndrome noch starken Veränderungen unterliegen und weniger der typischen Einteilung entsprechen als zu einem späteren Zeitpunkt. Auch verbessert sich die Symptomatik in dieser Anfangsphase zumeist sehr viel deutlicher als in der postakuten Phase (ab sechs Wochen bis ein Jahr nach dem Ereignis) oder in der chronischen Phase (ab einem Jahr nach dem Ereignis).

Weiterhin gibt es Aphasien, die aufgrund von Tumoren, Verletzungen und Blutungen auftreten und weniger den beschriebenen Formen entsprechen. Auch gibt es Störungskombinationen, bei denen zur Aphasie beispielsweise neuropsychologische Störungen hinzukommen. Dies kann dazu führen, dass eine Aphasie nicht eindeutig erkannt wird oder Begleitsymptome wie Gedächtnis- und Konzentrationsschwächen oder Verwirrtheit irrtümlich einer Aphasie zugeschrieben werden. Weitere Besonderheiten sind bei Kindern und mehrsprachigen Menschen zu finden.

Globale Aphasie: Wenn alle Symptome zusammen kommen

Am stärksten eingeschränkt sind Menschen mit einer globalen Aphasie, da alle sprachlichen Fähigkeiten schwer gestört sind. Diese entsteht, wenn der Hauptstamm der mittleren Hirnarterie (Arteria cerebri media) von einem Schlaganfall betroffen ist und eine unterbrochene Blutversorgung in einem relativ großen Areal im Gehirn verursacht. Das Sprechen fehlt dann ganz oder ist unverständlich.

Vielfach treten Wiederholungen von Wörtern, Silben oder Lauten („tamtamtamtam“) auf oder es werden gleiche Floskeln und Redewendungen immer wieder benutzt („Ach, Mensch!“ und „oje, oje, oje“), die in der Fachwelt als Stereotypien und Sprachautomatismen bezeichnet werden. Betroffene können Wörter oder Lautfolgen nur unter großer Anstrengung hervorbringen und die Äußerungen ergeben für den Zuhörer meist keinen Sinn. In sehr schweren Fällen ist die Spontansprache komplett auf diese sogenannten recurring utterances reduziert. Eine Sonderform stellt die Monophasie dar, bei der die Betroffenen nur einzelne Wörter oder Bruchstücke von Sätzen wiedergeben können.

Auch das Verstehen ist bei der globalen Aphasie beeinträchtigt, sowie das Lesen und Schreiben. Letzteres betrifft nicht nur das freie Schreiben, sondern auch die Fähigkeit zum Abschreiben kann verloren gehen. Vielfach besteht somit – zumindest zeitweise und besonders im Anfangsstadium – eine immense Kommunikationsbehinderung. Hinzu kommt, dass vor allem zu Beginn das Bewusstsein für die sinnlosen Äußerungen fehlt. Betroffene hören nicht immer gleichzeitig was sie sagen. Und selbst wenn das Problem erkannt wird, bleibt das Sprachvermögen – auch unter großer Anstrengung den Ausdruck zu verbessern – in aller Regel stark beeinträchtigt. Manchmal kann sich die globale Aphasie im Verlauf bessern und in die Formen der Broca- oder Wernicke-Aphasie oder in andere Mischformen übergehen.

Broca-Aphasie: Vor allem eine Störung der Sprachproduktion

Ist bei einem Schlaganfall der Versorgungsbereich der Arteria praerolandica (Ast der Arteria cerebri media) betroffen, kommt es in der Regel zu Schäden im sogenannten Broca-Areal. Dies ist eine Region der Großhirnrinde, die sich meist auf der linken Hemisphäre befindet und nach deren Entdecker, dem französischen Chirurgen Paul Broca (1824–1880), benannt wurde. Dieses Hirnareal ist eine der beiden Hauptkomponenten des Sprachzentrums und übernimmt vorwiegend motorische Funktionen. Die sensorischen Funktionen sind der anderen Komponente zugeordnet und im sogenannten Wernicke-Areal verortet. Die von Broca definierte Sprachstörung ist der „motorischen Aphasie“ (eine andere gängige Einteilung) ähnlich, aber berücksichtigt noch eher die komplexen Zusammenhänge der Sprache.

Schäden im Bereich dieser motorischen Sprachregion wirken sich vor allem auf das Sprechen aus, während das Sprachverständnis weitgehend erhalten bleibt. Die Sprache ist verlangsamt, unflüssig, agrammatisch und telegrammstilartig. Es werden zumeist nur kurze Sätze gebildet, bei denen die Verben nicht konjugiert sind und Artikel, Präpositionen und andere Funktionswörter fehlen (zum Beispiel „Junge Schule“ anstatt „Der Junge geht zur Schule“). Typisch ist eine Spontansprache, die nur unter großer Anstrengung und mit vielen Pausen einzelne Wörter und Teilsätze hervorbringt. Insgesamt wirkt der Wortschatz eingeschränkt und der reduzierte, roboterartige Redestil macht es schwer, neben den Inhalten auch die transportierten Gefühle des Sprechenden auszumachen. Im Gegensatz dazu nehmen Aphasiker selbst die Intonation und die Gestik sowie die Mimik ihrer Gesprächspartner sehr gut wahr und erkennen schnell und sicher Inhalte der nonverbalen Kommunikation.

Weiterhin kommt es zu Lautverwechslungen innerhalb der Wörter (phonematische Paraphasien, etwa „Beilstift“ zu „Bleistift“) und teilweise zur Verwendung bedeutungsähnlicher Wörter (semantische Paraphasien, beispielsweise. „Bleistift“ zu „Kugelschreiber“). Kommt eine Dysarthrie hinzu, ist die Lautsprache noch stärker beeinträchtigt und wirkt undeutlich oder einige Laute können gar nicht mehr gebildet werden.

Das Schreiben ist meist in gleicher Weise beeinträchtigt wie das Sprechen. Dahingegen sind das Sprachverständnis und das Lesen häufig nur wenig gestört. In schwerwiegenderen Fällen können Betroffene aber auch große Schwierigkeiten haben, Gespräche zu verfolgen und ihren Gesprächspartner vollständig zu verstehen. Das ist unter anderem häufig durch eine Verlangsamung der Sprachverarbeitung begründet, was zu mehr Problemen beim Zuhören als beim Lesen führt.

Die Entwicklung dieser Sprachstörung ist sehr individuell und hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Im günstigen Fall kann die Broca-Aphasie zu einer amnestischen Aphasie übergehen und sich allmählich dem ursprünglichen Sprachverhalten wieder angleichen.

Wernicke-Aphasie: Ein eingeschränktes Sprachverständnis

Ist das sensorische Sprachzentrum aufgrund eines Schlaganfalls betroffen, ist dies durch eine Unterversorgung im Bereich der Arteria temporalis posterior begründet, der im hinteren Abschnitt der ersten Schläfenwindung liegt. Der deutsche Neurologe Carl Wernicke (1848–1905) beschrieb erstmals das hier lokalisierte und später nach ihm benannte Wernicke-Areal. Dieser Bereich findet sich nur in der dominanten Hemisphäre, in welcher die Sprache sowohl motorisch als auch sensorisch verarbeitet wird. Bei Rechtshändern ist dies normalerweise links, bei Linkshändern links oder rechts. Früher wurde auch der Begriff „sensorische Aphasie“ für diese Form der Sprachstörung verwendet.

Die Symptome beziehen sich vor allem auf das Sprachverständnis und die Eigenwahrnehmung. Im Gegensatz zur Broca-Aphasie haben Betroffene eine flüssige und eher überschießende Sprache, die aber Wörter oftmals falsch einsetzt, lautlich entstellt und fehlerhaft ineinander verschachtelt, so dass sinnlos anmutende Sätze und Satzteile entstehen (Paragrammatismus). Oftmals laufen die gebildeten Sätze ins Leere und vielfach kommt es zu Wortverwechslungen und sogar zur Neubildung von Wörtern (Neologismen, zum Beispiel „Lernhaus“ für „Schule“).

Der Begriff „Wernicke-Jargon“ oder „Jargon-Aphasie“ beschreibt die schwerste Ausprägung dieser Form, bei der fast nur noch Wortersetzungen genutzt werden, die den eigentlichen Inhalt des Gesagten nicht mehr erkennen lassen. Es besteht die Gefahr, dass diese Jargonaphasiker fälschlicherweise für psychisch gestört oder geistig verwirrt gehalten werden.

Nicht selten ist ein anhaltender Redefluss (Logorrhö) kaum zu unterbrechen. Das scheint damit verbunden zu sein, dass den Erkrankten pausenlos Satzteile und Wörter durch den Kopf schwirren, die ausgesprochen werden müssen. Dies erschwert es den Erkrankten, sich auf Gesprächspartner einzustellen und zuzuhören. So können Wernicke-Aphasiker häufig nicht verstehen, was andere Ihnen sagen. Oftmals ist bei den Betroffenen aber auch die Selbstwahrnehmung gestört. Sie hören dann nicht, dass sie unverständlich sprechen oder was sie sagen, sondern hören was sie denken und sagen wollen.

Aufgrund der Verständnisprobleme und der gestörten Eigenwahrnehmung ist der zwischenmenschliche Umgang häufig schwerer als bei anderen Ausprägungen. Aber auch, wenn sich die Betroffenen inhaltlich kaum verständlich machen können, werden durchaus Stimmung und Intention des Sprechers deutlich. Die transportierende Satzmelodie und Betonung bleibt in der Regel erhalten.

Auch die Lese- und Schreibfertigkeiten sind gleichermaßen betroffen, wobei vor allem das Lesen durch das gestörten Sprachverständnis in Mitleidenschaft gezogen ist. Oftmals verbessert sich die Schriftsprache schneller, so dass häufig Schreiben und Lesen den Therapieeinstieg darstellen.

Wie auch bei der Broca-Aphasie, können günstige Entwicklungen einen Übergang zur amnestischen Aphasie ermöglichen und allmählich zu einem normalen Sprachverhalten zurückführen.

Amnestische Aphasie: Mangelnder Zugriff auf den eigenen Wortschatz

Diese leichteste Form einer aphasischen Störung kann nicht wie die anderen Formen der Schädigung einer bestimmten Hirnregion zugeordnet werden. Hierbei führen unterschiedliche Ursachen vorrangig zu einer Wortfindungsstörung, die bei den Störungsmustern anderer Aphasien auch auftritt. Typischerweise kommen Betroffene ins Stocken, wenn sie etwas Bestimmtes sagen wollen. Laut- und Wortverwechslungen treten weniger und meist im Zusammenhang mit dem Suchen eines bestimmten Wortes auf.

Bei der amnestischen Aphasie können Ersatzstrategien die Kommunikation erleichtern, wie beispielsweise das Umschreiben und Erfragen von Wörtern oder das Wiederholen von Worten der Gesprächspartner. Die Kommunikationsfähigkeit bleibt den Betroffenen weitestgehend erhalten. Trotz eines annähernd normalen Sprachvermögens wirken die Äußerungen aber oft umständlich, ungenau, strukturlos und mühsam. Auch die Schreibkompetenz ist durch die Wortfindungsstörung beeinträchtigt. Das Lesen und Verstehen sind hingegen kaum gestört.

Bei dieser vergleichsweise leichten Symptomatik leiden die Aphasiker aber nicht weniger unter den sprachlichen Ausfällen. Einfache Tätigkeiten im Beruf und im Privatleben wie Telefonate und Einkäufe können zu großen Hürden im Alltag werden und die Betroffenen in befremdliche und unangenehme Situationen bringen.

Begleitsymptome

Zusammen mit einer Aphasie treten auch häufig andere Begleitsstörungen auf. Typische Symptome sind vor allem folgende Beeinträchtigungen:

  • Dysarthrie: Störung der Steuerung und Koordination von Sprechbewegungen,
  • Apraxie: Störung in der Planung von Bewegungsabläufen (häufige Beeinträchtigung des Sprechapparats, der Mund- und Gesichtsmuskeln und der Gliedmaßen),
  • Störung des verbalen Lernens und der verbalen Merkfähigkeit,
  • Konzentrationsstörungen,
  • Perseverationen (unbeabsichtigte Wiederholungen bei Sprache und nichtsprachlichen Handlungen),
  • Lähmungen und Gesichtsfeldausfall.

Dies alles erschwert die Kommunikationsfähigkeit eines Aphasikers noch weiter und manchmal sind die Störungsbilder schwierig voneinander abzugrenzen (vor allem bei einer Apraxie und Dysarthrie). Dennoch ist es wichtig, dass alle Störungen entsprechend behandelt werden. (jvs, cs)

Literatur:
Lutz, L. (2010): Das Schweigen Verstehen – Über Aphasie. 4. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg.
Masuhr, K. F. & Neumann, M. (2007): Neurologie. 5. Auflage, Thieme, Stuttgart.

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