Die gute alte Grippe hat es nicht leicht. Seit Sars-CoV-2 zirkuliert, spielt sie kaum noch eine Rolle. Im vergangenen Winter steckten sich so wenige Menschen mit Influenzaviren an, wie in Deutschland noch nie seit Aufzeichnung der Daten. Die Grippewelle fiel nahezu komplett aus, ein Nebeneffekt der Corona-Maßnahmen, von Lockdowns, Maskenpflicht, Abstands- und Hygienemaßnahmen. In diesem Winter aber scheint die Lage eine andere zu sein. Experten sprechen von einer möglichen Rückkehr der Grippe und warnen gleich vor mehreren Problemen.
Die Grippesaison beginnt normalerweise Anfang Oktober und geht bis Mitte Mai. Auch aktuell zirkulieren die Viren. Auf den ersten Blick sind die Infektionszahlen aber wenig alarmierend. Laut Daten der EU-Gesundheitsbehörde ECDC und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mussten in der letzten Woche des Jahres 2021 gerade einmal 43 Menschen aufgrund einer schweren Grippe-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt werden – in ganz Europa. Dabei handelt es sich zwar um einen Anstieg, im gesamten Dezember 2020 gab es nur einen schweren Grippefall auf einer Intensivstation; doch im gleichen Zeitraum 2018, also vor der Pandemie, waren es noch mehr als 400 pro Woche.
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Schwere Grippewelle befürchtet
Für Deutschland meldete das Robert Koch-Institut (RKI) in der ersten Woche des Jahres 151 bestätigte Influenzafälle. Im Vorjahreszeitraum gab es keinen einzigen. Das RKI schreibt in Bezug auf die aktuelle Entwicklung von einem Anstieg, noch sei dieser aber zu gering, um von einer beginnenden Grippewelle zu sprechen. Doch trotz der aktuell niedrigen Zahlen warnen Experten davor, die Grippe-Gefahr zu unterschätzen. Die Influenza sei nicht verschwunden, sagt der Leiter der Krankenhaus-Hygiene am Universitätsklinikum Eppendorf, Johannes Knobloch. Vielmehr sei sie durch die geltenden Corona-Maßnahmen in Zaum gehalten worden.
Mehrere Experten fürchten, dass die nächste schwere Welle bereits abzusehen ist. Vorstellbar sei das, so Knobloch, nach dem Ende der Corona-Pandemie und der Maskenpflicht. Jana Husemann, Vorsitzende des Hausärzteverbands Hamburg, befürchtet eine solche im kommenden Jahr. Betroffen könnten dann unter anderem Kinder sein, "die noch wenig bis gar keinen Kontakt zu Grippeviren hatten".
Lange Grippesaison
Die Experten des ECDC müssen nicht so weit in die Zukunft blicken. Geht es nach ihnen, könnte das Influenzavirus bereits in den kommenden Wochen und Monaten erhebliche Probleme verursachen. In dem Bericht ist gar von einer möglichen Gefahr einer "Zwillingsepidemie" die Rede, welche die bereits überlasteten Gesundheitssysteme übermäßig unter Druck setzen könnte. So deuten Zahlen aus dem Nachbarland Frankreich daraufhin, dass drei Regionen, dazu zählt Paris, vor einer Grippe-Epidemie stünden, weitere seien auf dem Weg dorthin, so das französische Gesundheitsministerium in der vergangenen Woche. Demnach erkrankten in Frankreich in der laufenden Saison bereits 72 Menschen schwer an der Grippe, sechs starben an den Folgen der Infektion.
Außerdem fürchten die ECDC-Experten, dass der aktuelle Anstieg der Fallzahlen ein Vorgeschmack auf die Rückkehr des Influenzavirus sein könnte. Der mögliche Beginn, wie Pasi Penttinen von der Behörde gegenüber "Reuters" sagte, von einer ungewöhnlich langen Grippesaison, die bis in den Sommer andauern könnte. "Wenn wir damit beginnen, alle Maßnahmen aufzuheben, ist die große Sorge, die ich in Bezug auf die Grippe habe, dass wir vielleicht von den normalen saisonalen Mustern abweichen werden, weil wir eine so lange Zeit hatten, in der das Virus in der europäischen Bevölkerung fast nicht zirkulierte", sagte er. Vor der Pandemie setzte die jährliche Grippewelle laut Robert Koch-Institut meist im Januar an und dauerte drei bis vier Monate.
Eine Möglichkeit sich gegen eine schwere Grippe-Erkrankung zu schützen, ist die Impfung. 27 Millionen Impfstoffdosen wurden, das gab der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn damals bekannt, zu Beginn der Saison zur Verfügung gestellt. Das sind noch einmal fünf Millionen Dosen mehr als 2020 verimpft wurden. Wie gut das aktuelle Vakzin wirkt, wird sich allerdings erst nach der Saison zeigen. Da die Impfstoffe jährlich angepasst werden, variiert die Schutzwirkung. Das erklärt sich vor allem dadurch, dass zum Produktionszeitpunkt nicht hundertprozentig klar ist, welche Viruslinien vorherrschend sein werden. Erschwert wird diese Arbeit derzeit durch die geringen Infektionsfälle und die damit zusammenhängende überschaubare Datenmenge, anhand derer die Entscheidung zur Impfstoffzusammensetzung fällt.
Quelle: ECDC, RKI, WHO, Reuters, dpa
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