Kann einem Menschen Schmerzensgeld zustehen, weil ein Arzt sein Leiden unnötig verlängert hat? Nein, urteilte nun der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Ärzte haften demnach grundsätzlich nicht mit Geld, wenn sie einen Patienten zum Beispiel durch künstliche Ernährung länger als medizinisch sinnvoll am Leben erhalten und damit sein Leiden verlängern.
Weiterleben ist kein Schaden
Es verbiete sich generell, ein Weiterleben als Schaden anzusehen, argumentierten die Richter. Eine Klage auf Schmerzensgeld und materiellen Schadenersatz wiesen sie deshalb ab (Aktenzeichen VI ZR 13/18).
In dem Fall ging es um einen Mann, der 2011 mit 82 Jahren gestorben war. Laut seinem Sohn Heinz Sening konnte er in den letzten zwei Jahren seines Lebens nicht mehr sprechen und lag bewegungsunfähig im Bett. Eine Magensonde hielt den Patienten künstlich am Leben. Die Behandlung sei eine sinnlose Quälerei gewesen, kritisiert dessen Sohn Sening. Der behandelnde Arzt hätte seinen Vater sterben lassen müssen. Was der Patient selbst gewollt hätte, ist unklar. Eine Patientenverfügung lag nicht vor.
Kläger Heinz Sening
Sening klagte deshalb auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Insgesamt forderte er 152.000 Euro wegen „fortgesetzter Körperverletzung“ und der dadurch entstandenen Pflegekosten. Mit dem Tod des Vaters hatte Sening auch dessen Ansprüche auf Schmerzensgeld geerbt. Das BGH wies seine Forderung nur aber zurück.
Das Oberlandesgericht München hatte Sening zunächst recht gegeben und ihm 40.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die Sondenernährung diente zumindest in den letzten knapp zwei Jahren der reinen Lebenserhaltung, entschieden die Richter damals. Der Hausarzt sei zwar nicht verpflichtet gewesen, die Behandlung selbst abzubrechen, hieß es in dem Urteil. Er hätte aber den Betreuer ansprechen und mit diesem sehr gründlich erörtern müssen, ob die 2006 gelegte Magensonde bleiben soll oder nicht. Weil der Sohn in den USA lebt, betreute damals ein Rechtsanwalt den Demenzkranken.
Sowohl Sening als auch der Hausarzt gingen in Revision, deshalb verhandelte nun der Bundesgerichtshof als oberstes Zivilgericht. Die Vorsitzende Richterin Vera von Pentz sagte, es sei fraglich, ob der Arzt Pflichten verletzt habe. „Das Urteil über den Wert eines Lebens steht keinem Dritten zu“, sagte sie. Es fehle deshalb schon an einem immateriellen Schaden, der Schmerzensgeld-Ansprüche auslösen könnte.
In den ärztlichen Grundsätzen zur Sterbebegleitung heißt es: „Bei Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden, aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit sterben werden, ist eine Änderung des Behandlungszieles geboten, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden oder die Änderung des Behandlungszieles dem Willen des Patienten entspricht.“
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz rät, rechtzeitig vorzusorgen und für Situationen wie Wachkoma, Organversagen oder eben Demenz präzise Behandlungsanweisungen niederzuschreiben. „So wird die Selbstbestimmung bis zum Tod gesichert“, sagt Vorstand Eugen Brysch. „Hätte eine Patientenverfügung vorgelegen, wäre der Prozess überflüssig.“ Nach seinen Erfahrungen hat bei den Ärzten ein Umdenken eingesetzt, Übertherapie komme immer seltener vor.
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