Persönliche Gesundheit

Nutzt China weiterhin Organe von Hingerichteten?

Zwei internationale medizinische Fachzeitschriften haben sich entschlossen, Publikationen über Organtransplantationen in China zurückzunehmen. Wie mehrere Fachmedien berichten, haben die Magazine „Transplantation“ und „Plos One“ insgesamt 15 Studien zurückgezogen, die sich mutmaßlich auf die Verwendung von Organen exekutierter Strafgefangener bezogen haben.

Hintergrund sind die Recherchen eines Forscherteams der Fachzeitschrift „The BMJ“, das 445 Studien untersucht hatte, die zwischen 2000 und 2017 erschienen waren. Dabei ging es um insgesamt 85.477 Transplantationen. Den Ergebnissen zufolge haben die chinesischen Autoren in 412 Studien nicht genannt, ob die Organe von hingerichteten Gefangenen verwendet wurden.

Organraub von Exekutierten – in China lange gängige Praxis

In China werden laut Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International mehrere Tausend Menschen pro Jahr hingerichtet – mehr als im Rest der Welt zusammen. Genaue Zahlen gibt es nicht, da China seine Exekutionen als Staatsgeheimnis einstuft.

Die Verwendung von Organen hingerichteter Menschen war dort bis vor wenigen Jahren gängige Praxis. 2009 wurde bekannt, dass 65 Prozent aller Spenderorgane in China aus dem Todestrakt stammen. Experten zufolge könnte die Dunkelziffer damals sogar 90 Prozent betragen haben.

2012 kündigte die chinesische Regierung an, die Entnahme der Organe von hingerichteten Gefangenen beenden zu wollen. Mehr als zwei Jahre später reagierte der Leiter des Transplantationskommitees und Vizegesundheitsminister Huang Jiefu auf die Kritik von Menschenrechtsorganisationen und gab bekannt, dass die Praxis ab 2015 nicht mehr stattfinden solle – außer Gefangene würden sich freiwillig als Organspender zur Verfügung stellen. Kritiker bemängeln, dass die Gefangenschaft in der Todeszelle die Entscheidungskraft der Häftlinge beeinflusst und diese ihre Einwilligung zur Organspende daher nicht aus freiem Willen geben können.

Die Resultate der BMJ-Studie weisen nun darauf hin, dass weiterhin ein Großteil der Spenderorgane von Exekutierten stammen. In 439 Studien sei nicht angegeben worden, ob die Organspender der Transplantation zugestimmt hätten, hieß es in den Rechercheergebnissen. In 324 Publikationen sei die Zustimmung einer Ethikkommission angeführt worden. In 19 Studien seien Daten von 2688 Transplantationen vor 2010 verwendet worden, als es in China nur rund 120 freiwillige Organspender gegeben habe.

Die Ergebnisse stellen die Wissenschaftler vor ein ethisches Dilemma. Denn chinesische Autoren publizieren häufig in internationalen Journals. Die Redaktionen von „Transplantation“ und „Plos One“ überprüften infolge der Recherchen ihre Veröffentlichungen und entschlossen sich, sieben beziehungsweise acht fragwürdige Studien chinesischer Autoren zurückzunehmen. In zwei der Publikationen ging es um Forschungsergebnisse bezüglich Nierentransplantationen, im Rest um Lebertransplantationen.

„China hat erneut gegen westliche Werte verstoßen“

„Wissen, das einmal in der Welt ist, kann man nicht mehr vollständig zurücknehmen“, sagte Urban Wiesing vom Tübinger Institut für Ethik und Geschichte der Medizin dem SPIEGEL. „Dann muss man sich mit der Frage auseinandersetzen, was man mit diesen ethisch fragwürdig erworbenen Erkenntnissen macht.“

Man könne bei den Studien entweder kennzeichnen, dass sie mit Methoden durchgeführt wurden, die sich nicht mit Menschenrechten vereinbaren lassen. Oder man könne sie eben zurückziehen: „Das führt dann aber zu dem Dilemma, dass die Forschungsergebnisse ja vielleicht auch Menschen helfen könnten.“ Das sei vom Prinzip eine ähnliche Fragestellung wie bei den Forschungen an KZ-Insassen in der NS-Zeit.

Um welche Forschungserkenntnisse es sich bei den zurückgezogenen Studien handelte und inwiefern diese sich um bahnbrechende medizinische Erkenntnisse gehandelt haben könnten, ist unklar.

Zur Begründung, die Publikationen zurückgezogen zu haben, schrieb „Transplantation“: Es sei eine „inakzeptable Praxis, die Organe hingerichteter Menschen zu benutzen“ und dürfe keine Grundlage für wissenschaftliche Forschung sein. Ethische Richtlinien seien mutmaßlich gebrochen worden. Die Redaktion habe insgesamt 13 Artikel chinesischer Autoren veröffentlicht. In sieben Fällen sei die Herkunft der Spenderorgane fragwürdig gewesen: „Entweder die Autoren haben nicht auf unsere Anfrage geantwortet oder sie konnten die Herkunft der in der Studie erwähnten Organe nicht belegen“, heißt es in dem Statement.

Ähnlich äußerte sich auch „Plos One“: Die Autoren hätten keine Einverständniserklärungen der Spender vorlegen können. Internationale ethische Standards erforderten jedoch Transparenz bei Organspenderprogrammen und klare Einwilligungsverfahren. Aufgrund der Bedenken bezüglich der Herkunft der Spenderorgane ziehe „Plos One“ die betroffenen Artikel zurück.

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