Schwere Gerinnungsstörungen bei COVID-19 möglich
Derzeit sind in mehreren Ländern Europas die Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 mit dem Impfstoff von AstraZeneca wegen Thrombose-Fällen ausgesetzt. Es ist allerdings noch nicht klar, ob überhaupt ein Zusammenhang mit der Verabreichung des Vakzins besteht. Bekannt ist jedoch, dass eine COVID-19-Erkrankung mit einem erhöhten Risiko für Thrombosen einhergeht. Forschende haben nun eine mögliche Ursache für die gefährliche Aktivierung der Blutgerinnung gefunden.
Zu Beginn der Pandemie wurde das Coronavirus SARS-CoV-2 häufig als Atemwegsvirus bezeichnet. Doch schon bald stellte sich heraus, dass der neue Erreger auch andere Organe des Körpers befällt. Auffällig war schnell, dass es bei relativ vielen an COVID-19 Erkrankten zu Thrombosen kommt. Jetzt gibt es dazu neue Erkenntnisse.
Häufige Thrombosebildung bei Corona-Erkrankten
Bereits in der ersten Corona-Pandemiewelle kam es bei COVID-19-Erkrankten mit einem schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf zu schweren Störungen des Gerinnungssystems mit Komplikationen wie tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien bis hin zu Organversagen und Tod.
Laut einer beim idw – Informationsdienst Wissenschaft veröffentlichten Mitteilung der Deutschen Herzstiftung schätzen Fachleute, dass rund 20 Prozent der COVID-19-Patientinnen und -Patienten als Begleiterkrankung schwere Gerinnungsstörungen mit der Folge venöser Thromboembolien aufweisen.
Den Grund für die häufige Thrombosebildung bei Corona-Erkrankten vermuten Medizinerinnen und Mediziner in einer übermäßigen Gerinnbarkeit des Blutes, der Hyperkoagulation, die sie auf eine Entzündungsreaktion im Zuge der COVID-19-Erkrankung zurückführen. Diese Gefäßverschlüsse können auch zu Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall führen.
Eine gesteigerte Aktivierung des Gerinnungssystems bei COVID-19-Betroffenen beginnt in aller Regel vier Tage nach stationärer Aufnahme, wie Forschende am Tübinger Universitätsklinikum berichten.
„In Blutanalysen von intensivpflichtigen Patienten mit schwerer Covid-19-Infektion haben wir gesehen, dass bei ihnen die Blutgerinnselbildung kürzere Zeit benötigt und die Gerinnungsfaktoren stärker aktiviert werden als bei anderen stationären Patienten“, erläutert Prof. Dr. med. Tamam Bakchoul, Ärztlicher Direktor des Instituts für Klinische und Experimentelle Transfusionsmedizin (IKET) am Universitätsklinikum Tübingen im Forschungs-Videobeitrag der Herzstiftung auf YouTube.
Konkreten Therapieansätzen nähergekommen
Im Rahmen des von der Deutschen Herzstiftung geförderten Forschungsvorhabens „Tübinger Studie zur Gerinnungsstörung bei Covid-19-Patienten“ haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Bakchoul und seinen Kollegen Prof. Dr. med. Peter Rosenberger, Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin in Tübingen mehr Klarheit in die Krankheitsmechanismen von Veränderungen im Gerinnungssystem schwer COVID-19-Erkrankter, die zu den Komplikationen führen, bringen können.
Die Forschenden sind auch konkreten Therapieansätzen zum Schutz vor Thromboembolien nähergekommen. „Standardtherapien mit Blutverdünnern wie Acetylsalicylsäure, kurz ASS, alleine können diesen prothrombotischen Zustand bei intensivpflichtigen Covid-19-Patienten nicht hemmen“, erklärt Gerinnungsexperte Bakchoul.
Die Forscherinnen und Forscher sind im renommierten Fachjournal „Blood“ unter anderem zu dem Ergebnis gekommen, dass SARS-CoV-2-Viren die Thrombozyten mindestens über einen indirekten Weg im Blut der Patientinnen und Patienten aktivieren.
„Dieser indirekte Weg geht über die Antikörper, die im Zuge einer massiven Immunantwort auf SARS-CoV-2 in viel zu hoher Zahl freigesetzt werden. Diese binden nicht an das Coronavirus, sondern an die Blutplättchen und aktivieren sie“, sagt Bakchoul.
Die Forschungsergebnisse der Tübinger Medizinerinnen und Mediziner sind insbesondere für Menschen mit Herz- und Gefäßleiden, die per se ein erhöhtes thromboembolisches Risiko aufweisen, von enormer Bedeutung.
„Die Erkenntnisse der Tübinger Mediziner könnten dazu beitragen, Risikogruppen bei Covid-19-Erkrankung etwa durch Thromboseprophylaxe frühzeitig vor Komplikationen besser zu schützen“, so der Kardiologe und Intensivmediziner Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.
Risiko bei stationären Erkrankten besonders erhöht
Bei stationären COVID-19-Patientinnen und -Patienten ist das Risiko für Thrombosen besonders erhöht, da beim dauerhaften Liegen das Blut in den Gefäßen langsamer fließt. Und bei den kardiovaskulär vorerkrankten COVID-19-Betroffenen sind Gefäße zum Teil vorgeschädigt.
„Allein dadurch überwiegt der Anteil der prothrombotischen Faktoren gegenüber den antithrombotischen“, sagt Bakchoul. Das Tübinger Forschungsteam untersuchte bestimmte Laborwerte, darunter Thrombose-Marker wie das D-Dimer, das gebildet wird, wenn sich in den Blutgefäßen Gerinnsel gebildet haben und bei der körpereigenen Auflösung von Blutgerinnseln.
Zudem untersuchten sie Marker für den Zelltod von Blutplättchen. Dazu analysierten sie Blut von 21 intensivpflichtigen (ICU) COVID-19-Erkrankten und verglichen die Proben mit dem Blut von 18 Gesunden in der Kontrollgruppe und vier nicht-intensivpflichtigen COVID-19-Betroffenen.
Im Ergebnis zeigte sich insbesondere, dass durch den Antikörper-vermittelten Zelltod von Blutplättchen im Blut von ICU-COVID-19-Patientinnen und -Patienten deren thromboembolisches Risiko erhöht ist.
Antikörper richten sich auch gegen Blutplättchen
Die Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen im Rahmen ihrer Untersuchungen auch fest, dass bei schweren COVID-19-Verläufen das Immunsystem der Erkrankten mit einer überschießenden Immunantwort (Zytokinsturm) auf das Entzündungsgeschehen reagiert (Thrombo-Inflammation): der Körper produziert unkontrolliert Abwehrstoffe (Antikörper) gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Viele dieser Antikörper sind ohne klare Bindungsstelle.
„Wir vermuten, dass Antikörper eine ähnliche Bindungsstelle an die Oberfläche von Thrombozyten wie an die Oberfläche von SARS-CoV-2-Viren haben.“ Wenn die Antikörper an die Blutplättchen binden, lösen sie dort komplexe Veränderungen aus, so dass es bei einem Teil der Blutplättchen zum Zelltod (Apoptose) kommt.
Beim anderen Teil verändern die Thrombozyten ihre Zelloberfläche so, dass sie gerinnungsfördernde Faktoren freisetzen und Thrombosen fördern. „Je stärker also die Immunreaktion auf SARS-CoV-2 ausfällt, desto höher ist das Risiko der Thrombozyten-Aktivierung“, erläutert Bakchoul.
Prophylaktische Behandlung
„Mit unseren Erkenntnissen erhoffen wir uns, neue therapeutische Optionen bei der Prävention von thromboembolischen Ereignissen besonders bei den intensivpflichtigen Patienten aufzuzeigen“, so Prof. Dr. Tamam Bakchoul laut einer Mitteilung.
Die Forschenden bauen dabei auf bereits für andere Erkrankungen zugelassenen Substanzen auf, mit denen sich die Freisetzung von Blutplättchen und dadurch die COVID-19-vermittelte Gerinnungsaktivierung unterbinden lassen.
„Unser Ziel ist es, Covid-19-Patienten bereits auf der Normalstation auf Gerinnungsparameter und Thrombozytenmarker zu untersuchen und mit entsprechender Dosierung prophylaktisch mit gerinnungshemmenden Medikamenten zu behandeln.“ (ad)
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