Ab 1. Mai fällt eine weitere große Beschränkung: die Isolations- und Qurantänepflicht. Infizierte müssen sich dann nicht mehr absondern – auch Kontaktpersonen müssen nicht in Quarantäne. Bei vielen Experten stößt dieser Vorstoß auf Unverständnis.
Zur Abschaffung der Maskenpflicht und zahlreicher anderer Maßnahmen kommt bald noch eine weitere Lockerung hinzu: Ab 1. Mail soll die Isolationspflicht für Infizierte und die Quarantäne für Kontaktpersonen fallen. Das verkündete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Montag.
Infizierte müssen dann künftig nicht mehr verpflichtend in Isolierung – auch wenn diese weiterhin dringend für mindestens fünf Tage empfohlen wird. Eine Anordnung des Gesundheitsamts, die es schon jetzt häufig nicht mehr gibt, falle aber weg. Strengere Vorgaben sollen dann nur noch für Beschäftigte in Gesundheitswesen und Pflege bleiben, die sich infiziert haben.
Immunologe Watzl – paradoxe Entscheidung, die zu mehr Personalausfällen führt
Doch was bedeutet dies für die Pandemie, wenn sich Positive nur noch auf Freiwilligenbasis isolieren? Viele Experten und Mediziner kritisieren diesen Schritt. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, hält den Vorstoß für eine paradoxe Entscheidung. Statt wie erhofft Personalausfälle zu vermeiden, würden vermehrt infizierte Personen zur Arbeit kommen und andere anstecken. „Die Anzahl der Infektionen wird also steigen. Damit wird aber auch die Anzahl der Erkrankungen steigen, mit der dann wieder Personal ausfällt“, sagte der Immunologe.
Watzl zeigt sich besorgt, dass nun eine falsche Nachricht bei vielen Menschen ankäme: Nämlich, dass man einer Infektion weiter am öffentlichen Leben teilnehmen könne. Die dringende Empfehlung, sich fünf Tage zu isolieren, könne untergehen.
„Ich hatte mir eigentlich erhofft, dass wir durch die Corona-Pandemie gelernt hätten, dass es nicht okay ist, wenn man mit einer ansteckenden Erkrankung weiter zur Arbeit kommt“, sagte Watzl. So eine falsche Verhaltensweise werde jetzt wieder unterstützt, die Entscheidung gehe daher in die falsche Richtung.
Epidemiologe Timo Ulrichs – Lockerungen könnten Frühlingseffekt zunichte machen
Kritisch sieht die Maßnahme auch der Berliner Epidemiologe Timo Ulrichs. Gerade die Isolation von Infizierten sollte weiterhin beibehalten werden, um die Weitergabe einer Infektion zu verhindern. „Die Abschaffung der Quarantäne von Kontaktpersonen, bei denen man gar nicht weiß, ob sie sich infiziert haben, ist noch einigermaßen zu vertreten“, sagte er gegenüber FOCUS Online.
Dass die Maßnahmen in Summe zu einem starken Anstieg der Infektionen führen könnte, hält er durchaus für möglich. „Es könnte sein, dass die Zahlen wegen des Frühlingseffekts weiter nach unten gehen, obwohl wir lockern“, so Ulrichs. „Es könnte aber genauso sein, dass die Lockerungen in Summe zu einem erneuten starken Anstieg der Infektionen führen und so den Frühlingseffekt zunichte machen“, erläutert der Epidemiologe. Das wisse man einfach noch nicht. „Wir gehen mit sehr hohen Zahlen in diese Lockerungen rein“.
Eine Impfpflicht, die am Donnerstag im Bundestag diskutiert wird, hält Ulrichs daher gerade im Hinblick auf Herbst und Winter für wichtig. „Wir haben immer noch zu viele Ungeimpfte über 60 – die Impfung ist der einzige Weg aus der Pandemie“, sagt er.
Virologe Friedemann Weber – Wir öffnen dem Virus Tür und Tor
„Die Maßnahmen machen virologisch keinen Sinn – wir tragen so das Virus wieder überall ein“, sagt der Virologe Friedemann Weber gegenüber FOCUS Online. „Das wird auch der Wirtschaft nichts nützen, denn letztlich werden auch wieder mehr Menschen krank.“ Dadurch werde es gerade mehr Personalnotstände geben.
Auch für diejenigen Menschen, die sich beispielsweise aufgrund von Erkrankungen nicht impfen lassen können, seien die Maßnahmen gefährlich: „Wir öffnen dem Virus Tür und Tor mit der Abschaffung von simplen Maßnahmen wie Maske und Isolation“, kritisiert Weber.
Patientenschützer Eugen Brysch – Für Hochrisikogruppe wird es immer gefährlicher
Auch Patientenschützer sind empört über die Aufhebung der Isolationspflicht für Positive. „Für die Hochrisikogruppe wird es immer gefährlicher. Diese Menschen leben mitten unter uns“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch gegenüber dem „RND“.
Brysch sieht darin einen Widerspruch gegenüber der sonstigen Aussagen Lauterbachs: „Auf der einen Seite die Mahnung vor der Ansteckung mit Corona. Die täglich transportierte Angst vor Leiden, Sterben und einem unkontrollierbaren Herbst“, so Brysch. Und jetzt die Abschaffung der Isolation: Dies käme wie bei Corona-Leugnern einer Verharmlosung der Infektion gleich, kritisierte er.
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