Es hat Zeit und einige Männer gebraucht, bis sie ihren Weg im Beziehungsdschungel fand. Inzwischen weiß FOCUS-Online-Gastautorin Laura Gehlhaar genau, was sie von der Liebe erwartet – und sieht ihren Rollstuhl als „Arschlochfilter“, der sie vor Enttäuschungen schützt.
Diese bestimmte Sorte Männer, die bei Frauen auf den ersten Blick gut ankommen, die jede haben können und schon alle gebumst haben, sehen aus lauter Langeweile in mir ihre ganz persönliche Herausforderung. Aber das reicht mir nicht mehr, hat es nie getan. Denn ich bin sehr viel mehr als das.
Gleichzeitig strebe ich aber auch nicht mehr danach, den perfekten Traumpartner – was auch immer perfekt hier bedeuten mag – zu finden, und habe gelernt, keine utopischen Erwartungen mehr zu haben. Andi Weiland Laura Gehlhaar mit ihrem Freund
Meine Erscheinung scheint eine faszinierende Wirkung zu haben
Ganz ehrlich, das ist mir auch einfach zu anstrengend. Denn egal, wie sehr ich selber weiß, was ich mir von einem Partner wünsche oder wie viel Kompromisse ich bereit bin einzugehen: Ich kann nicht verhindern, dass in meinem Gegenüber ein Film abgeht in dem Moment, wo er mich vor sich sitzen sieht.
Meine paradoxe Erscheinung scheint auf viele Männer eine faszinierende Wirkung zu haben: Auf der einen Seite bin ich sehr selbstbewusst, gehe sicher mit meinem Körper um, bin laut und manchmal lustig und wirke nach außen stark und unabhängig. Auf der anderen Seite trage ich eine ganz offensichtliche Schwäche mit mir herum. Nur durch mein reines Äußeres schmiere ich ganz automatisch jedem aufs Brot, dass ich in meinem Leben auch schon harte, prägende Zeiten erlebt habe und womöglich auf Hilfe angewiesen bin.
Vielleicht verstecke ich mich manchmal hinter der Behinderung
Viele Männer sind da hin- und hergerissen, in welche Schublade sie mich denn nun stecken sollen: Bin ich die selbstbewusste, schöne, halbwegs kluge Kodderschnauze oder doch das eingeschränkte, hilflose und leider, leider behinderte Blondchen?! Es ist paradox, es ist verwirrend, es ist faszinierend. Und es ist in Ordnung für mich.
Mir selber geht es nicht anders. Auch ich schwanke manchmal in meinen Reaktionen auf Männer: Wenn ich Kritik und Schmerz nicht an mich heranlassen will, ist es sehr verlockend, dem Partner die Schuld für das Scheitern in die Schuhe zu schieben. Wenn er nur besser mit meiner Behinderung hätte umgehen können, dann wären wir noch zusammen… Dass mich der Typ aber vielleicht einfach nur zu dominant, vorlaut oder schlichtweg bescheuert findet, darauf schaue ich dann lieber nicht. Genauso wenig, wie ich mir manchmal vorstellen kann, dass mich jemand einfach nur geil findet, weil ich genau sein Typ Frau bin. Vielleicht verstecke ich mich sogar in diesen Momenten hinter meiner Behinderung, aus meiner eigenen Unsicherheit heraus, wer weiß. Holen Sie sich jetzt das Buch „Kann man da noch was machen?: Geschichten aus dem Alltag einer Rollstuhlfahrerin“ bei Amazon!
Mir wird auch eingeschränkter Sex unterstellt
Ein weiteres Phänomen meiner Behinderung ist, dass mir aufgrund meiner eingeschränkten Mobilität auch eingeschränkter Sex unterstellt wird. "Wie soll das denn funktionieren, wenn du noch nicht mal laufen kannst?", wurde ich einmal gefragt. Oder es wird davon ausgegangen, dass ich einfach nur passiv rumliege und der Sex sowieso nicht gut sein kann. Solche Fragen und Vorstellungen sind strohdumm. Sie zeugen von mangelhaftem Vorstellungsvermögen und fehlender Fantasie.
Das Gute an gutem Sex ist, dass es den guten Sex gar nicht gibt. Jeder muss für sich selbst entdecken, was sich gut anfühlt, wo und wie man zu seiner Befriedigung kommt und wie man Befriedigung an seine Partnerin oder seinen Partner zurückgeben kann – ob mit oder ohne Behinderung. Ein gutes Körpergefühl und Kommunikationsfähigkeiten sind wohl die Schlüssel zu einem erfüllten Sexualleben.
Ich führe auf allen Ebenen ein sehr erfülltes Leben
Da meine Behinderung mich täglich dazu bringt, mich intensiv mit meinem Körper auseinanderzusetzen und meine Kreativität zu optimieren, führe ich auf allen Ebenen ein sehr erfülltes Leben. Und da ich auch noch eine gute Portion Humor, gerne auch schwarzen, vorzuweisen habe, ist der Spaß und die Leidenschaft schon mal gesichert.
Beziehung bedeutet neben gemeinsamen Urlauben, Partys und morgendlichem Sex aber auch Arbeit. In gewissen Situationen muss man zurückstecken, um des Partners Willen und Glück. Man geht Kompromisse ein, die sich aber im besten Falle gar nicht nach Kompromissen anfühlen. Denn wenn man wirklich liebt, ist es auch für einen selbst das Schönste, wenn der andere glücklich ist. Eine Wechselwirkung, an der man wächst und durch die man sich selbst besser kennenlernt.
Lange Zeit schämte ich mich für mein Unvermögen
Mit meiner Behinderung bin ich schon oft dem Vorurteil begegnet, dass mein jeweiliger Partner in unserer Beziehung besonders viele Kompromisse eingehen muss. Meine Partner hören Sprüche, wie: "Warum tust du dir das an?", oder "Hast du dir das auch gut überlegt?" Das ist einerseits sehr schade, weil solche Sätze ihre Entscheidungsfreiheit und letztendlich auch ihre Liebe zu mir in Frage stellen. Andererseits lässt es mich aber auch verärgert zurück, wenn mein Partner als der starke, mutige und fürsorgliche Mann glorifiziert wird und die Leute ihm anerkennend auf die Schulter klopfen. Nur weil er sich in eine Frau im Rollstuhl verliebt hat. Ich fühle mich dadurch in ein schlechtes Licht gerückt und als Bittstellerin abgestempelt.
Dieses vorurteilsbehaftete Verhalten brachte mich schon oft in die Verlegenheit, das Gegenteil beweisen zu wollen. Lange Zeit schämte ich mich für mein Unvermögen und fühlte mich in der Bringschuld. Und so schleppte ich mich auf Festivals und Konzerte und ging dabei an meine körperlichen Grenzen, zu oft auch über sie hinaus. Oder ich bestellte mir im Restaurant ganz bewusst kein Steak, weil ich in der rechten Hand wenig Kraft habe und auf keinen Fall vor anderen meinen Partner um Hilfe beim Schneiden bitten wollte.
Eine Behinderung bewahrt nicht davor, ein Arschloch zu sein
Ich wollte meinem Umfeld keinen weiteren Nährboden für solche Vorurteile liefern und versuchte mit aller Kraft, so autark wie nur irgend möglich zu sein. Bis ich entdeckte, dass mich dieser ständige Zwang, meine Normalität beweisen zu wollen, viel mehr anstrengte, als offen und ehrlich mit den Folgen meiner Behinderung umzugehen und auf die Meinung der anderen zu scheißen. Und zwar einen riesengroßen Kackhaufen.
Wenn ich heute signalisiert bekomme, dass Menschen mir ein schweres, unnormales Leben aufgrund meiner Behinderung attestieren, gehe ich, nachsichtiger geworden, einfach mal davon aus, dass diese Leute bisher keine Erfahrungen mit behinderten Menschen gemacht haben und dass ihnen durch die Medien und andere gesellschaftliche Instanzen ein defizitorientiertes Bild von Behinderung vermittelt und anerzogen wurde. Vielleicht wissen sie einfach noch nicht, dass sich behinderte Menschen genauso aktiv und kompromissbereit in Beziehungen verhalten wie ihre nichtbehinderten Partner. Eine Behinderung zu besitzen muss nicht bedeuten, weniger bieten zu können oder mehr zurückstecken zu müssen. Genauso wenig, wie eine Behinderung einen davor bewahrt, ein Arschloch zu sein.
Ein Mann muss für mich mutig, stark und fürsorglich sein
Es bleibt ein lebenslanges Vabanquespiel um ein gesundes Gleichgewicht, wie bei jeder anderen Paarbeziehung auf diesem Planeten auch. Jeder Mann, der sich für mich entscheidet, muss neben einigen anderen Eigenschaften auch mutig, stark und fürsorglich sein. Ich würde keinen Mann, der nicht diese drei Eigenschaften mitbringt, für mich auswählen. Ich mag diese Eigenschaften an Männern. Sie tun mir gut. Ob das an meiner Behinderung liegt, weiß ich nicht. Ich kenne mich als erwachsene Frau ja nicht ohne Rollstuhl.
Ich weiß aber, dass ich selbst diese Eigenschaften mitbringe und sie dementsprechend auch bei meinem Mann wiederfinden möchte. Das ist wohl mein Glück, denn andersrum glaube ich nicht, dass sich jemals ein Mann auf mich einlassen würde, der nicht mutig, stark und fürsorglich ist.
Meine Behinderung prägt meine Persönlichkeit
Nur wer selbstbewusst ist und weiß, was er will und was ihm guttut, wird sich auf mich, eine starke Frau mit Behinderung, einlassen. Nicht, weil er durch diese Eigenschaften über meinen Rollstuhl und meine Behinderung hinwegsehen kann, sondern weil er durch diese Eigenschaften das alles überhaupt erst bewusst wahrnimmt, es als einen Teil von mir akzeptiert und es sogar an mir liebt.
Nur, wer sich als Mann an meiner Seite auf sich selbst besinnen kann und weiß, dass Bescheidenheit nicht bedeutet, sich einschränken zu müssen, wird das Ding – das wäre in diesem Fall dann ich – schaukeln. Kein Mann, der nicht offen für Perspektivwechsel ist, der nicht Vielfalt erkennt und sie zu schätzen weiß, hätte das Selbstbewusstsein, mich an seiner Seite haben zu wollen.
Weil ich ich bin. Laura. Witzig, bestimmt, vorlaut und rechthaberisch. Engagiert, enthusiastisch, hart urteilend und abends wie ein Mimöschen im Bett liegend und auf Liebe hoffend. Meine Behinderung prägt meine Persönlichkeit und ich mag den Menschen, den sie aus sich heraus geformt hat. Und das Tollste an ihr: Meine Behinderung filtert automatisch all diejenigen heraus, die nicht mehr in mir sehen als eine Behinderte, deren Rollstuhl als Symbol für Passivität und Schwäche steht. Meine Behinderung ist mein ganz persönlicher Arschlochfilter.
Laura Gehlhaar ist 1983 in Düsseldorf geboren und hat Sozialpädagogik und Psychologie in Holland und Berlin studiert. 2008 kam sie für die Liebe und einen Job in der Gerontopsychiatrie nach Berlin. 2014 absolvierte sie eine Mediations- und Coachingausbildung (univ.) und arbeitet heute als Autorin und Coach. Sie hält Vorträge über Inklusion und Barrierefreiheit und schreibt in ihrem Blog Frau Gehlhaar über das Großstadtleben und das Rollstuhlfahren. Im September 2016 erschien ihr erstes Buch „Kann man da noch was machen?“ im Heyne Verlag.
Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog "Frau Gehlhaar".
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