Gesundheit

Intensivmediziner über steigende Corona-Zahlen: "Ob wir das packen, wage ich zu bezweifeln"

In Frankreich droht auf Grund der steigenden Corona-Zahlen eine Überlastung in den Krankenhäusern. Die Ärzte bereiten sich auf eine Triage vor. Auch in Deutschland schlagen die Intensivmediziner seit Wochen Alarm, weil sich die Intensivstationen wieder zunehmend mit Covid-19-Patienten füllen. Derzeit werden laut Divi-Intensivregister 3573 Covid-19-Patienten (Stand 29.3.) intensivmedizinisch betreut, das sind 116 mehr als am Tag zuvor. Die Mediziner befürchten, dass die Zahl weiter steigt, wenn nicht schnell harte Maßnahmen ergriffen werden. Bereits am Wochenende warnte der medizinisch-wissenschaftliche Leiter des Divi-Intensivregisters Christian Karagiannidis vor einem exponentiellen Wachstum in den kommenden zweieinhalb Wochen.

Ein Hauptgrund der Sorge der Mediziner ist, dass anders als zu Beginn der zweiten Welle schon jetzt eine große Anzahl an Covid-Patienten intensivmedizinisch betreut wird. "Wir haben die zweite Welle von einem Niveau von unter 200 Covid-19-Patienten begonnen und waren bei fast 6000. Jetzt sind wir begonnen bei unter 3000, etwa der Spitzenwert der ersten Welle, und das macht uns schon sehr große Sorge, muss ich sagen", erklärte Divi-Präsident Gernot Marx bereits in der vergangenen Woche gegenüber dem "Deutschlandfunk".

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Steigende Zahlen, sinkende Kapazitäten

Der bisherige Höchststand von Corona-Patienten auf Intensivstation war in Deutschland Anfang des Jahres mit etwa 5800 Fällen erreicht worden. Danach waren die Zahlen gesunken und hatten sich bei rund 2800 Fällen eingependelt, was in etwa dem Höchstwert der ersten Welle im Frühjahr 2020 gleich kam. Seit Mitte des Monats steigen die Zahlen aber wieder, die Kapazitäten in den Krankenhäusern schrumpfen. Momentan sind noch 3851 Intensivbetten frei.

Sind die Kapazitäten erschöpft, kann das dazu führen, dass die Mediziner zum Triage-Verfahren gezwungen werden. Das heißt, sie müssen im Ernstfall entscheiden, welcher Patient eine lebensrettende Behandlung erhält und welcher nicht. Bereits im vergangenen Jahr hatten die steigenden Covid-Zahlen zeitweise dazu geführt, dass es in einigen Krankenhäusern zu Versorgungsengpässen gekommen war, Patienten hatten verlegt werden müssen, an der Regelversorgung wurde gedreht. Behandlungen, die verschoben werden konnten, wurden verschoben. 

Die Bevölkerung habe zwischen Weihnachten und Anfang Januar gar nicht mitbekommen, wie knapp es gewesen sei, sagte am Sonntag Steffen Weber-Carstens ebenfalls vom Divi. Zahlreiche Patienten seien aus dem Osten oder der Mitte Deutschlands nach Norden geflogen worden. In der vergangenen Woche habe er bereits wieder Anfragen für überregionale Verlegungen bekommen.

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Verteilung der Intensivbetten

Was die steigenden Corona-Patientenzahlen für die Krankenhäuser bedeuten, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Ende September waren die Corona-Zahlen niedrig gewesen, lediglich 352 Fälle wurden auf Intensivstationen behandelt, dafür aber knapp 21.500 Nicht-Covid-Fälle. Anfang des Jahres, als die meisten Corona-Patienten auf den Intensivstationen gezählt wurden, wurden dort nur noch rund 16.000 Nicht-Covid-Patienten behandelt. Nachdem zwischenzeitlich auch wieder mehr "normale" Intensivpatienten Platz auf den Stationen gefunden hatten, vor sechs Wochen waren es rund 18.000, nähern sich die Zahlen aktuell wieder den Verhältnissen vom Januar an.

Kurz: In den vergangenen Monaten wurden durchgängig weniger Nicht-Covid-Patienten auf den Intensivstationen betreut als noch im Herbst. "Es könnte natürlich eine wundersame Massen-Blitzheilung gegeben haben", schreibt Olaf Gersemann, Ressortleiter bei der "Welt" auf Twitter. Plausibler aber erscheine, dass viele Tausend Nicht-Covid-Patienten, die eigentlich intensivmedizinisch behandelt worden wären, zwischen dem späten Sommer und dem frühen Winter von Intensivstationen auf reguläre Stationen bugsiert worden seien. "Diese Art von Verdrängung hat einen Namen: Triage", so Gersemann. Diese Triage finde "nicht formell statt oder öffentlich, sondern still und leise und informell. Aber sie findet ganz offenbar statt."

Mediziner fordern harten Lockdown

In Frankreich bereiten sich die Mediziner im Großraum Paris inzwischen offiziell auf eine Triage vor. Eine derartige Situation hätten sie "nicht einmal während der schlimmsten Attentate in den vergangenen Jahren" erlebt, erklärten 41 Direktoren für Notfall-Medizin in einem offenen Brief in der Zeitung "Journal du Dimanche". "Diese Triage wird alle Patienten betreffen, Covid oder Nicht-Covid", schrieben sie. Sie könnten nicht schweigen, "ohne den Hippokratischen Eid zu verletzen, den wir einmal abgelegt haben". 

Die Zahlen der Corona-Patienten auf den Intensivstationen hat in Frankreich mit knapp 4900 bereits fast den Höchststand der zweiten Welle im vergangenen Herbst erreicht. Der Präsident der Ärztekommission der öffentlichen Krankenhäuser in Paris Remi Salomon sprach gegenüber dem Sender "BFMTV" von einer drohenden "Überfüllung" der Krankenhäuser. Die Ärzte befürchteten, sagte er "sich in einer Situation wiederzufinden, die sie zur "Katastrophenmedizin" zwinge. Es müssten "alle Bremsen gezogen" werden, ein weiterer Lockdown sei unausweichlich.

Auch die  Intensivmediziner in Deutschland forderten am Sonntag angesichts der steigenden Corona-Zahlen einen harten Lockdown für zwei oder drei Wochen. "Das wird zahlreiche Menschenleben retten und noch viel mehr vor lebenslangen Langzeitfolgen durch Covid bewahren", erklärte Marx. Er warnte: "Wir rennen sehenden Auges ins Verderben." Das sieht auch Karagiannidis so. Bei mehr als 5000 Covid-19-Patienten werde es wirklich langsam kritisch. Käme der Lockdown bei 4500 Patienten auf den Intensivstationen, "schaffen wir es bei knapp über 5000 die Kurve wieder zu senken." Werde aber länger gewartet, würden mehr als 6000 Menschen mit Covid-19 auf den Intensivstationen liegen. "Ob wir das packen, wage ich zu bezweifeln", erklärte er.

Marx plädierte für einen harten Lockdown über die Osterferien. "Und dann können wir bei deutlich niedrigeren Inzidenzen mit Schnelltests, PCR-Tests, Impfungen und Apps wieder öffentliches Leben zulassen", erklärte er. Jeder Patient, der nicht auf die Intensivstation müsse, sei die Anstrengung wert. "Unsere Patienten sind gezeichnet fürs Leben", betonte er. 

Quellen: Divi, Deutschlandfunk, dpa, AFP

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