Es ist ein erstes, vorsichtiges Aufatmen auf der Insel: Nachdem die Omikron-Fallzahlen in Großbritannien lange Zeit nur eine Richtung kannten – nämlich steil nach oben – zeichnet sich seit einigen Tagen eine Trendumkehr ab. Die Zahl der täglich gemeldeten Fallzahlen rangiert zwar immer noch auf sehr hohem Niveau und schwankte zuletzt wieder leicht. Sie hat sich seit Anfang Januar aber in etwa halbiert. Von knapp 200.000 neuen Fällen pro Tag ging der Wert zuletzt auf unter 100.000 Neuinfektionen zurück. Der Peak der Omikron-Welle scheint überschritten. Das ist zumindest die Hoffnung in Großbritannien.
Corona-Pandemie
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Auch in anderen Ländern wird das Absinken der Fallzahlen aufmerksam beobachtet. Nach Südafrika war UK einer der ersten Staaten weltweit, der schwer von der Omikron-Variante getroffen wurde. Lassen sich aus der dortigen Situation auch Schlüsse für die Entwicklung der Zahlen in Deutschland ableiten? Der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb ist skeptisch, da die Ausgangslage hierzulande im Vergleich zu Großbritannien doch Unterschiede aufweist, wie er im Gespräch mit dem stern erklärte.
Zeeb macht für das Absinken der Fallzahlen in Großbritannien zwei Hauptfaktoren verantwortlich: "Die Bevölkerungsimmunität in Großbritannien dürfte auf einem recht hohen Level sein", so der Experte. "Zudem haben mit dem sogenannten 'Plan B' ab Anfang Dezember neue Maßnahmen gegen Omikron gegriffen – darunter das Tragen von Masken in Innenräumen und eine Homeoffice-Pflicht." Diese Regeln habe es in Großbritannien zuvor nicht gegeben.
Die hohe Bevölkerungsimmunität in Großbritannien sei auf mehrere Faktoren zurückzuführen, so Zeeb. "Großbritannien ist recht weit mit den Booster-Impfungen, weiter auch als Deutschland. Zudem ist die Impfquote günstiger, da in Großbritannien mehr ältere Personen geimpft sind." Nicht zuletzt habe es im Verlauf der Pandemie, auch bedingt durch das liberalere Vorgehen der Regierung, mehr Infektionen in Großbritannien gegeben. Auch diese würden zur Gesamt-Immunität beitragen, so der Epidemiologe. Gleichzeitig betonte er, dass dieses Mehr an Ansteckungen aber auch "Folgen" gehabt habe. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung hat Großbritannien beispielsweise mehr Covid-19-Todesfälle als Deutschland zu beklagen.
Der Omikron-Peak wird Mitte Februar erwartet
Ob die Omikron-Welle in Deutschland nach einem ähnlichen Muster – schneller Anstieg, schnell sinkende Fallzahlen – verlaufen werde, sei "schwer vorherzusagen", so der Epidemiologe. Grundsätzlich sei in Deutschland aber eine langsamere Verdopplungszeit mit Omikron zu beobachten. Der Peak bei den Fallzahlen werde aufgrund der aktuell geltenden Maßnahmen langsamer erreicht als etwa in Großbritannien oder auch in Südafrika, was gut sei. Dadurch würden auch die negativen Begleiterscheinungen hoher Fallzahlen, etwa Krankenhauseinweisungen, etwas "entzerrt", so Zeeb.
Das sei auch mit Blick auf die Impfquote in Deutschland "dringend nötig". Der Epidemiologe verwies auf die hohe Anzahl ungeimpfter Personen über 60 Jahre in Deutschland und bezifferte sie auf rund drei Millionen. "Das wären alles Menschen, die bei hohen Fallzahlen besonderen Gefahren ausgesetzt sind. Ein höheres Lebensalter und bestehende Vorerkrankungen begünstigen schwere Verläufe."
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwartet den Höhepunkt der Omikron-Welle in Deutschland Mitte Februar. "Mehrere Hunderttausend Fälle pro Tag" seien zu erwarten, sagte Lauterbach am Mittwochabend in der ZDF-Sendung "Markus Lanz".
Auffallend ist, dass die Zahl der Covid-19-Patienten in britischen Krankenhäusern trotz der Rekord-Fallzahlen mit Omikron zuletzt nicht auf ein neues Hoch gestiegen ist. Sie hat sich laut Daten der britischen Regierung auf ein Plateau von knapp 20.000 Patienten eingependelt. Damit liegt der Wert noch deutlich unter den Zahlen von Anfang Januar 2021. Zum Höhepunkt der damaligen Winterwelle mussten rund 39.000 Covid-19-Patienten in britischen Kliniken behandelt werden.
Könnten auch die Intensivstationen in Deutschland hohe Fallzahlen mit Omikron verkraften? Zeeb warnte davor, die Beobachtung aus England eins zu eins auf Deutschland übertragen zu wollen. "Bei uns kann sich das schon anders darstellen, allein wegen der niedrigeren Impfquote bei den Älteren." Zwar müssten Menschen, die sich mit Omikron infizieren, wohl seltener auf einer Intensivstation behandelt werden. Während sich der Anteil bei Delta etwa bei 0,8 Prozent bewegte, liege er Schätzungen zufolge bei Omikron bei etwa 0,3 Prozent. Der Wert sei allerdings noch mit Unsicherheiten behaftet, so Zeeb. Bereits kleinere Schwankungen könnten "dramatische Folgen" haben.
Im Moment steige die Anzahl der Corona-Intensivpatienten in Deutschland zwar noch nicht. "Aber wir sind auch noch nicht bei den hohen Omikron-Fallzahlen, die woanders stattgefunden haben."
In Deutschland werden derzeit rund 2570 Covid-19-Patienten intensivmedizinisch versorgt. Bekannt ist, dass sich schwere Verläufe erst einige Tage nach Beginn der Symptome abzeichnen. Die Krankenhauszahlen steigen daher immer erst mit einem gewissen zeitlichen Verzug.
Premierminister Boris Johnson gab am Mittwoch bekannt, die eindämmenden Maßnahmen wie Masken- und Homeoffice-Pflicht wieder kippen zu wollen. Hajo Zeeb bezeichnete diese Entscheidung als "mutig – gerade angesichts der aktuell noch immer sehr hohen Zahlen von rund 100.000 Neuinfektionen pro Tag."
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Ob der Plan aufgehen wird? "Großbritannien vertraut jetzt auf den weiteren Verlauf der Epidemie und versucht, das Infektionsgeschehen in eine endemische Situation ausgleiten zu lassen. Ist dieser Zustand erreicht, wird es zwar weiterhin Infektionen geben. Sie sind aber gut beherrschbar." Es gebe Modelle, laut denen dieses Vorhaben in Großbritannien glücken könnte – zumindest für die kommenden Monate, so Zeeb. Unklar sei aber, was dann in der anschließenden kalten Jahreszeit folgen werde.
"Zum Winter hin müsste man sicher noch einmal genau hinsehen, gerade angesichts von Omikron. Die Ungeimpften, die in Großbritannien infiziert wurden, haben eine schwächere Immunität aufgebaut als infizierte Geimpfte. Sie könnten damit vor einer erneuten Ansteckung – vielleicht auch mit neuen Virusvarianten – im Laufe des Jahres unzureichend geschützt sein."
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