Ex-Metzger Franz Voll ist der Schrecken der Fleisch-Industrie. Gnadenlos deckt er auf, mit welch skandalösen Methoden Großbetriebe Verbraucher täuschen. Die Politik hört ihm dennoch nicht zu. Sogar von einer Spitzen-Grünen bekam er nie eine Antwort.
Fleischskandale empören die Deutschen immer wieder. Doch trotzdem ändert sich wenig bis nichts. „Ich habe oft den Eindruck, dass es politisch erwünscht ist, dass der Kunde der Dumme bleibt“, sagt Franz Voll. 50 Jahre lang hat der ehemalige Metzger und Lebensmittelkontrolleur in der Fleischindustrie gearbeitet. Weil ihn die Zustände in der Branche angewidert haben, hat Voll den Branchen-Riesen den Kampf erklärt.
Jetzt hat der Ex-Metzger gemeinsam mit einem Bremerhavener Wissenschaftler ein Verfahren entwickelt, das erstmals einen vielfach praktizierten Ekel-Trick deutscher Fleisch-Riesen nachweisen kann. Ein Gespräch über die Tricks mit Separatorenfleisch, zitternde Fleisch-Bosse und eine Grünen-Politikerin, die sich taub stellt.
FOCUS online: Herr Voll, 2,50 Euro für eine Packung Geflügelfleisch von Gutfried, Edeka Bio oder Rewe Beste Wahl: Greifen Sie hier zu?
Franz Voll: Ich persönlich kaufe mein Fleisch und meine Wurst fast nur beim Metzger. Aber wenn ich dann doch mal im Supermarkt zugreife, dann sicherlich nicht bei diesen Marken; nicht nachdem ich gesehen habe, was da wirklich drinsteckt.
„Wir können die Sauerei endlich nachweisen. Das bringt die Fleisch-Industrie zum Zittern“
NDR und SPIEGEL haben im vergangenen Jahr insgesamt 30 Geflügelwurst- und Geflügelfleischproben verschiedener Hersteller zur Prüfung in Blindtests eingereicht. Zur Anwendung kam erstmals eine Methode, die Sie zusammen mit einem Bremerhavener Wissenschaftler entwickelt haben. Was war das Ergebnis – und hat es Sie schockiert?
Voll: Kurz gesagt: ziemlich ekelhaft. Neun der Proben wurden positiv auf Separatorenfleisch getestet – darunter vier Bio-Wurstwaren. Unter den 20 Wurstproben war fast jede zweite positiv. Die Produkte stammten überwiegend von den Groß-Marken Tönnies, Gutfried oder Wiltmann.
Schockiert hat mich das Ergebnis offen gestanden nicht. Ich wusste, dass die großen Fleischproduzenten mit Separatoren arbeiten, und das schon seit Jahrzehnten.
Die Crux war bislang, dass es nahezu unmöglich war, ihnen das nachzuweisen und sie so dazu zu zwingen, es endlich für jedermann sofort ersichtlich auf der Verpackung zu kennzeichnen. Denn dazu sind sie laut EU-Lebensmittel-Informationsverordnung verpflichtet. Jetzt ist es anders: Wir können diese Sauerei endlich zweifelsfrei nachweisen. Das bringt die Fleisch-Industrie ganz schön zum Zittern.
Warum ist Separatorenfleisch in Ihren Augen eine „Sauerei“?
Voll: Ein Separator ist im Prinzip ein gigantischer Häcksler, der es ermöglicht, dass Ihre Mortadella aus Fleischresten zusammengebastelt wird.
Es ist Usus in der Fleischindustrie, mit Separatorenfleisch zu arbeiten. Dabei werden billige Fleischreste samt Knochen in einem riesigen Schredder klein gehäckselt, durch einen Druckkolben gepresst und einen Filter getrieben. Das Ergebnis ist ein fast flüssiger Brei, der nur wenige Cent pro Kilo kostet und der – verzeihen Sie mir die Formulierung – aussieht wie das Erbrochene von Magenkranken.
Wie haben Sie es geschafft, die Verwendung von Separatorenfleisch nachzuweisen?
Voll: Ich wusste als ehemaliger Metzger und Lebensmittelkontrolleur genau, was da vor sich geht – konnte es aber all die Jahre nicht nachweisen. Dann kam ich in Kontakt mit dem Biotechnologen Prof. Stefan Wittke. Sein Spezialgebiet ist die Proteinanalyse.
Wir haben angefangen nach Resten von Bandscheiben im Fleisch zu suchen, genauer gesagt nach einem Eiweiß, das nur in Knorpeln und Bandscheiben enthalten ist. Schließlich fanden wir es: das Kollagen Typ II alpha 1. Wenn in einem Geflügelprodukt ein erhöhter Anteil davon gefunden wird, muss es Knorpel oder Bandscheiben enthalten – und damit ganz klar Separatorenfleisch. Wir haben zwei Jahre lang gesucht, geübt und das Verfahren optimiert. Jetzt können wir es.
„Es machen fast alle. Dabei ist Separatorenfleisch ein Risikomaterial“
Die Hersteller der von Ihnen positiv getesteten Produkte bestreiten den Einsatz von Separatorenfleisch und zweifeln die neue Untersuchungsmethode an.
Voll: Wir haben das neue Verfahren wieder und wieder checken lassen. Es wurde von unabhängigen Gutachtern geprüft. Bei Blindstudien gab es keine einzige falsche Positivprobe. Und auch die Kontrollbehörden sind angetan. Dass die Hersteller alles abstreiten, war zu erwarten.
Warum arbeitet die Fleischindustrie überhaupt mit Separatoren?
Voll: Bei Geflügel wird das Fleisch mechanisch vom Knochen getrennt. Wenn die Maschinen das Fleisch vom Gerippe der Tiere ziehen, bleibt immer etwas übrig. Bei einem Hähnchen sind das vielleicht 50 Gramm. Das hört sich nicht nach viel an, aber rechnen Sie mal: Bei den durchschnittlich 1,7 Millionen Hühnern, die in Deutschland pro Tag geschlachtet werden, sind das 85 Tonnen!
Es gibt inzwischen sogar eigene Separator-Firmen, die diesen Arbeitsschritt für die Fleischproduzenten übernehmen. Abstreiten ist Quatsch. Es machen fast alle. Die werfen nicht einfach tonnenweise Fleisch weg.
Ist das gesundheitlich bedenklich?
Voll: Es ist zumindest nicht unbedenklich: Die Fleischzellen werden beim Separieren komplett zerstört, die Eiweiß-Muskelzellen liegen offen. Weil das bakteriell höchst bedenklich ist, ist es Pflicht, die Masse sofort nach der Produktion bei minus 18 Grad schockzufrosten. Und auch nach dem Auftauen muss das Fleisch sofort verarbeitet werden, weil die Gefahr einer Verkeimung groß ist. Sie sehen also: Separatorenfleisch ist durchaus ein Risikomaterial.
Illegal ist die Verwendung von Separatorenfleisch nicht, sie muss aber laut EU-Lebensmittel-Informationsverordnung klar gekennzeichnet werden. Warum halten sich viele Fleischproduzenten nicht daran?
Voll: Weil sie es einfach nie mussten. Die Fleischindustrie arbeitet seit Jahrzehnten so, der erste Separator stand schon 1969 in Deutschland. Die Produzenten haben nie damit gerechnet, dass das einmal auffliegen könnte. Jetzt kommen sie mächtig ins Schwitzen. Wie sehr, habe ich erst neulich hautnah miterlebt.
„Dem Alten glüht schon der Arsch“, sagt der Chef-Chemiker eines deutschen Fleisch-Riesen
Erzählen Sie!
Voll: Wir habe unsere neue Methode auf einer Fachtagung präsentiert. Mit dabei war auch der Chef-Chemiker eines großen deutschen Fleischproduzenten. Im Zwiegespräch gestand er mir, wie nervös sogar der Konzern-Chef ist: „Dem Alten glüht schon der Arsch“, vertraute er mir an. Das zeigt, wie nervös die Fleischindustrie plötzlich ist. Sie wissen: Unsere Methode ist sicher, die jahrzehntelang praktizierte Konsumententäuschung wird damit bald so gut wie unmöglich.
Das zu erreichen, wäre eigentlich Aufgabe des Verbraucherschutzes und damit der Politik gewesen. Was läuft da in Ihren Augen schief?
Voll: Die Politik sitzt in einem Elfenbeinturm, und mit ihr auch Teile der Wissenschaft, die sie berät. Beide machen sich sicherlich Gedanken darüber, wie man gegen das Gepansche der Fleischindustrie vorgehen kann. Doch sie kennen die Wirklichkeit nicht. Sie sprechen nicht mit Leuten aus der Produktion, mit Menschen, die sich wirklich auskennen mit den Tricks der Fleischindustrie.
„Ich habe oft den Eindruck, dass es politisch erwünscht ist, dass der Kunde der Dumme bleibt“
Sie sprechen immer wieder davon, dass die deutsche Politik „mit im Boot der deutschen ‚Fleischmafia’“rudert. Ist es wirklich so schlimm?
Voll: Es ist zumindest so, dass der Müßiggang, den die Politik im Umgang mit der Fleischproduktion hierzulande an den Tag legt, diesen Schluss nahelegt. Ich habe oft den Eindruck, dass den Konsumenten keine wirkliche Hilfe geboten werden soll; dass es politisch erwünscht ist, dass der Kunde der Dumme bleibt. Das zeigt sich auch beim Einsatz von Fremdeiweiß -Pulver.
Welches Pulver?
Voll: Wir haben im ZDF vorgeführt, dass Fremdeiweißpulver längst zur Realität in der Fleisch- und Wurstproduktion gehört. Es handelt sich um Eiweiße, die Produkten analytisch einen höheren Wert verleihen. Doch das ist ein gefährlicher Weg. Denn dieses Eiweiß wird aus Blut und Schlachtabfällen gewonnen. Ist dieses Produkt verunreinigt, kommt es zur Katastrophe.
China hat schon 2008 bewiesen, dass der Umsatz über allem steht. Damals wurde, von skrupellosen Produzenten, um in der Analyse Eiweiß vorzutäuschen, sogar giftiger Kunststoff, Melamin, eingesetzt. Es erkrankten 13.000 Kleinkinder schwer, wie viele starben, ist nicht genau bekannt.
Gefährliches Fremdeiweiß-Pulver: Von Ricarda Lang bekommt der Ex-Metzger keine Antwort
Was muss aus Ihrer Sicht unternommen werden?
Voll: China ist einer der Hauptmärkte für Eiweißpulver jeder Art, aber auch in Europa ist man sehr aktiv. Dieser Markt müsste ganz neu und viel strenger geregelt werden. Ich habe im März an mehrere deutsche EU-Politiker, die im Verbraucherausschuss sitzen, geschrieben. Auch Grünen-Chefin Ricarda Lang habe ich angeschrieben und dieses Problem aufgezeigt.
Welche Antwort haben Sie bekommen?
Voll: Keine. Von niemandem. Nicht einmal eine Eingangsbestätigung meiner Mails. Das ist ziemlich deprimierend.
Vertiefende Fragen & Antworten zum Thema:
Ja, Laborfleisch kann durchaus eine Revolution für unsere Ernährung sein. Es bietet eine Alternative zum konventionellen Fleisch, die ethische Bedenken bezüglich der Tierhaltung und -schlachtung umgeht. Laborfleisch ist ernährungsphysiologisch betrachtet ein hochwertiges Lebensmittel, wenn es mit echtem Fleisch in allen sensorischen und ernährungsphysiologischen Faktoren vergleichbar ist. Es könnte daher dazu führen, dass der Konsum von Fleisch zugunsten von Laborfleisch steigt, insbesondere bei Menschen, die aus ethischen Gründen den Fleischkonsum reduzieren wollen, aber dennoch gerne Fleisch essen.
Uwe Knop
Evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler, Publizist, Referent und Buchautor
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Ganz klar steht hier die ethische Frage im Fokus: „Es muss kein Tier gezüchtet, gehalten und getötet werden, damit ich Fleisch essen kann.“ Dieser Kernaspekt dominiert alles andere. Hinzu werden wahrscheinlich Umwelt-Themen kommen, aber dafür ist es noch zu früh, denn bis dato weiß niemand in welchem Maßstab und welchen Bereichen die Massenproduktion von Zellfleisch Klima und Umwelt mehr oder weniger schädigt als konventionelle Viehzucht.
Uwe Knop
Evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler, Publizist, Referent und Buchautor
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Wenn es eine Zulassung erhält (es gibt ja in der EU bislang noch nichts zu kaufen), dann wird es sicher sein. Denn bevor ein neues Lebensmittel in Europa verkauft werden darf, muss es einen Zulassungsprozess durchlaufen und durch die zuständigen Behörden als sicher zertifiziert werden. Das wird durch die Novel-Food-Verordnung geregelt, in der die Sicherheit von Zellfleisch gründlich geprüft wird. Liegt die Zulassung vor, gilt das neue Lebensmittel als sicher. Und darauf kann man sich grundsätzlich verlassen.
Uwe Knop
Evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler, Publizist, Referent und Buchautor
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Da es bislang nur in Testlaboren respektive in kleinen Mengen hergestellt wird, lässt sich diese Frage noch nicht klar beantworten. Erst wenn Zellfleisch zu einem Alltagsprodukt im Supermarkt wird, können die entsprechend relevanten Klima- und Umweltbilanzen erstellt werden. Meine persönliche Vermutung ist: Es wird in puncto Umweltbelastung besser als konventionelles Fleisch abschneiden.
Uwe Knop
Evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler, Publizist, Referent und Buchautor
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