Gesundheit

Youtube-Yoga wird immer beliebter – Chancen und Risiken der Online-Praxis

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Yoga boomt wie nie zuvor. Waren es vor einigen Jahren noch fünf Prozent der Deutschen, die regelmäßig auf die Matte stiegen, sind es mittlerweile 20 Prozent. Das zeigt eine aktuelle Studie, die der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (BDYoga) bei der Gesellschaft für Konsumforschung in Auftrag gegeben hat. Vor allem die Corona-Pandemie hat das Interesse an der indischen Lehre in die Höhe schießen lassen: Viele der Befragten gaben an, in den letzten drei Jahren mit Yoga begonnen zu haben.

Youtube ist beliebter als das Yoga-Studio

In dem Zusammenhang ist es wohl kaum verwunderlich, dass die Mehrheit der Befragten – nach wie vor – zu Hause praktiziert. 74 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, Online-Angebote für ihre Yoga-Praxis zu nutzen. Insbesondere Youtube-Videos erfreuen sich großer Beliebtheit. In der Studie heißt es dazu: "Hat 2018 noch die überwiegende Mehrheit (79 Prozent) Yoga in einem Kurs gelernt, tun dies 2023 nur noch 42 Prozent, während 44 Prozent Yoga anhand von Youtube-Videos praktizieren." Yogalehrende erfahren auf der Plattform enormen Zulauf. Der Kanal von Mady Morrison, der wohl bekanntesten Yogalehrerin im deutschsprachigen Raum, zählt inzwischen drei Millionen Abonnenten.

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Yoga-Studios hingegen tun sich nach der Pandemie teilweise schwer. Die meisten haben während Corona auf Online-Unterricht umgestellt, viele führen die digitalen Stunden neben den Präsenzangeboten weiter, teilt der BDYoga auf Nachfrage des stern mit. "Wir bekommen unterschiedliche Rückmeldungen dazu, wie die Präsenzkurse nach der Corona-Krise angenommen werden", so der Verein. Bei einigen haben sich die Stunden schnell wieder gefüllt, bei manchen läuft es schleppend, wieder andere sehen sich gezwungen, ihre Studios zu schließen. Der Trend zum Online-Yoga wird sich nicht wieder umkehren, sagt Tessa Temme, die an der Deutschen Sporthochschule Köln im Bereich Yoga lehrt und forscht. "Es ist nicht mal mehr ein Trend, es hat sich festgesetzt", sagt die Sportwissenschaftlerin im Gespräch mit dem stern.

Zuhause fehlt oft die richtige Atmosphäre

Dabei ist die Online-Praxis nicht frei von Risiken ­­– und kann nicht als vollwertiger Ersatz für einen Präsenz-Kurs gesehen werden. Denn das Üben vor Ort bietet zahlreiche Vorzüge, an die Youtube-Videos oder Zoom-Konferenzen nicht heranreichen. Vor allem wenn Yoga nach seiner ursprünglichen Intention gelehrt und verstanden werden soll: Als ganzheitlicher Erfahrungsweg, der laut dem BDYoga "nicht nur Körperübungen umfasst, sondern auch auf geistig-emotionaler Ebene wirkt."

Dazu trägt auch das Yoga-Studio an sich bei. "Allein der Weg dorthin führt vielleicht dazu, dass man besser abschalten kann und das Yoga stärker vom Alltag trennen kann", erläutert Tessa Temme. Beim Yoga sei der Fokus auf die Praxis elementar, um Entspannung erfahren zu können. Dazu muss die Atmosphäre stimmen: Ein Raum mit Ruhe und Räucherstäbchen ist dafür besser geeignet als die eigenen vier Wände, wo zwischen Schmutzwäsche und Arbeitsunterlagen plötzlich der Paketbote klingelt.

Dass die mentalen Effekte während der Online-Stunden eher auf der Strecke bleiben, legen auch die Ergebnisse der Studie nahe: Während 2014 und 2018 die Mehrheit der Yoga-Praktizierenden angab, eine Veränderung aufgrund der Praxis zu spüren, bemerkt aktuell nur noch rund jeder Zweite die Wirkung des Yoga. Das könnte neben der fehlenden Atmosphäre auch daran liegen, dass viele Neueinsteiger Yoga als Form eines sportlichen Ausgleichs ansehen und nicht unbedingt tiefer in die Lehre eintauchen wollen, meint Tessa Temma.

Gemeinsame Praxis kann positive Gefühl verstärken

"Es ist fraglich, ob alle, die online Yoga gelernt haben, auch ein ganzheitliches Yoga üben und damit die ganzheitlichen Wirkungen erfahren können", glaubt auch der BDYoga. Abgesehen von Körperhaltungen gehören – vor allem für die mentale Entspannung – auch Atemübungen und Meditation zum Yoga. Zwei Komponenten der indischen Lehre, die in digitalen Stunden oft zu kurz kommen oder ganz fehlen. In Präsenz-Kursen hingegen könne der Lehrende die Teilnehmer langsam heranführen und den Weg ebnen für ein breiteres Verständnis des Yoga.

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Aus diesem Grund sei der persönliche Kontakt im Yoga wichtig, sowohl zur Lehrperson als auch zu den anderen Teilnehmern; zu einer "Gemeinschaft, die motivierend und unterstützend sein kann", meint der BDYoga. Tessa Temme sieht es ähnlich: "Man hat eine gemeinsame Sportpraxis, durch die man eine soziale Eingebundenheit erfährt." Ähnlich wie bei Spielsport-Aktivitäten können die persönlichen Beziehungen der Teilnehmer untereinander und zum Lehrenden dazu beitragen, "dass man das, was man tut, noch positiver verknüpft, ernster nimmt und regelmäßiger teilnimmt", erklärt die Sportwissenschaftlerin.

Lehrperson kann Hilfestellung und Alternativen anbieten

Der größte Vorteil von Präsenz-Kursen zeigt sich auf körperlicher Ebene. Selbst bei Live-Kursen, bei denen der Lehrende die Teilnehmer sehen kann, ist nur geschränktes Feedback möglich. "Wenn 50 Menschen an einem Kurs teilnehmen, hat der Lehrende keinen Blick auf die einzelnen Teilnehmer – zumal viele die Kamera abschalten", kritisiert Tessa Temme. Was vollständig fehlt bei digitalen Yoga-Formaten ist die "taktile Kontrolle": Bei einer betreuten Praxis kann die Lehrperson rumgehen, korrigieren, Hilfestellung geben und die Bewegungen individuell an die Bedürfnisse der Teilnehmer anpassen. "Hierfür ist es wichtig, die Teilnehmer beim Üben zu sehen und sich mit ihnen über ihre Erfahrungen austauschen zu können", betont auch der BDYoga.

Die körperliche Betreuung sei vor allem für drei Personengruppen wichtig, sagt Tessa Temme: Späteinsteiger, die womöglich jahrelang keinen Sport getrieben haben. Personen, die körperlich eingeschränkt sind, etwa durch Gelenk- oder Muskelprobleme. Und Neueinsteiger, die frisch in die Praxis einsteigen. Denn bei ihnen ist die eigene Körperwahrnehmung oft nicht ausreichend vorhanden. Gerade Anfänger, die Yoga ausschließlich online gelernt haben, können oft nicht einschätzen, ob eine Übung für sie geeignet ist oder ob sie die Übung richtig ausführen, ergänzt der BDYoga. Deshalb können sich Anfänger eher verletzen, insbesondere wenn sie ihre eigenen Schwächen nicht kennen. Und insbesondere bei fordernden Yoga-Stilen.

Verletzungen und Fehlhaltungen

"Beim Ashtanga und beim Power-Yoga besteht eine höhere Verletzungsgefahr als bei sanfteren Formen wie Kundalini, Yin oder Vinyasa", erklärt Tessa Temme. Jene Yoga-Stile seien intensiver und ziehen oft Personen an, die von sportlichem Ehrgeiz getrieben werden. Die Teilnehmer überlasten sich möglicherweise oder machen eine falsche Bewegung, bei der sie sich eine Verletzung zuziehen. Dabei handelt es sich meist um muskuläre Akutverletzungen, beispielsweise Zerrungen. "Häufig im Bereich Knie, Nacken, unterer Rücken – das sind die Gefahrenpunkte."

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Führt man die Bewegungen nicht korrekt aus, kann es auf lange Sicht zu Fehlhaltungen kommen. Um das zu vermeiden und die Haltungen zu optimieren, braucht es in der Regel Hilfestellungen von außen. Wenn das nicht passiert, trainiert man entweder an seinen Schwächen vorbei und verlagert die Belastung auf andere Körperteile – oder "man gewöhnt sich Bewegungsmuster an, die Dysbalancen verstärken und die Verletzungsgefahr erhöhen können." Hat man falsche Bewegungsmuster erst einmal verinnerlicht, kann es sehr lange dauern, diese neu zu lernen. "Das gilt auch für Fortgeschrittene", sagt die Sportwissenschaftlerin. Deshalb rät sie auch routinierten Yogis, regelmäßig unter Aufsicht eines Lehrenden zu trainieren.

Die eigenen Grenzen beachten

Im Allgemeinen sei Yoga aber eine relativ sichere Sportart, betont Tessa Temme. Das zeigt beispielsweise eine Studie der Universität Tübingen. Auf 1000 Stunden Yoga kommen im Durchschnitt 0,6 Verletzungen – eine eher geringe Quote. Allerdings wird in der Studie auch klar: Je weniger Anleitung und Korrektur es beim Yoga gibt, desto höher die Verletzungsgefahr. Wer online üben will, sollte sich deshalb an bestimmte Vorgaben halten.

"Wenn man Überkopf-Positionen und starke Vor- und Rückbeugen erst einmal vermeidet und auf seine eigenen Grenzen achtet, kann man größere Verletzungen vermeiden", sagt Tessa Temme auf. Von Yoga-Videos, in denen sogenannte Props – Gurte, Blöcke, Kissen – zum Einsatz kommen, sollte man als Anfänger besser absehen, weil es dafür Vorkenntnisse braucht: "Eigentlich sollen diese Hilfsmittel die Bewegung erleichtern. Manchmal können sie aber so platziert werden, dass sich die Bewegung intensiviert. Man muss schon genau wissen, wo man was hinlegen muss."

Woran man gute Yoga-Videos erkennt

Professionelle Yoga-Anleitungen zu finden, ist in dem Über-Angebot von Videos, die es inzwischen im Internet zu finden gibt, nicht einfach. Aber es gibt Anhaltspunkte, an denen man sich orientieren kann. Tessa Temme zählt auf: "Meistens gibt es zu Beginn eine Einleitung. Da sollte das Niveau der Yoga-Praxis angesprochen werden. Die lehrende Person sollte bei der Ausführung der Übungen Alternativen anbieten, auf mögliche Schwierigkeiten und Fehler hinweisen – die Fehler vielleicht auch mal zeigen."

Generell empfiehlt die Sportwissenschaftlerin, weniger auf Youtube zu suchen als eher Angebote von Yoga-Institutionen oder Yoga-Studios wahrzunehmen. Oft werden die Lehrer, die die Stunden anleiten, auf den entsprechenden Webseiten vorgestellt. "Da kann man sich ein Bild davon machen, wer das ist und was für eine Qualifikation dahintersteht." Für den BDYoga sind Online-Live-Kurse die beste Alternative zu Präsenzkursen. Dabei sollte der Lehrende die Teilnehmer über den Bildschirm sehen können. Außerdem sollte die Möglichkeit bestehen, die Lehrperson persönlich zu kontaktieren, um sich auszutauschen und Fragen zu stellen.

Vorteile von digitalen Yoga-Angeboten

Beherzigt man die Empfehlungen und greift auf professionelle Yoga-Anleitungen zurück, hat das digitale Angebot durchaus Vorzüge: Man benötigt kaum Ausrüstung, man kann verschiedene Kursformate und Yoga-Stile testen, man ist flexibler und spart Zeit. Der größte Vorteil besteht aber darin, dass "jetzt mehr Möglichkeiten bestehen, an Bewegungsaktivitäten teilzunehmen", meint Tessa Temme. Yoga habe sich dadurch noch weiter verbreitet und neue Zielgruppen erreicht. Zum Beispiel jüngere Leute, die eher fitnessorientiert sind und Yoga als Ausgleich wahrnehmen.

Damit verändere sich auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Das bestätigt die aktuelle Studie des BDYoga. War Yoga 2018 hauptsächlich unter Frauen beliebt, liegen jetzt beide Geschlechter auf einem vergleichbaren Level. Unter den Befragten gaben 17 Prozent der Männer an, regelmäßig zu praktizieren. Bei den Frauen waren es 22 Prozent.

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Trotzdem seien Präsenz-Kurse den digitalen Stunden immer vorzuziehen. "Ein Online-Angebot kann das niemals ersetzen", sagt Tessa Temme. Vor allem für Anfänger sind Youtube-Videos keine Alternative zum Präsenzunterricht, betont der BDYoga. Für erfahrene Yogis können Online-Angebote eine sinnvolle Ergänzung sein oder eine Alternative, wenn sie gerade kein passendes Präsenzangebot finden. Tessa Temme stimmt dem zu. "Digitale Yoga-Angebote helfen Leuten, die sonst keine Möglichkeit haben, ein Angebot vor Ort wahrzunehmen." Für manche Menschen sei das die einzige Gelegenheit, sich angeleitet zu bewegen. "Das ist immer besser als nichts."

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