Viele ekeln sich vor ihr, haben schlimme Bilder im Kopf. Wenn Lucy aber die Arbeit erst einmal aufgenommen hat, wird sie schnell zur besten Freundin von Patienten – und Ärzten. Denn Lucy kommt dann zum Einsatz, wenn nur noch chirurgische Eingriffe helfen.
Fliegenlarven können chronische Wunden heilen
Lucy heißt eigentlich Lucilia sericata und ist eine Fliege, eine Goldfliege genauer gesagt. Und um ganz genau zu sein, ist es nicht das ausgewachsene Insekt, das im Klinikum den Patienten gereicht wird, sondern dessen Larven. „In eine Art Teebeutel verpackt werden 50 bis 300 Fliegenmaden auf eine chronische Wunde gelegt“, erklärt Wundschwester Susanne West. Dann kommt ein Verband darüber, die Larven legen los mit ihrer Arbeit.
Was unappetitlich klingt, hat aus medizinischer Sicht durchaus Sinn: Die Tierchen verflüssigen abgestorbenes Gewebe, schlürfen den Brei auf und regen so die Wundheilung an. Auch die Ausscheidungen zeigen nachweislich positive Wirkungen, erklärt West. Schon seit Jahren findet die Therapie nicht nur in Merseburg Anwendung.
Larven ersetzen schweren chirurgischen Eingriff
Den Nutzen der Fliegen erkannte man, so seltsam es klingt, bereits bei Kriegsversehrten, die erst nach einer Weile vom Schlachtfeld in die Lazarette transportiert wurden.
Der Einsatz der Fliegenlarven ersetzt das sogenannte Débridement. So wird die Entfernung von infiziertem, geschädigtem oder abgestorbenem Gewebe aus Wunden bezeichnet. Die Larven erledigen dies, während die Patienten im Bett liegen. Die Alternative wäre nur ein deutlich schwererer chirurgischer Eingriff. Patienten berichten von einem Kribbeln, Schmerzen sollen die Larven nicht verursachen.
So werden die Fliegenlarven für die Medizin herangezüchtet
„Sie haben ja auch keine Zähne, mit denen sie zubeißen können“, betont Pharmareferentin Miriam Filla. Im Auftrag der Firma Biomonde berät sie das Carl-von-Basedow-Klinikum zum Einsatz der Fliegenlarven, die unter Laborbedingungen extra für therapeutische Zwecke herangezüchtet werden.
Am Sitz des Unternehmens in Hamburg erfolgt die Zucht relativ einfach: In Regalen stehen mehrere Boxen, in denen unterschiedlich große Fliegenkolonien leben. Deren Größe hängt davon ab, wie viele Larven benötigt werden. „Wir können die Larven ja nicht auf Vorrat produzieren, weil die sich dann verpuppen und zu Fliegen weiterentwickeln“, erklärt Miriam Filla.
So wie die Krankenhäuser bestellen, wird zeitnah gezüchtet. Dann beginnt die Eiablage und Ernte. „Dazu werden kleine lichtundurchlässige Dosen mit einem Medium in die Boxen gestellt“, erzählt Filla. Dessen Duft lockt die Fliegen an, die schließlich ihre Eier in den Dosen ablegen. Nach der Ernte wird ein Teil für die Aufzucht neuer Fliegen abgezweigt, der Rest der Eier wird desinfiziert. In einem Inkubator schlüpfen dann die Larven.
Trotzdem will nicht jeder Patient mit den Larven behandelt werden
Seit zehn bis 15 Jahren, schätzt Wundschwester Susanne West, kommen Fliegenlarven im Basedow-Klinikum schon zum Einsatz. Wie viele Patienten damit behandelt wurden, lasse sich jedoch nicht sagen. „Es ist immer abhängig vom Einzelfall, ob die Therapie angebracht ist“, sagte sie. Außerdem sei die Vorstellung, Fliegenlarven in einer Wunde krabbeln zu lassen trotz Aufklärung nicht für alle Patienten eine Option. Vergleichbar seien die Reaktionen mit dem Einsatz von Blutegeln in der Medizin.
Die Fliegenlarven finden aus hygienischen Gründen übrigens nur einmalige Verwendung. „Etwa vier Tage verbleiben die Larven in den Wunden“, sagt Filla. In dieser Zeit hat Lucy in der Regel dann das 100-fache ihres ursprünglichen Gewichts – und dem Patienten hoffentlich geholfen.
Dieser Artikel wurde verfasst von Michael Bertram
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