Unbehandelt gefährdet eine Hyperthyreose in der Gravidität die Schwangere und den Embryo, gleichzeitig sind Therapeutika assoziiert mit Fehlbildungen. Aktuelle Leitlinien empfehlen für das erste Trimester eine Umstellung auf Propylthiouracil, im zweiten Trimester Thiamazol oder Carbimazol. Das Bulletin für Arzneimittelsicherheit veröffentlichte kürzlich Daten zum tatsächlichen Verschreibungsverhalten.
Bei einer Hyperthyreose stellen die Thyreostatika Thiamazol, Carbimazol sowie Propylthiouracil eine wichtige Therapiesäule dar. Allerdings mahnte 2019 ein Rote-Hand-Brief, dass eine wirksame Kontrazeption erforderlich ist, wenn Carbimazol und Thiamazol von gebärfähigen Frauen eingenommen wird. Insbesondere nach Einnahme im ersten Schwangerschafts-Trimester und bei einer hohen Dosis wurden gehäuft angeborene Fehlbildungen beobachtet. Zur Erinnerung: Carbimazol ist das Prodrug von Thiamazol. Im Idealfall ist die Therapie einer Hyperthyreose vor Eintritt einer Schwangerschaft abgeschlossen (s. Kasten „Formen der Hyperthyreosen und Therapiestrategien“). „Eine unbehandelte manifeste Hyperthyreose stellt für Schwangere selbst und für den Fetus eine Gefährdung dar. Sie kann zur thyreotoxischen Krise führen, zu intrauteriner Wachstumsretardierung; Präeklampsie tritt häufiger auf, ebenso Spontanaborte, Früh- und Totgeburten“, weist Embryotox, das Pharmakovigilanz – und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité, auf das Dilemma hin [1].
Im ersten Trimester Propylthiouracil
In einer großen Kohortenstudie in Korea wurden 1120 Schwangere mit Thiamazol-Einnahme und 9930 mit Propylthiouracil-Einnahme eingeschlossen. Unter Propylthiouracil stiegen pro 1000 Lebendgeburten die Fälle der angeborenen Fehlbildungen auf 8,81 (95% KI: 3,92 bis 13,70) und unter Thiamazol auf 17,05 Fälle (95% KI: 1,94 bis 32,15) an. In der Thiamazol-Gruppe war eine hohe kumulative Dosis (> 495 mg) während des ersten Trimesters mit einem erhöhten Risiko für eine Fehlbildung verbunden, verglichen mit einer niedrigen (1 bis 126 mg), adjustierte Odds Ratio: 1,87 (95% KI: 1,06 bis 3,30) [7, 8]. Laut Embryotox scheint Propylthiouracil zu keinem charakteristischen Fehlbildungsmuster zu führen und erhöhte in der Mehrzahl der Studien auch nicht das Gesamtfehlbildungsrisiko. Allerdings kamen zwei Verschreibungsstudien aus Korea und Dänemark zum gegenteiligen Ergebnis, denn die Therapie im ersten Trimenon führte rechnerisch ebenfalls zu einer leichten Risikoerhöhung (Odds Ratio 1,16 (95%-KI: 1,07 bis 1,25) [1, 9]. Ein womöglich leicht erhöhtes Fehlbildungsrisiko kann somit nicht mit völliger Sicherheit ausgeschlossen werden [2]. Obgleich die Datenlage insgesamt noch unzureichend ist, empfehlen Leitlinien daher nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung im ersten Trimester die Umstellung auf Propylthiouracil. Dies geschieht im Idealfall bereits vor der Konzeption, um eine ausreichende Kontrolle der Schilddrüsenfunktion in der sensiblen Phase zu Beginn der Schwangerschaft zu gewährleisten. Erkauft wird die Sicherheit für das Ungeborene jedoch mit einer erhöhten Lebertoxizität für die Mutter. Denn schwerwiegende unerwünschte Wirkungen treten unter Propylthiouracil häufiger auf. Das führt auch zu der Empfehlung in der aktuellen Leitlinie der European Thyroid Association aus 2018, nach der vollendeten 16. Schwangerschaftswoche eine Umstellung auf Thiamazol oder Carbimazol zu erwägen [3].
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Festzuhalten ist, dass bei allen drei Wirkstoffen, wenn sie während des ersten Schwangerschaftsdrittels zum Einsatz kommen, die niedrigste erforderliche Dosis verwendet werden sollte. Während Propylthiouracil zwei- bis dreimal täglich eingenommen werden muss, genügt bei Carbimazol oder Thiamazol die einmal tägliche Gabe. Zudem warnt die Fachinformation von Propylthiouracil vor dem möglichen Auftreten einer Agranulozytose [5].
In der Praxis meist Carbimazol/Thiamazol
So viel zur Theorie, aber wie sieht die Praxis aus? Wie häufig und von welchen Facharztgruppen Thyreostatika verordnet werden und wie viele Schwangerschaften unter Therapie eintreten, untersuchte nun ein Pharmakovigilanzprojekt und publizierte die Ergebnisse im Bulletin für Arzneimittelsicherheit des Paul-Ehrlich-Instituts im Juni 2023 [4]. Hierfür werteten die Wissenschaftler Daten der pharmakoepidemiologischen Forschungsdatenbank GePaRD aus den Jahren 2004 bis 2020 aus. Sie umfasst Informationen von rund 25 Millionen Versicherten aus vier gesetzlichen Krankenkassen.
Jährlich wurde im Durchschnitt 7774 Mädchen beziehungsweise Frauen im gebärfähigen Alter mindestens ein Thyreostatikum (Thiamazol, Carbimazol, Propylthiouracil) verordnet. Als gebärfähig galten 13- bis 49-jährige Frauen. Insgesamt nahm die Verordnungsprävalenz mit steigendem Alter zu – analog zum epidemiologischen Anstieg der Erkrankungshäufigkeit.
In der Längsschnittanalyse erhielten tatsächlich mit 47% bzw. 48% sehr viele Frauen Carbimazol oder Thiamazol als Erstverordnung, während nur 5% der Neunutzerinnen auf Propylthiouracil eingestellt wurden. Die meisten Verordnungen erhielten Patienten von Allgemeinmedizinern und Internisten. Die Mehrheit der Frauen (87%) nahmen nur ein Thyreostatikum ein, bei 12% konnte ein Wechsel auf ein zweites Thyreostatikum beobachtet werden. Nur 1% der Patientinnen nahm über die Zeit drei verschiedene Wirkstoffe ein.
Verordnung rückläufig
Insgesamt sank die Zahl der Verschreibungen von Thyreostatika an gebärfähige Frauen: Während 2004 die altersstandardisierte Verordnungsprävalenz von Thyreostatika bei Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter noch bei 2,71 pro 1000 lag, ging sie 2020 auf 1,84 pro 1000 zurück. Der Rückgang geht hauptsächlich auf sinkende Verordnungszahlen von Carbimazol (-46%) und Thiamazol (-21%) zurück, während die Verordnungen von Propylthiouracil im Beobachtungszeitraum auf einem niedrigen Niveau stabil blieben.
Interessanterweise unterscheiden sich die Trends je nach Altersgruppierung (s. Abb.). So halbierte sich die Verordnungsprävalenz bei den Frauen in der Altersklasse 46 bis 49 Jahre zwischen 2004 und 2020 fast (-49%). Bei den 41- bis 45-Jährigen gingen die Verschreibungen um 38% zurück, in der Altersklasse zwischen 26 bis 40 Jahren sanken sie um 26 bis 28% und bei den 21- bis 25-Jährigen nur 15%. Ein Anstieg war hingegen um 29 bis 39% in der jüngsten Altersgruppe bei Frauen zwischen 13 und 20 Jahren zu beobachten.
40 bis 50% der Frauen erhielten alle Verordnungen von nur einem Arzt – mit Ausnahme der Altersgruppe der 13- bis 17-Jährigen, bei denen zwei Drittel von mehreren Ärzten behandelt wurden.
Carbimazol/Thiamazol: Verhütung nötig
Während des Beobachtungszeitraums traten 13.586 Schwangerschaften bei 9723 Frauen auf. Dass die Therapie im Vorfeld beendet werden konnte, stellt den Idealzustand dar. Bei niedrigen Dosierungen wird ein Auslassversuch zu Beginn der Schwangerschaft unter Umständen sogar explizit empfohlen. Denn eine leichte Hyperthyreose sei für Schwangere wie Feten in der Regel besser tolerabel als eine leichte Hypothyreose [3, 5]. Glücklicherweise verliefen zwei Drittel der Schwangerschaften ohne Anwendung von Thyreostatika. Bei 16% trat die Schwangerschaft während der Behandlung mit einem Thyreostatikum ein, bei 17% wurde sie während der Schwangerschaft begonnen. Wenn Schwangere bereits beim Eintritt der Schwangerschaft Carbimazol oder Thiamazol eingenommen haben, wurde es bei jeder Dritten (32%) im ersten Trimester erneut verordnet. Umgestellt auf Propylthiouracil wurden 16% der Schwangeren, wobei dieser Anteil im Verlauf der Studie anstieg. 55% der Frauen, die mit Eintritt der Schwangerschaft Propylthiouracil einnahmen, hatten bereits im Vorfeld von Carbimazol oder Thiamazol gewechselt. Die Autoren deuten die Daten als Hinweis dafür, dass Ärzte die relevanten Leitlinien berücksichtigen. Ärzte sollen kontinuierlich überprüfen, ob Frauen während der thyreostatischen Therapie sichere Verhütungsmaßnahmen ergreifen.
Kontrolle nach Geburt nötig
Grundsätzlich haben alle Thyreostatika gemeinsam, dass bei dem Neugeborenen eine zusätzliche Schilddrüsenkontrolle 14 Tage nach der U2 durchgeführt werden soll. „Studien zufolge muss bei 10 bis 25% der intrauterin exponierten Neugeborenen mit einer vorübergehenden Hypothyreose gerechnet werden. Laborchemisch ist diese nicht immer schon am dritten Lebenstag nachweisbar. Sie kann bei der Vorsorgeuntersuchung U2 übersehen werden, wenn das Screening sehr früh durchgeführt wird“, so Embryotox. Seltener sei eine Hyperthyreose beim Neugeborenen möglich, etwa beim diaplazentaren Antikörperübergang einer Morbus-Basedow-Erkrankung der Mutter [1]. Sie ist zugleich die häufigste Ursache einer Hyperthyreose. Dabei entwickeln Patienten Autoantikörper gegen den Rezeptor für das Thyroidea-stimulierende Hormon (TSH), die diesen ungeregelt aktivieren und zu den klassischen Symptomen einer Hyperthyreose führen. Die Erkrankung tritt mit und ohne sichtbaren Exophthalmus (endokrine Orbithopathie) auf.
Formen der Hyperthyreosen und Therapiestrategien
Bei einer Hyperthyreose ist die Ausschüttung der Schilddrüsenhormone Levothyroxin und Triiodthyronin gesteigert. In Folge sind Körpertemperatur, Herzzeitvolumen, Herzfrequenz, Erregbarkeit und Stoffwechsel der Patienten erhöht und sie leiden an Herzklopfen, Hitzeunverträglichkeit, Durchfällen sowie Schwitzen.
Man unterschiedet nicht-immunogene von immunogenen Hyperthyreosen. Bei nicht-immunogenen Formen liegen autonome Adenome („heiße“ Knoten) der Schilddrüse vor, die nicht mehr der hypothalamisch-hypophysären Regelung unterliegen, sondern autonom die Schilddrüsenhormone produzieren und in die Blutbahn abgeben. Bei den immunogenen Hyperthyreosen liegt eine diffuse Vergrößerung der Schilddrüse vor (sogenannte diffuse toxische Struma), dazu gehört z. B. die Autoimmunerkrankung Morbus Basedow, bei der Autoantikörper (TSH-Rezeptor-Antikörper) eine langanhaltende Schilddrüsenstimulation hervorrufen. Ziel der Behandlung einer Hyperthyreose ist es, Folgeschäden zu vermeiden und Symptome zu lindern. Thyreostatika wie Propylthiouracil, Thiamazol und Carbimazol hemmen die Organfunktion und damit die Bildung der Schilddrüsenhormone. Neben konservativen Therapien mit Thyreostatika sind definitive Therapien die Radioiod-Therapie und die chirurgische Entfernung von hypersekretorischem Schilddrüsengewebe.
Bei nicht-immunogenen Formen ist eine definitive Behandlung in der Regel angezeigt. Allerdings müssen auch diese Patienten vor der Operation oder bis zum Eintritt der Wirkung einer Radioiod-Therapie Thyreostatika überbrückend einnehmen [6].
Literatur
[1] Online-Auftritt des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryo-naltoxikologie, https://www.embryotox.de/erkrankungen/details/ansicht/erkrankung/hyperthyreose/ Abruf am 03.08.2023
[2] Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. Informationen aus BfArM und PEI, Stand: Dezember 2019, Ausgabe 4, S. 24
[3] Kahaly G, Bartalena L, Hegedüs L et al. European Thyroid Association Guide-line for the Management of Graves‘ Hyperthyroidism, European Thyroid Journal 2018, Doi: https://doi.org/10.1159/000490384
[4] Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. Informationen aus BfArM und PEI, Juni 2023, Ausgabe 2, S. 39 – 43
[5] Fachinformation für Propycil® 50 mg Tabletten, Admeda Arzneimittel GmbH, Stand Juli 2017
[6] Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. 11., völlig neu bearbeitete Auflage 2020, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
[7] Seo GH et al. Antithyroid Drugs and Congenital Malformations A Nationwide Korean Cohort Study, Ann Intern Med 2018;168(6):405-413, doi: 10.7326/M17-1398
[8] Morales DR et al. Antithyroid drug use during pregnancy and the risk of birth defects in offspring: systematic review and meta-analysis of observational studies with methodological considerations. BJCP 2021;87(10):3890-3900, https://doi.org/10.1111/bcp.14805
[9] Online-Auftritt des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie, https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/propylthiouracil/, Abruf am 10.08.2023
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