Gesundheit

Drosten warnt vor Pseudo-Sicherheit: So aussagekräftig sind Schnelltests bei Geimpften

Ab einer Hospitalisierungsrate von 6 gilt künftig 2G plus. Heißt: Auch Geimpfte und Genesene brauchen einen Schnelltest. Virologe Christian Drosten bezweifelt, dass das die Sicherheit tatsächlich erhöht. Auch der Chef der Laborärzte sieht den Nutzen von Schnelltests bei Geimpften kritisch.

Die Corona-Zahlen schnellen immer weiter in die Höhe. Lag die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz Ende Oktober noch unter der 140er-Marke, meldet das Robert-Koch-Institut am Sonntag 372,7 Fälle pro 100.000 Einwohner und Woche – schon wieder ein Rekordwert.

Um eine weitere Eskalation der Lage zu verhindern und die Kliniken vor dem Kollaps zu bewahren, gelten ab kommender Woche strengere Regeln. Maßgeblich dafür laut dem neuen Gesetz der künftigen Ampel-Koalition, dem am Freitag nach dem Bundestag auch der Bundesrat zugestimmt hat: die Hospitalisierungsrate. Sie gibt an, wie viele Menschen in einem Bundesland je 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert worden sind.

Ab einer Hospitalisierungsrate von 6 gilt 2G plus

Steigt dieser Wert in einem Bundesland auf 6, gilt künftig 2G plus. Das bedeutet: Zutritt zu Gastronomie, Theater, Hotels und jeglichen anderen öffentlichen Veranstaltungen haben dann nur noch Geimpfte und Genesene – die zusätzlich einen aktuellen negativen Schnelltest vorlegen können. Die Weitergabe des Virus soll dadurch ausgebremst werden.

Dass Antigenschnelltests dabei jedoch relevante Vorteile bringen, bezweifelt die führende Stimme der Virologie in Deutschland, Christian Drosten. Vor Symptombeginn seien Schnelltests einfach nicht empfindlich genug, schreibt der Wissenschaftler der Berliner Charité auf Twitter.

Entsprechende Zweifel habe er bereits an der 3G-Lösung, bei der auch Ungeimpfte sich mit einem negativen Schnelltest Zutrittsrechte zu Veranstaltungen und Co. verschaffen können. "Bei Geimpften scheint die Empfindlichkeit noch schlechter."

Wie sinnvoll sind Schnelltests bei Geimpften?

Für Menschen, die geimpft sind und Symptome zeigen, hält Drosten Schnelltests zwar für ratsam. Eine blinde Testung bei gesunden Geimpften sei allerdings nicht nur logistisch schwierig, sondern möglicherweise auch "in ihrer Aussagekraft eingeschränkt", wie er gegenüber der "Bild" weiter ausführt. "Es sieht nach meiner vorläufigen Einschätzung so aus, als ob Infektionen bei Geimpften gerade in den ersten Tagen der Infektion nicht so gut durch den Antigen-Schnelltest nachzuweisen sind." Leider sei die Studienlage dazu aber noch nicht ausreichend.

Grundsätzlich kann 2G plus damit aber zu einem falschen Sicherheitsgefühl beitragen. Davor hatte Virologe Alexander Kekulé bereits bei weitreichenden 2G-Regelungen in seiner Kolumne für FOCUS Online gewarnt.

Und auch Infektiologe Christoph Spinner sieht Antigen-Schnelltests bei Geimpften kritisch. Weil ihre Virenlast oft zu gering sei, als dass sie Schnelltests erkennen würden, empfiehlt der Oberarzt vom Münchner Uniklinikum rechts der Isar selbst bei Symptomen einen PCR-Test im Labor durchzuführen. Dieser sei weitaus verlässlicher als ein Schnelltest vor Ort.

Hintergrund: Wie funktionieren Schnelltests?

In der Medizin gibt es Schnelltests auf bestimmte Viren schon lange, zum Beispiel für Streptokokken- oder Dengue-Viren. Der Mechanismus dahinter ist vergleichbar mit dem der Corona-Schnelltests. Sie weisen virales Protein nach, sogenannte Antigene. „Dafür sind die Teststreifen mit spezifischen Antikörpern beschichtet, an die das Virusprotein bindet, sofern es in der Probe enthalten ist“, erklärt Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Gießen. „Im letzten Schritt löst das eine Enzymreaktion aus, die wiederum einen Farbstoff freisetzt. Das wird dann in Form eines Strichs auf dem Test-Kit als positives Ergebnis sichtbar.“ Ist in der genommenen Probe kein Virusprotein enthalten oder zu wenig davon, bleibt genau diese Reaktion aus. Das Ergebnis des Tests: negativ.

Ähnlich bewertet auch der Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Laborärzte, Andreas Bobrowski, die Situation. Gerade bei asymptomatischen Patienten sei der PCR-Test dem Antigen-Schnelltest deutlich überlegen, zitiert ihn die "Bild". "Hier stellt die deutlich geringere Sensitivität eines Antigen-Schnelltestes ein Problem dar."

Welche Schnelltests welcher Hersteller dabei noch die besten Ergebnisse liefern – und welche ansteckende Personen nur unzuverlässig identifizieren – hatte zuletzt das Paul-Ehrlich-Institut untersucht. Mehr dazu lesen Sie hier.

In kritischen Bereichen wie Altenheimen oder Kliniken sollte man daher auf zuverlässigere PCR-Pooltests setzen, fordert auch der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit. Dabei werden Proben mehrerer Personen gleichzeitig geprüft und nur bei einem positiven Ergebnis noch einmal einzeln untersucht.

Wo bald 2G plus gilt

Eine für die 2G plus-Regel relevante Hospitalisierungsrate von mehr als 6 melden derzeit drei Bundesländer. Das sind

  • Thüringen mit 17,55
  • Sachsen-Anhalt mit 11,92 sowie
  • Bayern mit einem Wert von 9,15.

Am Sonntagvormittag laut RKI-Dashboard nur noch knapp darunter liegen zudem:

  • Baden-Württemberg mit 5,74 und
  • Mecklenburg-Vorpommern mit 5,96.

Die niedrigste Quote in Sachen hospitalisierte Covid-Patienten meldet für die vergangenen sieben Tage Hamburg mit 1,94. Dahinter folgen Niedersachen mit 2,25 und Sachsen mit 2,39.

Warum meldet Sachsen eine der niedrigsten Hospitailisierungsraten?

Wer die Corona-Nachrichten verfolgt, den macht das stutzig. So zählt Sachsen doch zu den inzidenztechnisch am stärksten betroffenen Bundesländern der Republik. Viele Experten halten die Hospitalisierungsrate angesichts dieser Diskrepanz der verschiedenen Meldewerte nur sehr bedingt für geeignet, zielgerichtet einer lokalen Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen. Das Hauptproblem: der Meldeverzug.

Dieser ist Experten nach bei der Hospitalisierungsrate deutlich größer als etwa bei der täglich gemeldeten Zahl der Neuinfektionen. Denn: Kommt ein Corona-Patient neu in eine Klinik, kann es dauern, bis das zuständige Gesundheitsamt und nachfolgend das RKI davon erfahren.

Dieser Tatsache ist sich das RKI durchaus bewusst: Die Behörde betrachtet den aktuellen Hospitalisierungswert deshalb 14 Tage lang unter Vorbehalt. Viele kritisieren die Hospitalisierungsrate dennoch. Sie sei weder eine aktuelle Zahl, noch spiegele sie die tatsächliche Belastung der Krankenhäuser wider, sagte etwa Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz.

Auch eine Expertengruppe vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung urteilte erst Ende Oktober in einem Positionspapier, dass sich die Hospitalisierungsrate nicht als Entscheidungsgrundlage für ein angemessenes Pandemie-Management eigne. Ihren Berechnungen zufolge habe die Abweichung zwischen der ausgewiesenen und der tatsächlichen Hospitalisierungsinzidenz – mit Nachmeldungen – in den vergangenen Monaten bei rund 48 Prozent gelegen.

Meldeverzug verzerrt den neuen Pandemie-Parameter

Als problematisch erachten Experten zudem die Tatsache, dass das Geschehen in den einzelnen Bundesländern aufgrund der Unterschiede beim Melden kaum miteinander vergleichbar ist. Theoretisch ist es möglich, dass bei einer eigentlich gleichen Rate an Krankenhauseinweisungen die offizielle Inzidenz in einem Bundesland noch im grünen Bereich liegt, während sie in einem anderen bereits deutlich darüber liegt – nur weil ein Land langsamer meldet als ein anderes.

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