Herr Burrack, Sie sind Ende der Achtzigerjahre schwer erkrankt: Ihre Nieren haben die Arbeit eingestellt, wahrscheinlich ausgelöst durch eine bakterielle Infektion. Nach siebeneinhalb Jahren an der Dialyse haben Sie 1994 eine neue Niere bekommen. Wie geht es Ihnen heute?
Mir geht es heute ziemlich gut. Aber ich würde gerne noch einmal auf den Begriff der „neuen Niere“ zurückkommen: Ich habe keine „neue“ Niere bekommen, auch kein „fremdes“ Organ, sondern die Niere eines Fremden. Das klingt ein wenig kleinlich, es ist aber ein wichtiger Unterschied. Ab dem Moment, in dem diese Niere von meinem Blut durchströmt wurde, war es meine.
Was hat sich durch die Organspende für Sie verändert?
Während der Dialyse hatte ich keine Urinausscheidung mehr und plötzlich konnte ich wieder auf die Toilette gehen. Für Außenstehende mag das seltsam und banal klingen. Aber es ist tatsächlich ein bedeutender Unterschied, vor allem in der Lebensqualität. Es gibt einen Werbespot, in dem ein älterer Mann nachts aufwacht, gequält auf die Uhr schaut und sich dann zum Klo schleppt. Für einen Nierentransplantierten wie mich ist dieses Bild total daneben, weil ich mich jedes Mal freue, wenn ich auf die Toilette gehen kann. Ganz zu schweigen von den sonstigen Einschränkungen, die eine Dialyse mit sich bringt: Ich musste auf meine Trinkmenge achten, 0,7 Liter pro Tag war die Grenze, und ich durfte auch nicht alles essen. Eine Tafel Schokolade hätte mich damals umbringen können – wegen des relativ hohen Kaliumgehalts. Heute esse ich wieder Schokolade und die einzige Nebenwirkung ist, dass ich vielleicht ein wenig zunehme – wie jeder andere Mensch auch.
Heiko Burrack ist Gründer einer Agenturberatung und hat vor mehr als 25 Jahren eine Spenderniere bekommen. Vor kurzem erschien sein Buch „Leben hoch zwei – Fragen und Antworten zu Organspende und Transplantation“ im Verlag „medhochzwei“.
Wie haben Sie damals gemerkt, dass mit den Nieren etwas nicht stimmt?
Ich habe es zunächst gar nicht bemerkt und bin eines Tages mit massiv hohem Blutdruck kollabiert. Danach bin ich sehr schnell an die Dialyse gekommen. Viele Organe, auch die Nieren, haben eine hohe Toleranz. Sie können viel wegstecken, aber irgendwann ist Schluss.
Zu dieser Zeit gab es noch keine Handys. Wie hat Sie die Nachricht erreicht, dass es eine Spenderniere gibt?
Ich habe zu der Zeit in Göttingen studiert und ein Eurosignal-Gerät bei mir gehabt. Das Gerät ist ein schwarzer Kasten und ist in etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel. Ich habe darauf nur vier verschiedene Anrufe empfangen können – dann blinkte und piepte es. An dem Tag, an dem der Anruf kam, hatte ich das Gerät aber nicht bei mir. Meine Mutter wusste aber, dass ich mich in einem bestimmten Gebäude an der Uni Göttingen aufhielt. Ich wurde ausgerufen und mir kam ein Freund entgegen, den sonst nicht viel aus der Ruhe bringen kann. Er war aber sichtlich nervös und fuhr mich ins Transplantationszentrum nach Hann. Münden. Dort wurde ich ein paar Stunden dialysiert und im Anschluss operiert.
Damals waren Sie gerade einmal 18 Jahre alt. Kommt da nicht unweigerlich die Frage auf „Warum gerade ich?“
Natürlich. Auf der anderen Seite war ich und bin ich dankbar, dass ich damals behandelt werden konnte. Es gibt nicht viele Länder, in denen Patienten, die eine Dialyse benötigen, auch tatsächlich eine bekommen. Ich hatte also richtig viel Pech, aber auch viel Glück. Meine Niere hält mittlerweile seit mehr als 25 Jahren. Auch damit habe ich Glück und bin eine echte Rarität.
Damit das so bleibt, müssen Sie Medikamente einnehmen, sogenannte Immunsuppressiva. Sie verhindern, dass Ihr Körper die Niere abstößt. Schränkt Sie das im Alltag ein?
Eigentlich nicht. Ich nehme meine Tabletten zwei Mal täglich – einmal morgens, einmal abends, mit einem Abstand von zwölf Stunden. Ich darf die Tabletten weder zu früh noch zu spät einnehmen. Die Toleranz beträgt etwa eine halbe Stunde, damit der Medikamentenspiegel im Blut möglichst konstant bleibt.
In einem Vorab-Gespräch haben Sie erzählt, dass die Spenderniere für Sie spürbar ist. Sie können sie tasten. Was bedeutet das für Sie?
Die Niere ist im „kleinen Becken“ eingesetzt und dort so, dass ich sie tasten kann. Die Nähe zu meiner Niere wird dadurch nochmals deutlicher und auch meine Dankbarkeit. Dies ist für mich ein großes Thema. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an den Spender, an die Spenderin und deren Familie denke. Vor kurzem habe ich das Buch „Leben hoch zwei“ zum Thema Organspende geschrieben und dadurch ist ein gewaltiges Stück Demut dazu gekommen. Ich finde es bewundernswert, dass Menschen auch in schlimmen Situationen den Mut zu einer solchen Entscheidung haben und sagen: Ja, wir machen eine Organspende.
Warum haben Sie ein Buch zu dem Thema geschrieben?
Meine Aufklärung als Empfänger liegt schon eine Weile zurück. Ich habe begonnen, mich erneut mit dem Thema auseinanderzusetzen und habe gemerkt, dass es relativ schnell kompliziert wird. Gerade im Internet gibt es zu dem Thema sehr viel Halbwissen, sehr viele Vorurteile. Was ich erstaunlich finde, ist, dass es dieses Halbwissen auch bei Ärzten gibt. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Gefäßchirurgen, der mich fragte, ob es denn erwiesen sei, dass bei einem Hirntod wirklich alle Nervenzellen abgestorben seien. Das wisse man ja nicht. Ich habe dann recherchiert und mit Experten gesprochen. Und es zeigte sich: Natürlich kann man nicht sagen, dass bei einem Hirntoten alle Nervenzellen abgestorben sind. Aber man weiß, dass die gesamte Hirnfunktion unwiderruflich erloschen und nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Mein Ziel war es, mich diesem Halbwissen zu stellen und zu hinterfragen: Was stimmt? Und was stimmt eben nicht?
Viele Politiker, darunter auch Gesundheitsminister Jens Spahn, fordern die Einführung der sogenannten doppelten Widerspruchslösung. Das bedeutet: Jeder, der nicht aktiv einer Spende widerspricht, kommt als Spender infrage. Es sei denn, nahestehende Angehörige legen ein Veto ein. Was sagen Sie zu dem Ansatz?
In Deutschland gilt aktuell die Entscheidungslösung, was bedeutet, dass sich mögliche Spender mit dem Thema auseinandergesetzt haben – sich also aktiv für oder gegen eine Spende aussprechen können. Das finde ich grundsätzlich gut. Beide Entscheidungen sind zu akzeptieren. Gerade im Hinblick auf die viel zu langen Wartezeiten, glaube ich aber, dass man keine andere Möglichkeit hat, als alle Register zu ziehen. Das Wichtigste ist aber sicher das, was in den Krankenhäusern passiert – also dass die Stellung des Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern gestärkt wird. Dass es zu einer sinnvolleren und faireren Honorierung kommt. Dass es genügend Neurologen und Neurochirurgen gibt, die auf konsiliarischer Basis den Hirntod auch in kleineren Kliniken feststellen können. Das sind ganz entscheidende Schritte, die kürzlich von der Politik angestoßen wurden. Aber auch die Widerspruchslösung ist ein weiterer wichtiger Hebel.
Kritiker argumentieren, dass die doppelte Widerspruchslösung den Leuten eine Entscheidung aufzwängt. Ganz nach dem Motto: Wer nicht Nein sagt, wird schon Ja meinen.
Wir sollten kurz definieren, über was wir uns unterhalten: Es geht schlicht und ergreifend darum, Leben zu retten. Jeder, für den ein gespendetes Organ die letzte Möglichkeit ist, um zu überleben, kann und soll erwarten, dass er oder sie auf eine entsprechende Liste kommt. Kann man dann nicht auch verlangen, dass man für sich eine Entscheidung trifft, was aus seinen Organen wird, wenn der unwahrscheinliche Fall des Hirntodes eintreten sollte? Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, finde ich schon, dass dies nicht zu viel verlangt ist.
+++ Lesen Sie dazu auch die Multimedia-Reportage: „Die Spende“ +++
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