Die Corona-Pandemie hat die Welt fest im Griff. In vielen Ländern gibt es Ausgangsbeschränkungen, Schulen haben geschlossen, das öffentliche Leben steht still. Die Menschen sind dazu angehalten, Abstand voneinander zu halten. Doch wie soll das möglich sein, wenn man keine eigene Wohnung hat und sich einen Wasserhahn mit hunderten anderen teilt? Nach Angaben des griechischen Bürgerschutzministeriums leben mehr als 40.700 Migranten auf den griechischen Inseln – dabei liegt die Kapazität eigentlich bei rund 7000 Plätzen. In Flüchtlingscamps wie Moria auf Lesbos sind die Hygienebedingungen katastrophal. Menschen leben auf engsten Raum zusammen. „Das ist leider ein idealer Nährboden für eine rasche Verbreitung des Virus“, sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, der Deutschen Welle. „Sich unter solchen Umständen gegen das Coronavirus zu schützen ist fast unmöglich.“
„Zoe heißt Leben“ von Zoe Katharina, Patmos Verlag, 172 Seiten, 18 Euro
„Das Virus unterscheidet nicht zwischen Hautfarbe, Religion oder Herkunftsland“
Das Coronavirus hat sich noch nicht in den Flüchtlingslagern ausgebreitet. Trotzdem hat die Corona-Krise schon jetzt schwerwiegende Auswirkungen auf die Situation von Flüchtlingen. Der stern hat mit einer Seenotretterin über die aktuelle Situation gesprochen. Zoe Katharina, geboren 1996, war für die Organisation „Jugend rettet“ auf dem Erstversorgerschiff Iuventa im Mittelmeer im Einsatz und hat geflüchtete Menschen vor dem Ertrinken gerettet. Sie ist Teil der Seenotrettungscrew „Iuventa10“, die von Amnesty International mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde. Seit 2017 ermittelt die Staatsanwaltschaft in Sizilien gegen die Gruppe „Iuventa10“ wegen Beihilfe zur illegalen Einreise. Ihr droht bis zu 20 Jahre Haft. Unter ihrem Vornamen hat sie ein Buch über ihre Erfahrungen als Seenotretterin geschrieben, ihren Nachnamen will sie nicht verraten.
Zoe Katharina, welche Auswirkungen hat das Coronavirus schon jetzt auf die Situation von Flüchtlingen?
Eine sehr große. Die Sichtbarkeit der Flüchtlingsthematik ist im Moment gering, weil Corona das Thema ist. Deswegen wissen viele nicht: Die Rettungsschiffe können nicht mehr auslaufen. Der Familiennachzug wurde eingestellt. Deutschland wollte Flüchtlingskinder von den griechischen Inseln aufnehmen, die wurden nicht evakuiert. In den Lagern in Griechenland leben über 40.000 Menschen. Hier in Deutschland versuchen wir, zwei Meter Abstand zu halten. Aber Menschen, die keine Wohnung haben, können sich nicht in Selbst-Quarantäne begeben. Wenn dort das Virus ausbricht – ich will mir gar nicht vorstellen, was dann passiert. Die medizinische Versorgung ist dort katastrophal, so war es auch schon früher. Händewaschen, Hygiene, Abstand halten, das kann dort einfach nicht eingehalten werden.
Das Virus unterscheidet nicht zwischen Hautfarbe, Religion oder Herkunftsland. Besonders anfällige und finanziell schwache Menschen brauchen jetzt Schutz – und darunter fallen vor allem Menschen, die flüchten.
Wie könnte man die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass es Menschen mit weniger Schutzmöglichkeiten vor dem Virus gibt?
Eigentlich kann jeder etwas tun, indem er darüber spricht, so wird das Thema sichtbarer. Es gibt den Hashtag #LeaveNoOneBehind. Postet ihn, macht Videos, bringt das Thema ins öffentliche Leben! Die Seebrücke ruft zu einem „peopleless protest” auf. Man kann Plakate und orangene Sachen als Zeichen der Solidarität in die Fenster hängen und Fotos davon unter #LeaveNoOneBehind posten. Jetzt müssen andere Plattformen genutzt werden, sich draußen zu versammeln geht nicht mehr.
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Könnte das Coronavirus ein neuer Fluchtgrund werden?
Es gibt immer genug Gründe, warum man flieht. Man verlässt nicht ohne Grund sein zu Hause. Auch das Coronavirus kann einer davon sein.
Ist Seenotrettung angesichts der aktuellen Situation möglich?
Die Reisebeschränkungen betreffen natürlich auch die Crews. Man kann keine Crew zusammenstellen, wenn man nicht reisen darf. Die Schiffe werden, sobald sie in Europa anlegen, in Quarantäne gehalten. Das führt dazu, dass kein Schiff draußen ist.
Genauso wie kleine Unternehmen hat die private Seenotrettung jetzt ein Problem. Die Kosten für das Schiff müssen weiterhin bezahlt werden. Das Liegen im Hafen kostet Gebühren, das wird normalerweise durch Spenden finanziert. Jetzt gibt es aber Spendeneinbrüche. Wenn die Läden geschlossen sind, haben Werften Probleme, Sachen zu bestellen. Ein Schiff macht sehr viel Arbeit, man muss immer irgendwas machen, das ist jetzt sehr schwierig. Seenotrettung ist mehr als schwierig gerade.
NGOs fordern, dass das Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos evakuiert wird. Mission Lifeline hat sogar genug Spenden gesammelt, um Charterflüge von Griechenland nach Deutschland zu organisieren. Warum wird dem Angebot nicht nachgekommen?
Für mich ist das unverständlich. Auch, dass das Resettlement-Programm ausgesetzt wurde. Es ist die gleiche Frage wie immer: Warum zieht man Grenzen hoch und lässt Menschen unter unwürdigen Bedingungen in Lagern leben? Die Situation ist jetzt nur noch dramatischer als je zuvor.
Wofür sollte sich die EU jetzt einsetzen?
Die Grenzen waren vorher schon für Flüchtende geschlossen. Jetzt denke ich, dass es wichtiger, denn je ist, die Genfer Flüchtlingskonvention und die Menschenrechtskonvention einzuhalten. Trotz der Grenzschließung sollen Asylanträge gestellt werden dürfen. Menschen dürfen einfach nicht an Grenzen abgewiesen werden. Sie müssen die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen, egal ob Corona oder nicht. Deswegen müssen sichere Fluchtwege geschaffen werden.
Das Europaparlament hat am vergangenen Montag die Räumung von Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln gefordert. Glaubst du, dass das umgesetzt wird und dass Deutschland Flüchtlinge aufnehmen wird?
Ich wünsche es mir.
Quellen: Deutsche Welle, Seebrücke, Mission Lifeline, Amnesty International
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