Gesundheit

Ich will keine Rosen, sondern nicht mehr medizinisch benachteiligt werden

Wer kennt sie nicht, die obligatorische Rose zum Weltfrauentag, die viele Arbeitgeber an ihre Mitarbeiterinnen oder Organisationen am 8. März auf der Straße verteilen. Ich freue mich nicht über so eine Rose, denn statt Blumen, die sowieso nach wenigen Tagen in der Vase verwelken, sollten wir lieber darüber sprechen, in welchen Bereichen Frauen auch im Jahr 2022 noch benachteiligt sind. Zum Beispiel in der Medizin.

Schauen wir uns die häufigste Todesursache in Deutschland an: Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 338.001 Menschen sind 2020 laut Statistischem Bundesamt daran verstorben, 47 Prozent davon waren Männer und 53 Prozent Frauen. Obwohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland so häufig vorkommen, gibt es immer noch einen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Frauen erkranken zwar seltener an einem Herzinfarkt als Männer. Sie werden aber auch seltener behandelt und ihr Sterberisiko ist deutlich erhöht. Das zeigt eine Analyse aus Daten des Bundesamtes, wie die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie informiert. Ein Ergebnis: Zwischen 2014 und 2017 starben 15 Prozent der Frauen und 9,6 Prozent der Männer an einem sogenannten ST-Hebungsinfarkt. Eine Rolle dabei könnten das höhere Alter und altersspezifische Krankheiten bei Frauen spielen. Aber auch, dass bei Frauen häufiger Herzinfarkte nicht erkannt werden. Sie kommen mit einem Herzinfarkt im Schnitt erst zwei Stunden später in die Notaufnahme als Männer.

Geschlechtersensible Forschung


Männer sind in der Medizin der Prototyp. Das kann fatale Folgen für die Behandlung von Frauen haben

Frauen haben beim Herzinfarkt oft andere Symptome als Männer

Ein Stechen in der Brust, das in den linken Arm strahlt, lässt wahrscheinlich bei den meisten Menschen die Alarmglocken auf schrillen. Ein Herzinfarkt. Doch diese Symptome sind typisch männlich. Bei Frauen sind sie vielfältiger und werden häufig auch von Betroffenen verkannt – das kann im schlimmsten Falle tödlich enden. Kurzatmigkeit, Schweißausbrüche, Rückenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen im Oberbauch, dazu Ziehen in den Armen, ein Druck- oder Engegefühl in der Brust und eine unerklärliche Müdigkeit beschreiben die Symptomvielfalt bei einem Herzinfarkt. Hätten Sie es direkt gewusst? Oder vielleicht auch zuerst an eine harmlose Magenverstimmung gedacht? Dass viele Menschen selbst oder auch Ärzt:innen die Symptome nicht richtig deuten, liegt an einem Fehler im System. Lange wurden die Symptome, die bei Frauen bei einem Herzinfarkt auftreten, als atypisch eingestuft, weil der Mann als Modell galt. Erst in den 1980er Jahren wurde langsam klar, dass Frauen und Männer unterschiedliche Symptome bekommen können und eine Erkrankung unterschiedlich verlaufen kann. Der Herzinfarkt und die Benachteiligung von Frauen in der Medizin sind aber kein Einzelfall. In vielen medizinischen Bereichen gibt es weniger Daten zu Frauen als zu Männern. Dieses Fehlen an Daten wird als "Gender-Data-Gap" bezeichnet.

Diese Datenlücke kann für Frauen gefährlich sein. Bis in die 1990er Jahre wurden Medikamente fast ausschließlich an Männern getestet. Und die Ergebnisse auf Frauen übertragen, weil man annahm, dass biologische Prozesse bei Männern und Frauen gleich ablaufen. Das führt dazu, dass teilweise heute noch Medikamente für Frauen zu hoch dosiert sind. Seither nehmen zwar auch Frauen an Medikamentenstudien teil, doch liegt ihr Anteil oft bei nur etwa 30 Prozent. Dabei sollten in den Studien Männer und Frauen so verteilt sein, wie die Krankheiten auch bei den Geschlechtern verteilt sind, sonst können geschlechtstypische Unterschiede bei der Reaktion auf bzw. Verarbeitung von Wirkstoffen nicht entdeckt werden. Ein weiteres Problem – in einigen Untersuchungen werden Geschlechterunterschiede gar nicht untersucht oder erwähnt: "Auch zu Corona haben wir klinische Studien analysiert und festgestellt, dass das Geschlecht hier wenig beachtet wurde, obwohl gesellschaftlich bekannt war, dass Männer und Frauen unterschiedlich betroffen sind. Die geschlechterspezifische Analyse erfolgt auch heute noch zu selten", sagt Prof. Sabine Oertelt-Prigione. Sie besetzt die erste Professur für geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld.

Brustkrebs, Chlamydien, HPV


Welche Vorsorgeuntersuchungen für Frauen wirklich sinnvoll sind

Politische Maßnahmen, statt Blumen

Auch wenn das Thema geschlechterspezifische Medizin in den letzten Jahren mehr in den Fokus gerückt ist und sich auch gesetzlich seit den 1980er schon einige Punkte verändert haben, sind wir noch nicht am Ziel: Frauen werden in der Medizin immer noch benachteiligt. Einen Wandel können laut Sabine Oertelt-Prigione mehr Frauen in der Forschung bringen. Doch wirkliche Veränderung werde erst erreicht, wenn es klare Regularien gibt. Ein Lösungsvorschlag der Expertin: Es sollten nur noch Studien finanziert werden, die Geschlecht berücksichtigen. Und in Bereichen mit einer guten Datenlage sollten Ergebnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden aufgelistet werden. Außerdem braucht es gezielte Studien, um den "Gender-Data-Gap" zu schließen. Wir Frauen brauchen politische Regelungen, die dafür sorgen, dass Frauen in der Medizin genauso gut behandelt werden können wie Männer. Ich möchte zum Weltfrauentag also keine Rose, sondern mehr Daten und mehr Forschung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden, damit ein Herzinfarkt bei Frauen schneller erkannt wird oder wir Frauen alle Medikamente in der richtigen Dosierung bekommen.

Quellen: BKK, Uniklinik München, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Herzstiftung, Quarks,The New England Journal of Medicine, Statistisches Bundesamt, NDR

Quelle: Den ganzen Artikel lesen