Gesundheit

Leiter aus Allgäuer Altenheim: Mitarbeiter nähen sich Atemmasken jetzt selbst

Todesfälle in einem Würzburger Pflegeheim, Besuchsverbot für Pflegestätten, Fantasiepreise für Schutzausrüstungen – die Pflege arbeitet am Limit. FOCUS Online sprach mit dem Leiter eines Allgäuer Altenheims – über Risiken, Probleme und Vereinsamung.

Die Arbeitsbedingungen für Pflege- und medizinisches Personal verschärfen sich in der Corona-Krise immer mehr. Zuletzt machten die Todesfälle in einem Wolfsburger, zuvor auch schon in einem Würzburger Seniorenheim deutlich, wie gefährdet die Patienten sind.

Jetzt Artikel für später in „Pocket“ speichern

Derartige Nachrichten machen Max Griesmann betroffen. Der studierte Biologe gehört zur Leitung eines Pflegebetriebs im Allgäu unweit von Schloss Neuschwanstein. „Pflege mit Herz“ betreut mit 40 Pflegekräften rund 100 Menschen. Sie arbeiten in drei Wohngemeinschaften mit Demenzerkrankten, in einer Tagesbetreuungsstätte oder fahren im ambulanten Dienst zu Pflegebedürftigen, die zuhause leben. 

Die Pflegekräfte machen sich Sorgen, dass sie Patienten infizieren

Griesmann weiß, dass sich die Mitarbeiter Sorgen machen, den Virus zu den Patienten zu tragen. „Wir in der Altenpflege kümmern uns um die Gruppe, die derzeit am stärksten vor dem Virus geschützt werden muss. Das Risiko liegt hier anders als in einem Krankenhaus nicht so sehr beim Pfleger, sondern bei den Patienten. Die leben zuhause oder in der WG weitgehend isoliert und die Pflegekraft ist eine der wenigen Personen, die von außen reinkommt und sich um sie kümmert“, beschreibt der 37-jährige Allgäuer das Dilemma im Gespräch mit FOCUS Online.

Die Corona-Pandemie schränkt den Alltag der Menschen in Deutschland ein. Vor allem für gefährdete Gruppen wie Senioren sind auch alltägliche Aufgaben mit einem Ansteckungsrisiko verbunden. Daher ist nun Solidarität gefragt! FOCUS Online hat deshalb die Aktion „#CoronaCare: Deutschland hilft sich“ gestartet. Machen Sie mit! Alle Informationen finden Sie hier.

Es hat sich in den vergangenen Wochen verschärft, weil es an der nötigen Schutzausrüstung mangelt. „Uns ist der Mundschutz ausgegangen.“ Damit stehen die Altenpfleger in einer Reihe mit Krankenhäusern, Arztpraxen oder Sicherheitsbehörden. Sie alle warten auf Lieferungen.

Weil Masken fehlen, werden sie selbst genäht

Wer nahe an Patienten tritt, so die Regel bei „Pflege mit Herz“, hat einen Mundschutz zu tragen. „Er bringt etwas, wenn man selber infiziert ist, ohne es zu wissen. Die Maske reduziert das Risiko einer Tröpfchenübertragung. Man kommt den Menschen in der Pflege nun einmal sehr nahe.“ Für den Eigenschutz sei sie dagegen nur bedingt geeignet. Was also tun, wenn der Vorrat aufgebraucht ist? Eine Mitarbeiterin hat sich an die Nähmaschine gesetzt und produziert derzeit Ersatz.

Mehr zum Coronavirus


  • Mediziner aus Italiens Epizentrum warnen die Welt: Müssen das ganze System ändern!


  • Durchbruch für Forscher: Coronavirus mutiert kaum – warum das ein großer Vorteil ist


  • Harald Lesch rechnet vor: Bei welcher Grenze das deutsche Kliniksystem kollabiert


  • Sars-CoV-2, Covid-19, 2019-nCoV: Das bedeuten die Abkürzungen


  • Infektionen, Tote, Klinikaufenthalte: Coronavirus ist auch für Junge gefährlich

  • Seit sechs Wochen wartet Griesmann außerdem auf eine neue Lieferung Desinfektionsmittel. „Das war teuer eingekauft. Die Händler lassen sich die große Nachfrage bezahlen. Die Flasche Desinfektionsmittel kostet normalerweise um die vier Euro, jetzt sind es über 40 Euro. Alles wird teurer“, beschreibt Griesmann die neuen, zusätzlichen finanziellen Belastungen.

    Personalmangel im Moment kein Thema – zumindest im Ostallgäu

    Personalmangel sei im Moment hingegen kein Thema. Im Ostallgäu ist die Lage noch ruhig. Personell ließe sich ein erkrankter Mitarbeiter vorübergehend ausgleichen. Aber auch Griesmann beschäftigen die großen Unbekannten, die Fragen, die derzeit keiner beantworten kann. Das große „Was wäre, wenn…?“. „Wir zerbrechen uns natürlich den Kopf, was wir machen würden, wenn mehrere Pfleger ausfallen. Man bekommt ja schon zu normalen Zeiten kaum Ersatz.“

    Experten der WHO haben kürzlich in einem Kommentar im Fachmagazin „The Lancet“ eine Übersicht zu den internationalen Aktivitäten zur Virus-Eindämmung und Risikobewertung gegeben. Das sind Kernaussagen: 

    • Corona scheint genetisch stabil zu sein. Auf der Grundlage von 500 Virus-Gensequenzen gibt es keine Hinweise auf die Entwicklung neuartiger Virusstämme.
    • Ansteckungen durch Klinik-Personal waren in China die Ausnahme. Das spricht dafür, dass die empfohlenen Schutzmaßnahmen für Klinik-Personal gut wirksam sind.
    • Bislang beruht der Nachweis einer Infektion weiter auf PCR-Tests. Serologische Tests (an Blutproben) sind zwar in der Entwicklung, aber noch nicht validiert.
    • Die Virus-Produktion ist am Anfang einer Infektion offenbar am höchsten – möglicherweise schon vor Auftreten von Beschwerden. Viele Länder beginnen mit der Identifizierung von Kontakt-Personen 1 bis 2 Tage vor Auftreten der Symptome bei einem Infizierten.

    In den drei Wohngemeinschaften gilt bereits seit 12. März ein Besuchsverbot. Die Angehörigen hätten es weitgehend akzeptiert. „Anscheinend haben wir da Glück gehabt.“ Kern des WG-Konzepts ist, dass die Bewohner so viel Alltag wie möglich teilen. Aber auch hier sind die ersten Veränderungen zu spüren. Das Essen wird in zwei Schichten ausgegeben, damit zwischen den Alten mehr Platz an den Tischen ist. Den Bewohnern wurden die Maßnahmen erklärt. Wie viel davon ankommt, hängt vom Grad der Erkrankung ab.

    Das Leben der Heimbewohner wird einsamer

    „Den Bewohnern bricht jeder Kontakt weg. Bisher nimmt sie das noch nicht sehr mit. Sie haben sich noch gegenseitig, weil sie sich im Haus frei bewegen können. Wir versuchen das beste daraus zu machen, aber es ist sehr schwierig geworden. Die WG lebt davon, dass auch Angehörige anwesend sein können. Das ist jetzt weggebrochen. Es wird einsamer“, sagt Griesmann.

    Auch im Allgäu ist das eine Momentaufnahme. Was aber, wenn die Hochrisikopatienten über einen längeren Zeitraum isoliert werden? „Je länger das dauert, desto weniger werden die Bewohner bereit sein, das mitzumachen“, befürchtet der Heimleiter.  

    Alle wichtigen Meldungen zum Coronavirus im FOCUS-Online-Newsletter. Jetzt abonnieren.

     
     

    Wirtschaftliche Sorgen werden hinten angestellt

    Die Einrichtung für Tagespflege wurde bereits auf die Notversorgung für Angehörige in kritischen Berufen oder für Menschen, deren Pflege sonst nicht gesichert ist, heruntergefahren. Auch wenn nur drei oder vier Patienten betreut werden, bleiben die Kosten auf dem Niveau des Vollbetriebs. Miete und Mitarbeiter müssen bezahlt werden. „Wirtschaftlich ist das ein Verlustgeschäft, aber wir haben den Leuten gegenüber natürlich eine Verantwortung.“

    Die wirtschaftlichen Folgen sind für den Betrieb noch nicht abzusehen. Ein Lichtblick: Bürokratie wird derzeit sehr pragmatisch gehandhabt. „Die Krankenkassen reagieren sehr schnell, Bürokratie und Dokumentationspflichten sind gelockert.“

    Verschwörungstheorien beunruhigen das Personal

    Noch wursteln sich die Betreiber von Pflegediensten so durch. Es gibt Informationen vom zuständigen Landratsamt, wichtiger sind die Updates der Berufsverbände. Alles andere klärt Griesmann selbst ab. „Uns fehlen oft konkrete Anweisungen, deshalb frage ich mich dann eben durch“, sagt Griesmann.

    Und er versucht, das Personal zu beruhigen. Er erklärt, dass die Gefahr, sich bei den Alten anzustecken, geringer ist als für Pflegepersonal in Kliniken und er steuert Gerüchten und falschen Informationen entgegen, die kursieren. „Unser Personal wird auch durch Gerüchte verunsichert. Das reicht von der vorübergehenden Verwirrung über die Wirkung von Ibuprofen bis hin zu Gerede, dass die getestete Zahl der Infizierten höher sei, als bekanntgegeben. Dass Informationen zurückgehalten würden. Diese Verschwörungstheorien machen das Personal nicht ruhiger.“  
     

    Dann sind da auch noch die Covid-19-Verneiner. Bei ihren Fahrten in die Häuser treffen die Pfleger immer wieder auf Angehörige, die das Thema nicht ernst nehmen und mit hämischem Lachen auf das Tragen von Schutzmasken reagieren und von den Maßnahmen gegen das Coronavirus nicht viel halten. „Wer lax mit dem Kontaktverbot umgeht, erhöht natürlich auch das Risiko für unser Personal. Das müssen wir besonders im Auge haben. Denn wir könnten das Virus im schlimmsten Fall von einem zum anderen Patienten übertragen“, sagt Griesmann.

    Er hat seine Mitarbeiter angehalten, die Leute aufzuklären. Wenn das nicht klappt, telefoniert er nochmals mit ihnen. „Das war vor der Ausgangsbeschränkung, vielleicht haben es jetzt alle verstanden. Aber ganz sicher kann man sich nie sein.“

    Amira Pocher – Covid-19 positiv und Mama: So geht sie mit ihrem Sohn um

    Bunte.de Amira Pocher – Covid-19 positiv und Mama: So geht sie mit ihrem Sohn um  

    Quelle: Den ganzen Artikel lesen