Gesundheit

Müssen das wirklich unter Kontrolle bekommen: Was wir über neue Corona-Variante wissen

Mutationen des Coronavirus lassen in Großbritannien und in Südafrika die Infektionszahlen rapide ansteigen. Grund ist eine Veränderung des sogenannten Spike-Proteins, das es dem Virus ermöglicht, sich leichter zu verbreiten. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Nach der Entdeckung einer neuen Variante des Coronavirus, die für einen starken Anstieg der Infektionszahlen im Süden Englands verantwortlich gemacht wird, hat die britische Regierung in London und weiteren Teilen Südostenglands eine Ausgangssperre verhängt. Die neue Virus-Mutation sei ersten Erkenntnissen zufolge "bis zu 70 Prozent ansteckender" als die bisher verbreitete Form, sagte Premierminister Boris Johnson am Samstag.

"Wir müssen das wirklich unter Kontrolle bekommen. Es ist ein langer Weg, bis das aus der Welt geschafft ist", sagte Gesundheitsminister Matt Hancock indes dem Sender Sky News auf die Frage, ob die Menschen in betroffenen Gebieten sich auf eine längere Zeit mit strengeren Regeln einstellen sollten.

Bisher deute aber nichts darauf hin, "dass sie tödlicher ist oder eine schwerere Form der Krankheit verursacht", sagte Johnson weiter. Auch die Wirksamkeit von Impfstoffen werde durch den neuen Virus-Stamm nicht beeinträchtigt.

Was unterscheidet die Corona-Mutation vom bisherigen Erreger?

Die nun im Fokus stehende Virus-Variante unterscheidet sich insbesondere durch eine Mutation mit dem Namen N501Y am sogenannten Spike-Protein von Sars-CoV-2. Mit dieser stachelartigen Struktur an seiner Oberfläche heftet sich das Virus an menschliche Zellen, um dann in sie einzudringen.

Virus-Mutationen nichts Ungewöhnliches

"Coronaviren mutieren die ganze Zeit und es ist daher nicht überraschend, dass neue Varianten von Sars-CoV-2 auftreten", fasst der Genetik- und Virus-Experte Julian Hiscox von der Universität Liverpool zusammen. Entscheidend sei es festzustellen, "ob diese Variante Eigenschaften besitzt, die Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, die Diagnostik und die Impfstoffe haben".

Wo grassiert die neue Virus-Variante?

Nach Angaben des Virologen Julian Tang von der britischen Universität Leicester trat die Virus-Variante mit der N501Y-Mutation sporadisch schon vor einigen Monaten auf, nämlich im April in Brasilien, im Juni und Juli in Australien und im Juli in den USA. dpa/Dinendra Haria/SOPA Images via ZUMA Wire/dpa Warnung des britischen Gesundheitsdienstes NHS: Wegen der Ausbreitung der neuen Variante des Coronavirus wurde für London und andere Regionen in Südostengland die höchste Corona-Stufe eingeführt.

Derzeit verursacht die Virus-Variante in Südengland und in der britischen Hauptstadt London einen massiven Anstieg der Corona-Infektionen. Seit ihrem ersten Auftreten Mitte September in London oder der südöstlichen Grafschaft Kent habe sich diese Variante mittlerweile zur "dominanten" Form von Sars-Cov-2 entwickelt, erläuterte der oberste wissenschaftliche Berater der britischen Regierung, Patrick Vallance. Er führte den "sehr hohen Anstieg" der Krankenhaus-Einlieferungen von Covid-19-Patienten im Dezember auf diese Entwicklung zurück.

Wo tritt die neue Corona-Variante bislang auf?

In Deutschland ist die Variante nach Angaben des Chefvirologen der Berliner Charité, Christian Drosten, bislang nicht aufgetaucht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte am Sonntag mit, abgesehen von den Fällen in England sei die Virus-Variante neun Mal in Dänemark sowie jeweils ein Mal in Italien, in den Niederlanden und Australien festgestellt worden.

40 bis 70 Prozent höhere Infektiösität

Nach Angaben von Englands oberstem Amtsarzt Chris Whitty breitet sich die neue Virus-Variante deutlich schneller aus als frühere Formen des Covid-19-Erregers. Indiz dafür sind ein sehr starker Anstieg der Infektionen und Krankenhausaufenthalte in London und Südostengland im Vergleich zu anderen Landesteilen, wie der Mediziner Paul Hunter von der Universität East-Anglia auf "Science Media Centre" erläuterte. Der Immunologe Peter Openshaw vom Londoner Imperial College sagte der Wissenschaftswebsite, die neue Variante scheine eine 40 bis 70 Prozent höhere Übertragbarkeit zu haben.

Kein Hinweis auf erhöhtes Sterberisiko durch mutierte Variante

Die gute Nachricht ist laut Whitty, dass es bislang keinen Hinweis gibt, dass die neue Virus-Variante ein höheres Sterberisiko für die Infizierten bedeute. Auch weise derzeit nichts darauf hin, dass die neue Variante die Wirksamkeit von Corona-Impfstoffen oder -Therapien beeinträchtige. Die Untersuchungen zur Bestätigung dieser Einschätzung liefen allerdings noch. 

Die weitreichenden Maßnahmen, die in weiten Teilen Großbritannien auch über die Weihnachtsfeiertage gelten werden, traf die Regierung auf Basis eines Berichts zehn führender Virologie-Experten des Landes. In ihrem Bericht heißt es, dass der neue Virusstamm mit seinen genetischen Veränderungen erstmals am 20. und 21. September in Kent und im Großraum London festgestellt wurde.

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Besonders, aus Sicht der Forscher, ist die hohe Anzahl an genetischen Veränderungen, die der neue Virusstamm B.1.1.7 aufweist. Von zentraler Bedeutung ist dabei eine Mutation des sogenannten Spike-Proteins. Dieses Protein benötigt das Virus, um sich an spezifische Rezeptoren auf der Oberfläche menschlicher Zellen zu binden und die Zellen zu infizieren. Die in diesem Fall entscheidende Mutation des Coronavirus benennen die Forscher als N501Y. Sie sorge dafür, dass sich das Virus deutlich schneller ausbreite.

Dabei stellen die Forscher fest, dass sich die mutierte Version deutlich leichter an die menschliche Zelle bindet und somit das Ansteckungsrisiko erhöht. Die neue Viruslinie habe sich laut den Forschern innerhalb Großbritanniens "rasant" ausgebreitet. Laut ihrer Analyse sei die Mutation in 75 Prozent aller genommen Proben festgestellt worden. In den vergangenen sieben Tagen hatten sich in Großbritannien mehr als 168.000 Menschen infiziert, was einem Inzidenzwert von mehr als 250 pro 100.000 Einwohner und Woche entspricht. Am Samstag vermeldetet die britische Regierung zudem 27.052 Neuinfektionen.

Lauterbach besorgt, Drosten beruhigt

Ein wenig Entwarnung gibt es aber von Virologe Christian Drosten. Er hält die in Großbritannien entdeckte neue Mutation des Coronavirus nicht unbedingt für gefährlicher als die bisher bekannte Variante. "Ich bin darüber nicht so sehr besorgt im Moment", sagte Drosten am Montag dem Deutschlandfunk.

Es handele sich bislang lediglich um eine Schätzung, dass das neue Virus um 70 Prozent ansteckender sei als das alte. "Diese Zahl ist einfach so genannt worden." Die Datenlage sei noch sehr lückenhaft und wissenschaftlich nicht belastbar. Ihn persönlich würde es wundern, wenn sich ein Parameter des Virus so spät noch so stark verändert hätte. dpa/Christophe Gateau/dpa Virologe Christian Drosten

Es sei auch noch zu klären, ob die neue Welle in Südostengland tatsächlich von der neuen Virus-Variante ausgelöst wurde. Es könne auch sein, dass sich die Menschen beispielsweise nicht mehr so gewissenhaft an die Abstands- und Hygieneregeln hielten. Dafür spreche auch, dass die neue Mutation bereits im September in Großbritannien entdeckt worden sei und sich auch schon in anderen Ländern verbreitet habe. In Australien, den Niederlanden oder Dänemark habe es jedoch keine vergleichbare Entwicklung ausgelöst. "Dieses Virus ist ja jetzt gar nicht so neu", sagte Drosten. "Davon darf man sich jetzt wirklich nicht irgendwie aus der Ruhe bringen lassen."

Aus diesem Grund geht Drosten auch davon aus, dass die neue Virus-Variante schon längst in Deutschland ist. Einen Nachweis dazu gibt es allerdings noch nicht.

Besorgt zeigt sich aber SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Er warnte vor einem Teufelskreis im Zusammenhang von Mutationen des Coronavirus: "Mehr Ansteckungen führen zu mehr Mutationsgelegenheiten und damit zu mehr Mutationen, diese wiederum zu mehr Ansteckungen."

Ähnliche Virus-Mutation in Südafrika festgestellt

Doch nicht nur in Großbritannien auch in anderen Regionen werden immer wieder neue Mutationen des Coronavirus entdeckt. So wurde in Südafrika jüngst eine ähnliche Mutation des Virus festgestellt, die von den Gesundheitsbehörden als mögliche Ursache für die dort ebenfalls stark steigenden Fallzahlen gesehen wird.

Allerdings handle es sich dabei um eine andere Virus-Mutation wie in Großbritannien, die jedoch eine ähnliche Veränderung des Spike-Proteins zeigen würde, wie die Virologin Emma Hodcroft von der Universität Basel feststellte.

Die 501.V2 genannte Variante könnte hinter der raschen Ausbreitung der zweiten Corona-Welle im Land stecken, erklärte Gesundheitsminister Zwelini Mkhize am Freitag. Südafrikanischen Ärzten zufolge infizierten sich während der zweiten Welle mehr jüngere Menschen als zuvor. Sie litten zudem häufiger unter einem schwereren Verlauf der Lungenkrankheit Covid-19. 

Die neue Virus-Variante wurde von einem Forschungsteam unter Leitung des südafrikanischen Kwazulu-Natal Research Innovation and Sequencing Platform (Krisp) entdeckt, das seit Pandemie-Beginn hunderte Proben untersucht hatte. Die Wissenschaftler leiteten über ihre Forschungsergebnisse auch an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und britische Behörden weiter. 

"Würde die neue Variante einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben, dann hätten wir das schon gesehen", erklärte Ewan Birney, stellvertretender Generaldirektor des European Molecular Biology Laboratory, gegenüber dem "Guardian".

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