Gesundheit

Phänomen Corona-Burnout: 12 Punkte-Checkliste zeigt, ob Sie gefährdet sind

Corona macht nicht nur den Körper krank. Die Pandemie hat uns verändert – und viele mental ausbrennen lassen. Hans-Peter Selmaier behandelt Menschen mit Corona-Burnout. Im FOCUS-Online-Gespräch erklärt er, was ihnen hilft und welche Warnzeichen Sie ernst nehmen sollten.

Psychische Erkrankungen nehmen seit Beginn der Pandemie zu. Was es zunehmend auch gibt: Burnout durch Corona, mit den Folgen Depression, Angststörung und weiteren psychischen Erkrankungen. Oft äußert sich die seelische Überlastung auch mit körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magen- und Darmbeschwerden.

Ein solches Corona-Burnout kann einerseits nach der überstandenen akuten Infektion auftreten, also im Rahmen von Long-Covid. Doch auch ohne Covid-19 durchgemacht zu haben, besteht andererseits das Risiko für einen Burnout – durch die bedrückende, schier endlos scheinende Corona-Situation in Verbindung mit Zukunftsangst, Existenzangst, Stress durch Homeoffice, dem allgegenwärtigen Aufpassen, Maske tragen, Hygieneregeln einhalten. Und nicht zuletzt durch das Trauma, jemanden durch Covid-19 verloren zu haben.

Gezielte Therapien können aus dieser Krise führen. Was dann hilft, wer besonders häufig von Corona-Burnout betroffen ist und was Warnsignale sind, darüber haben wir mit Hans-Peter Selmaier, Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld in Bad Kissingen, gesprochen. Die Klinik bietet ein spezielles Programm gegen den Corona-Burnout an. Selmaier ist Arzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker und Facharzt für Innere Medizin sowie Sozialmedizin.

FOCUS Online: Herr Selmaier, wer kommt zu Ihnen wegen eines Corona-Burnouts? Gibt es eine bestimmte Risikogruppe, die besonders häufig betroffen ist?

Hans-Peter Selmaier: Grundsätzlich kann jede oder jeder betroffen sein, insbesondere aber – wie beim individuellem Burnout – Beschäftigte in sozialen Berufen, wie zum Beispiel Ärzte, Altenpfleger, Krankenschwestern, Lehrer, Priester, Psychologen oder Sozialarbeiter. Oft sind das auch diejenigen, denn man eine gewisse Neigung zum Helfersyndrom unterstellt.

Heiligenfeld GmbH/René Greiner Hans-Peter Selmaier

Und vermutlich die berufstätige Frau mit Kindern im Homeschooling oder der Single mit wenig sozialen Kontakten, der ständig im Homeoffice arbeitet?

Selmaier: Sie ist mit ihren vielen schwierigen Aufgaben sicher auch eine Hochrisiko-Kandidatin, zumal sie oft sehr auf sich gestellt ist. Oft summiert sich außerdem einiges zusammen: So ist jemand, der früher bereits ein Burnout hatte, eher gefährdet. Oder wenn andere psychische oder psychosomatische Krankheiten vorlagen oder vorliegen, bildet das sozusagen eine Grundlage für alles Weitere.

Wie groß ist die Nachfrage betroffener Patienten? Haben Sie eine Zunahme beobachtet im Vergleich zu vor Corona?

Selmaier: Es gibt eine Zunahme der Patient*innen, die an Burnout in Zusammenhang mit Corona leiden, zudem an Anpassungsstörungen, Depressionen, somatoformen Störungen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Manchmal sind Suchtentwicklungen damit verbunden. Insgesamt handelt es sich oft um verschiedene schwere Krankheitsbilder, die ineinander verwoben sind.

Neu sind Patient*innen, die an Post-/Long-Covid-Syndromen leiden, die aber teilweise schwer von anderen Krankheitsbildern abzugrenzen sind. Aber auch Angehörige von Erkrankten und Verstorbenen sind betroffen, vor allem mit Trauerreaktionen wie ein Trauma und Depressionen. Ich würde sagen, dass Burnout bei etwa 40 Prozent unserer Patient*innen eine größere Rolle spielt.

Sind das vor allem Patient*innen mit Post- bzw. Long-Covid, oder solche, die, ohne selbst Corona zu haben, in das Burnout glitten?

Selmaier: Wir haben Patienten aus beiden Gruppen, dabei etwas zunehmend mit Post- oder Long-Covid. Oft haben sie viele Ärzte konsultiert und erst, wenn sie auf jemanden mit psychosomatischem Verständnis stoßen, werden sie in unserer Richtung aufmerksam.

Post- oder Long-Covid macht aber die Sache komplizierter: Manche habe es, manche glauben, es zu haben. Auch da haben wir Fälle. Die Psyche greift solche theoretischen Möglichkeiten ja auf. Ähnlich war das früher mit dem umstrittenen Krankheitsbild der Fibromyalgie. Einerseits gibt es diese Krankheit, andererseits wurde das teilweise vereinnahmt.

Stichwort Long-Covid – die psychische und physische Erschöpfung nach einer schweren Krankheit kann ja sehr groß sein und über Monate anhalten.

Selmaier: Das sehen wir deutlich. Das kennen wir ja aber auch von anderen Viruserkrankungen, etwa dem Pfeifferschen Drüsenfieber, nach Grippe, oder nach schweren Operation und vor allem als Fatigue nach Krebs.

Über was klagen die Patienten vor allem, die zu Ihnen kommen?

Selmaier: Das ist diese Erschöpfung sowie der Rückzug, daneben können in fortgeschrittenen Fällen apathische oder paranoide Tendenzen auftreten. Dazu kommen Depersonalisationserscheinungen, innere Leere, Angst, Depression, völlige Erschöpfung und letztlich der völlige Zusammenbruch. Diese Symptome lassen sich exakt nachfragen. Außerdem kann man etwa als Test das „Maslach Burnout inventory“ einsetzen.

Gleichzeitig können somatoforme Störungen auftreten, also Störungen, die sich wie körperliche darstellen, sowie posttraumatische Belastungen, stoffgebundene und nicht stoffgebunden Süchte.

Das sind also die Beschwerden, wenn die Krankheit bereits fortgeschritten ist, und was sind die typischen Symptome für ein Corona-Burnout?

Selmaier: Burnout ist Oberbegriff für bestimmte Arten von persönlichen Krisen, die als Reaktion auf andauernden Stress und Überlastung am Arbeitsplatz auftreten und primär diesem Bereich zuzuordnen sind. Corona-Burnout ist dabei eine Erweiterung des ursprünglichen Begriffs. Burnout wird nach zwölf Stadien eingeteilt (nach Herbert Freudenberger und Gail North).

Die zwölf Stadien eines Burnout

Stadium 1: Der Zwang, sich selbst zu beweisen


Stadium 2: Verstärkter Einsatz

Stadium 3: Subtile Vernachlässigungen eigener Bedürfnisse

Stadium 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen

Stadium 5: Umdeutung von Werten


Stadium 6: Verstärkte Verleugnung der auftretenden Probleme

Stadium 7: Rückzug


Stadium 8: Beobachtbare Verhaltensänderung

Stadium 9: Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit

Stadium 10: Innere Leere


Stadium 11: Depression

Stadium 12: Völlige Burnout-Erschöpfung

 

Spätestens wann sollten sich Betroffene an einen Arzt wenden? Und wie kommt man dann zu einer Reha in einer entsprechenden Klinik wie Ihrer?

Selmaier: An sich sollte es ab Stadium sieben kritisch werden, eventuell auch schon früher. Entscheidend sind dabei die sonstigen Krankheitsbilder, die zusätzlich auftreten. Der Übergang zur Erschöpfungsdepression ist am auffälligsten und zwingt zum Handeln. Wenn mehrere Krankheitsbilder zusammenkommen, können sie sich gegenseitig verstärken und die Lage weiter erschweren.

Noch kritischer ist es, wenn diese bereits mehr oder weniger lang bestanden haben oder eine Persönlichkeitsstörung oder Traumastörung hinzukommt. Dann ist die Frage, ob nicht zunächst eine (teil-)stationäre psychosomatische Akutbehandlung nötig ist, oder gleich eine (teil-)stationäre Rehabilitationsbehandlung ansteht. Je nachdem wird der Arzt in eine Klinik einweisen oder es wird ein Reha-Antrag gestellt, bei der Krankenkasse oder der Rentenversicherung.

Damit wir uns das besser vorstellen können: Was waren besonders krasse Fälle, die Sie in Zusammenhang mit Corona in der Klinik behandelten?

Selmaier: Bei den schwersten Fällen handelt es sich um eine Kombination der verschiedenen Krankheitsbilder, hier drei Beispiele:

1. Eine 36-jährige Patientin, die im Dezember 2020 eine Corona-Infektion durchlebt hatte. In der Folge litt sie unter starker Müdigkeit und Erschöpfung einer Fatigue entsprechend. Außerdem hatte sie dissoziative Wahrnehmungsstörungen und Wortfindungsstörungen entwickelt. Hinzu kamen depressive Symptomatik und Schlafstörungen.

Schmerzen und Verspannungen hatte sie im Zusammenhang mit ihrer sehr kämpferischen Lebenshaltung im Halswirbelsäulen und Schulterbereich entwickelt. Corona war zu mehreren persönlichen und beruflichen Belastungen dazu gekommen. Die sehr aktive, in einem eher männlichen Beruf tätige Patientin war immer stolz auf ihr Leisten und Können, aber auch auf ihre Fähigkeit, sich zu behaupten und durchzusetzen. Die sehr altruistische und leistungsbezogene Patientin hatte dadurch Scheitern erlebt, während ihr die erhoffte Unterstützung versagt blieb.

Sich schwach zu zeigen und um Hilfe zu bitten, war ihr ebenfalls schwergefallen. In der Therapie konnte sie aufgrund erfahrener bedingungsloser Annahme mehr Selbstfürsorge entwickeln und von ihrem Modus des angespannten Kampfes Abstand nehmen. Durch physiotherapeutische Maßnahme konnte der HWS-Bereich mobilisiert werden, zuletzt war sie schmerzfrei.

2. Eine 60-jährige Patientin, die ebenfalls im Dezember 2020 eine Corona-Erkrankung durchgemacht hatte. Ab dem Frühjahr 2021 traten Tinnitus, Schwindel und verschwommenes Sehen auf. Sie litt unter starker Müdigkeit und Erschöpfung, Ein- und Durchschlafstörungen und starkem Appetitverlust. Starke Blutdruckschwankungen, Herzrasen und Stolpern traten ebenso auf wie Blutzuckerschwankungen bei vorher stabilem Diabetes mellitus Typ II. Vor Jahren hatte die Patientin eine stationäre Behandlung wegen einer Angststörung gehabt. Lange Zeit stellte sie sich dann als die Starke dar, die vor keiner Leistungsherausforderung zurückschreckte und immer funktionierte. In der Kindheit gab es traumatische Verluste.

Seit vier Wochen findet nun eine stationäre psychosomatische Behandlung statt, die bereits zu einer ersten Stabilisierung im seelischen und körperlichen Bereich geführt hat. Corona hat in diesem Fall die grundlegende existenzielle Verunsicherung der sonst sehr starken und aktiven Patientin aktiviert. Ihre Kompensationsmöglichkeiten waren, auch durch nun eingeschränkte Möglichkeiten zu Sport und Bewegung, überfordert. Corona war dann das Zuviel an Herausforderung.

3. Eine 62-jährige Patientin, die im Februar 2020 an einer Corona-Erkrankung litt, mit zehn-tägigem stationärem Aufenthalt. Seitdem hatte sie ständig Gelenk- und Rückenschmerzen und litt unter starker Müdigkeit und Erschöpfung, Schlafstörungen, sowie depressiv unterlegten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen.

Sie war früher eine sehr erfolgreiche Unternehmerin gewesen und hatte viele familiäre Lasten problemlos getragen. Für sich selbst hatte sie nie etwas beansprucht, ja gefühlt gar nicht gebraucht. In einem vierwöchigem stationärem Aufenthalt suchte sie eine schnelle Erlösung von ihrer quälend empfundenen Symptomatik. Sie reagierte zunächst voller Wut und Enttäuschung, später eher Trauer. Enttäuschungen erinnerten an unbewältigte Verluste und früher erlittenen Mangel.

In der therapeutischen Gemeinschaft fand sie Verständnis und Annahme, mit besserem Selbstverständnis und intensiverem Zugang zur eigenen Gefühlswelt, aber auch mit Öffnung zum Nächsten, zum Gegenüber. Es kam zu einer deutlichen Rückbildung der meisten Symptome, soweit sie nicht durch degenerative Erscheinungen bedingt waren. Nachdem sie im Vorfeld sechs Kilogramm an Gewicht zugenommen hatte, konnte sie diese wieder abbauen und auch ihre körperliche Belastbarkeit wieder steigern, bei mehr Vitalität und Lebensfreude. Vor kurzem ließ sie uns eine Nachricht zukommen, in der sie ihre Dankbarkeit für ihre Behandlung zum Ausdruck brachte.

Die Fälle verdeutlichen bereits, wie Sie behandeln. Was sind dabei die wichtigsten Bausteine der Corona-Burnout-Therapie?

Selmaier: Wir haben viele verschiedene Möglichkeiten, die wir dem Patienten vorstellen, mit ihm besprechen, und individuell mit ihm abstimmen. Es wird ihm also keine Therapie einfach „übergestülpt“. Bei Bedarf werden die Behandlungsformen im Verlauf auch geändert, je nachdem, wie lange der Betroffene Zeit investiert, ob nur zwei bis vier Wochen oder mehr.

Auf psychosomatischem Gebiet setzen wir auf eine leitliniengerechte Behandlung der gleichzeitig vorhandenen Krankheitsbilder mit Einzel-und Gruppentherapie, speziellen krankheitsbezogenen indikativen Gruppen und zahlreichen kreativtherapeutischen Angeboten. Unserer Therapieangebote sind schulübergreifend mit tiefenpsychologischem Schwerpunkt. Wir setzen im Umgang mit Stress und dessen Bewältigung auf achtsamkeitsbasierte und meditative Angebote. Hinzu kommen Sport, Bewegung, Physiotherapie und Ernährungstherapie.

Welche Ziele lassen sich damit erreichen?

Selmaier: Allgemein sind die Ziele vor allem Stabilisierung und Regeneration, Angstbewältigung, Erarbeitung funktionaler Lösungs- und Bewältigungsstrategien, Ressourcenstärkung und Förderung der Resilienz. Wir wollen aber auch, dass es unseren Patient*innen gelingt, besser Stellung zu beziehen zu ihren Lebensaufgaben, also in Gemeinschaft, Beruf, Liebe und Partnerschaft, um diesbezüglich Entwicklungen zu ermöglichen. Entsprechend bieten wir auch Paar- und Familiengespräche und organisieren regelmäßig Angehörigentage, so es die Corona-Lage erlaubt.

Das hängt aber auch davon ab, ob es dem Betroffenen nur um die Symptome geht, oder er vielleicht sogar etwas tiefer gehen möchte und damit eine Lebensstiländerung angestoßen wird, auch im Sinne der Prävention. Sonst kann die Gefahr groß sein, dass in belastenden Situationen die Beschwerden wieder auftreten.

Wie erfolgreich ist die Behandlung in der Regel?

Selmaier: Insgesamt sind unsere Erfahrungen gut. Die Symptomatik bessert sich deutlich. Doch tiefergehende psychotherapeutische Veränderungen brauchen meist etwas länger, hier ist im Anschluss ambulante Langzeittherapie eine Option.

 

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