Corona-Infektionszahlen und Inzidenzen sind mittlerweile kaum noch aussagekräftig, da sich viele Menschen nicht mehr testen lassen. Der Blick ins Abwasser erlaubt da eine genauere Einschätzung. Und diese lautet momentan: So viele Corona-Viren im Abwasser gab es noch nie.
Wissen Sie noch, wann Sie sich das letzte Mal auf Corona getestet haben? Bei vielen von uns dürfte der letzte Test schon etwas zurückliegen – wenn überhaupt. Schließlich sehen viele Menschen nach Ende der Pandemie keine Notwendigkeit mehr darin, sich testen zu lassen.
Infektionszahlen und Inzidenzen seien daher „wenig aussagekräftig, da ja überhaupt nicht mehr in dem Maße getestet und gemeldet wird wie noch zu Pandemiezeiten“, sagt die Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Nicola Buhlinger-Göpfarth zu FOCUS online. Bei der Bewertung des aktuellen Infektionsgeschehens seien sie „nicht mehr die entscheidende Kategorie“.
Viruslast im Abwasser kann mehr über Infektionsgeschehen verraten als Corona-Tests
Stichhaltige Erkenntnisse offenbart hingegen ein – Pardon – Griff ins Klo: Tatsächlich gibt die Untersuchung des Abwassers viel besser Aufschluss über die aktuelle Verbreitung des Corona-Virus als übermittelte Corona-Testergebnisse. Immerhin scheiden Erkrankte über den Urin oder Kot Erreger aus, die dann im Abwasser nachgewiesen werden können. Dabei werden auch die Ausscheidungen von Infizierten erfasst, die zum Beispiel wegen milder Symptome gar nichts von ihrer Infektion wissen.
Und derzeit gelangen enorm viele Bruchteile von Corona-Viren in die Kanalisation. Wie aus dem aktuellen Wochenbericht des Abwassermonitoring für die epidemiologische Lage (AMELAG) des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 6. Dezember hervorgeht, enthält ein Liter Abwasser rund eine Million Genkopien des Virus – so viele wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Juni 2022. Das zeigt die Grafik des AMELAG-Wochenberichts.
Was heißt das konkret? „Hohe Viruslast im Abwasser bedeutet, dass zur Zeit viele Personen mit Sars-CoV-2 infiziert sind. Zudem ist möglich, dass aktuelle Virusvarianten zu einer höheren Virusausscheidung führen als frühere Varianten“, erklärt das RKI auf Anfrage von FOCUS online.
Robert-Koch-Institut: „Zur Zeit sind viele Personen mit Sars-CoV-2 infiziert“
Die Variante, die momentan am häufigsten im Abwasser entdeckt wird, ist JN.1 – ein Nachfolger von Pirola (BA.2.86), also Omikron-Abkömmling. Auf Grund von Mutationen am Spike-Protein, die das Eindringen in die Zelle erleichtern, sind sowohl Pirola als auch JN.1 ansteckender als der Wildtyp. Hinweise auf möglicherweise schwerere Verläufe gibt es jedoch nicht.
Die Daten, die in dem Wochenbericht auf die Angaben von 60 Kläranlagen in ganz Deutschland zurückgehen, sprechen für 9,5 Prozent der Bevölkerung. Je nachdem, wie viele der insgesamt 123 Kläranlagen, deren Daten in die Analyse einfließen, ihre Befunde wöchentlich vorgeben, kann die Abdeckung der Gesamtbevölkerung variieren.
So übermittelten in der Woche vom 20. bis 27. November (KW47) laut Wochenbericht 105 Kläranlagen ihre Befunde – die sich immerhin auf 23,7 Prozent der Bevölkerung bezogen.
Die Abwassersurveillance weist jedoch darauf hin, dass der hohe Anstieg der Viruslast in der vergangenen Woche auf Grund der wenigen Kläranlagen, die in dieser Woche ihre Daten geliefert haben, „mit Vorsicht betrachtet“ werden sollte.
Erreger im Abwasser sagen nichts über die Corona-Fallzahlen aus
Zudem sei die Viruslast im Abwasser zwar ein Indikator für die Infektionsdynamik, teilt das RKI FOCUS online mit. Aber: „Sie sagt nichts über Krankheitslast oder die Belastung des Gesundheitssystems aus.“ Sichere Aussagen über die Inzidenz und etwaige Dunkelziffern seien wegen vieler unbekannter Faktoren und ohne die Berücksichtigung weiterer Indikatoren, wie etwa der Krankenhaus-Surveillance, daher nicht möglich.
So wisse man nicht genau, wie lange Coronaviren im Kot oder Urin von infizierten Personen nachweisbar sind. „Daten zur Dauer der Ausscheidung gibt es für aktuelle Varianten nicht. Beim Wildtyp von Anfang 2020 haben Studien gezeigt, dass die Ausscheidung in einigen Fällen bis zu 21 Tage andauern kann“, sagt das RKI. Hierfür seien allerdings nur Corona-Erkrankte mit schwerem Verlauf untersucht worden.
Wie viele Erreger ein Infizierter ausscheide, sei ebenso ungewiss und hänge zum Teil von der jeweiligen Virusvariante ab, schreibt das Institut auf seiner Seite . Daher könne aus der Viruslast kein direkter Rückschluss auf die Zahl der Infizierten gezogen werden. Für den Nachweis der Viruslast sei zudem entscheidend, wann sich eine Person das letzte Mal mit Corona infiziert oder dagegen impfen lassen hat – Stichwort Antikörper.
Wie das Abwassermonitoring funktioniert
Doch wozu gibt es das AMELAG eigentlich? Und wie genau wird Abwasser untersucht?
Generell ermittelt das RKI bei den Abwasseruntersuchungen die Erregerlast sowie die Virusvarianten in einer bestimmten geografischen Region und deren Bevölkerung. Das Ziel ist, die Verbreitung von Infektionskrankheiten einzuschätzen, Ausbrüche zu erkennen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Im Zuge der Abwasseranalyse werden an den Zuläufen der Kläranlagen über den Tag hinweg in regelmäßigen Abständen Proben genommen. Diese werden dann zu einer „24-Stunden-Mischprobe“ zusammengekippt. Die Probennahme erfolgt an mehreren Tagen in der Woche.
Dann kommt die gekühlte Abwasserprobe in ein Labor, wo das Erbgut der Erreger mit Hilfe eines PCR-Tests nachgewiesen wird. Anschließend werten die Wissenschaftler die Daten aus und berechnen für die Kläranlagen in den jeweiligen Städten Trends, die sie miteinander vergleichen. Auf dieser Basis und unter Berücksichtigung anderer Überwachungssysteme bewerten die Wissenschaftler die Befunde epidemiologisch und leiten gegebenenfalls notwendige Maßnahmen für den Gesundheitsschutz.
Quelle: Den ganzen Artikel lesen