Das Coronavirus mutiert wegen weltweit hoher Fallzahlen immer häufiger. Jetzt sorgt eine Variante mit Doppel-Mutation aus Indien für Aufsehen – in Europa wurden bereits erste Fälle nachgewiesen. Was wir über die neue Virus-Variante wissen und warum sie bald auch nach Deutschland kommen könnte.
Ein Wettlauf mit der Zeit hat begonnen – denn neben B.1.1.7, die uns gerade in Deutschland die dritte Corona-Welle beschert, sorgt nun neben den brasilianischen und südafrikanischen Varianten noch eine weitere Sars-CoV-2-Mutation für Alarmstufe rot: In Indien breitet sich gerade B.1.617 rasant aus.
Dabei handele es sich Virologen zufolge um eine sogenannte Doppel-Mutation, da sie zwei Varianten in sich trägt: E484Q und L452R. Diese beiden wurden schon einzeln in der britischen sowie in der südafrikanischen und in der sich in Kalifornien ausbreitenden Corona-Variante gefunden. In Indien konnten sie jetzt erstmals zusammen in einer Virus-Variante festgestellt werden.
Allein am Montag meldete das indische Gesundheitsministerium innerhalb von 24 Stunden insgesamt 274.000 neue Corona-Fälle – ein Tageshöchstwert. Zudem starben an einem einzigen Tag 1619 Menschen im Zusammenhang mit Covid-19. Besonders stark betroffen sind Mumbai und die Hauptstadt Neu-Delhi, in der nun eine einwöchige Ausgangssperre verhängt wurde. Es fehlt an Krankenhausbetten, Sauerstoff und Arzneimitteln – auch Krematorien seien überlastet, heißt es. Wegen der angespannten Infektionslage sagte Großbritanniens Premierminister Boris Johnson seine geplante Reise dorthin ab.
61 Prozent der Infektionen in Maharashtra gehen auf Doppel-Mutation zurück
Ob allein die neue grassierende Variante für die hohen Zahlen in Indien verantwortlich ist, ist noch nicht klar. Laut einem Bericht des „Indian Express“ seien aber bereits 61 Prozent der nachgewiesenen Infektionen im Bundesstaat Maharashtra (mit der Hauptstadt Mumbai) auf die Doppel-Mutation zurückzuführen. Das hätten Genomsequenzierungen von positiven Tests ergeben. Da aber bisher noch sehr wenig sequenziert wurde, sei es noch zu früh Schlussfolgerungen zu ziehen, sagte Sujeet Singh, Direktor der staatlichen Gesundheitsbehörde (NCDC) gegenüber dem Portal.
Die zwei Mutationen im Erbgut des Virus befinden sich am sogenannten Spike-Protein, das dem Virus dabei hilft, an die menschlichen Zellen anzudocken und dort einzudringen. L452R kann die Bindung des Virus an die ACE2-Rezeptoren verstärken und sich somit leichter übertragen. Möglicherweise kann sich das Virus dadurch auch schneller im Körper ausbreiten.
Doppel-Mutation könnte auf Impfung nicht ansprechen
Zusammen könnten E484Q und L452R die Variante damit nicht nur ansteckender machen, sondern auch Antikörpern ausweichen – und somit nicht auf die Impfung ansprechen, schreibt der „Indian Express“ weiter. Wissenschaftliche Belege gäbe es diesbezüglich aber noch nicht.
Bislang wurden in Indien nach Angaben des Gesundheitsministeriums 123 Millionen Dosen verimpft. Der Impfstoff von Astrazeneca, der dort unter dem Namen „Covishield“ vermarktet wird, wird massenweise im Serum-Institut in Pune im Bundesstaat Maharashtra produziert. Dennoch ist in Indien selbst der Impfstoff knapp, da das Land viele Dosen an ärmere Länder verschenkt hat.
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Doppel-Mutation bereits in Großbritannien festgestellt
Ob die neue Doppel-Mutation zu schwereren Covid-19-Verläufen führt und somit zu mehr Krankenhausfällen, können die indischen Gesundheitsbehörden derzeit noch nicht sagen. Mediziner gehen aber davon aus, dass sie ansteckender ist und sich schneller ausbreitet, da nun im Gegensatz zur ersten Welle ganze Familien infiziert seien.
Für eine schnelle Ausbreitung spricht auch die Tatsache, dass das Virus bereits in England angekommen ist und sich auch dort ausbreitet. So bestätigte das britische Gesundheitsministerium bereits 77 Fälle davon. Die Variante beinhalte demnach zusätzlich noch die Mutation P681R. Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock kündigte an, Indien auf eine "rote Liste" zu setzen. Reisende, die von Freitag an aus dem Land in Großbritannien eintreffen, müssen die vorgeschriebene zehntägige Quarantäne auf eigene Kosten in einem Hotel verbringen.
Dass die Mutation besorgniserregend sei, bestätigen auch britische Wissenschaftler. Der Mikrobiologe Simon Clarke von der Universität Reading sagte gegenüber dem "Guardian", dass die Variante alle Voraussetzungen dafür erfülle, bald zum Problem zu werden. Laut der britischen Mutationsdatenbank sei der erste Fall bereits am 22. Februar festgestellt worden.
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Deutscher Virologe weniger besorgt als britische Kollegen
Auch SPD-Politiker Karl Lauterbach sieht bereits eine Gefahr für Europa durch die indische Mutation. Via Twitter äußerte er seine Bedenken zur sich anbahnenden "Covid-Katastrophe" in Indien: "Neue Mutation B1.617 setzt sich massiv durch, auch gegen B117. Da B1.617 sich auch bei Impfung durchsetzen kann, kommt auch auf Europa ein Problem zu. In England wächst B1.617 rasant …", schrieb er am Montag.
Auch der deutsche Virologe Jörg Timm vom Institut für Virologie in Düsseldorf geht zwar auch davon aus, dass die indische Mutation Probleme verursachen kann – allerdings in vergleichbaren Rahmen wie die Varianten aus Südafrika und Brasilien. „Die Mutationen im Spike-Protein von B.1.617 sind bereits von anderen Varianten bekannt“, sagte Timm dem „Spiegel“.
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Deshalb sei davon auszugehen, dass diese ebenfalls die Immunabwehr umgehen könnten und es bei Menschen, die bereits einmal geimpft worden sind bzw. leichte Covid-Erkrankungen hatten, erneut zur Infektion komme. Schwere Verläufe bei einer vollständig abgeschlossenen Impfung sowie nach schweren durchgemachten Verläufen seien aber eher selten, sagte Tim gegenüber dem Blatt weiter.
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