Aus Corona-Angst zum Schlaganfall-Tod
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie macht auf einen gefährlichen Nebeneffekt der Coronavirus-Pandemie aufmerksam. Neuste Daten zeigen, dass sich in Deutschland während der ersten COVID-19-Welle weniger Betroffene aufgrund von leichten Schlaganfall-Symptomen behandeln ließen. Dies scheint sich nun durch eine erhöhte Anzahl von schweren Fällen auszugleichen.
In einer aktuellen Studie wurden bundesweite Daten zu Schlaganfällen ausgewertet, die während der ersten COVID-19-Welle zwischen März und Mai 2020 erhoben wurden. Die Daten zeigen einen deutlichen Rückgang von Patientinnen und Patienten mit leichteren Schlaganfallsymptomen. Zeitgleich konnte ein Anstieg der Krankenhaussterblichkeit von Betroffenen mit ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfällen beobachtet werden. Die Ergebnisse wurden kürzlich in dem Fachjournal „Stroke“ präsentiert.
Leere Stroke-Units und vollere Friedhöfe
Das mulmige Gefühl, dass sich unter dem auf Schlaganfall spezialisierten Gesundheitspersonal während der ersten COVID-19-Welle breit machte, täuschte nicht. Es wurde in den Schlaganfall-Abteilungen von auffällig vielen leeren Stroke-Units berichtet, obwohl die Akuttherapie von Schlaganfällen in Deutschland während der Pandemiephase ohne Einbußen aufrechterhalten blieb.
Angst vor Schlaganfall-Behandlung kann tödliche Folgen haben
Offenbar haben sich viele Patientinnen und Patienten mit leichten Schlaganfall-Symptomen aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 nicht oder zu spät in einem Krankenhaus vorgestellt, folgern die Fachleute der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Dies hatte zur Folge, dass die Schlaganfallsterblichkeit zunahm. „Wir können nur helfen, wenn Patienten mit Schlaganfallsymptomen nicht zögern, sondern umgehend den Notruf 112 anrufen“, schreibt die DGN in einer Pressemitteilung zu der Untersuchung.
Bei Schlaganfall zählt jede Minute
Die Expertinnen und Experten der DGN betonen, dass der Schlaganfall eine akute, lebensbedrohliche Krankheit ist, bei der jede Minute zählt. Als Faustregel gelte, dass es innerhalb von 4,5 Stunden zu einer medikamentösen Auflösung des Gefäßverschlusses kommen sollte, um das Risiko für schwerwiegende Folgen wie Tod oder schwere Behinderungen möglichst gering zu halten. Je früher ein Gefäßverschluss wiedereröffnet werde, desto höher seien die Chancen auf vollständige Genesung.
Rund 20 Prozent weniger Schlaganfall-Betroffene
In der Studie wurden Schlaganfall-Daten von 1.463 deutschen Krankenhäusern aus der ersten COVID-19-Welle ausgewertet. Diese wurden mit Daten der Vorjahre und mit dem Zeitraum vor der Pandemie verglichen. Zwischen dem 16. März und dem 15. Mai 2020 wurden 31.165 Betroffene mit akuten ischämischen Schlaganfällen aufgenommen. Im Vergleich zu dem Vorjahr sei dies ein Rückgang von 18,5 Prozent.
Bei Betroffenen mit sogenannten „Mini-Schlaganfällen“, die oft Vorboten schwererer Schlaganfälle sind, betrug der Rückgang sogar 26,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zudem wurde ein 15,8-prozentiger Rückgang von Hirnblutungen während der Pandemiephase dokumentiert.
Rückgang mit tödlichen Folgen
Die Folgen dieser Rückgänge spiegeln sich den Forschenden zufolge unmittelbar in einer erhöhten Sterblichkeitsrate aufgrund von Schlaganfällen wider. So kam es im Beobachtungszeitraum während der Pandemie im Vergleich zum Zeitraum unmittelbar davor zu einer signifikant erhöhten Sterberate unter Schlaganfall-Betroffenen.
Den Daten zufolge starben während der Pandemie 8,1 Prozent aller Betroffenen mit Hirnblutungen – vor der Pandemie lag dieser Wert bei 7,6 Prozent. Bei Hirninfarkten wurde während der Pandemie eine 34,9-prozentige Todesfolge registriert, im Vergleich dazu starben vor der Pandemie 29,9 Prozent der Betroffenen an diesem Ereignis.
Zeitfenster für rettende Behandlung war abgelaufen
Das Forschungsteam führt die erhöhte Sterblichkeitsrate auf die Tatsache zurück, dass während der Pandemie verhältnismäßig mehr Betroffene mit schwereren Symptomen und somit schlechterer Prognose eingeliefert wurden. „Dass die Schlaganfallpatienten später und ‚kranker‘ in die Kliniken kamen, lässt sich auch an der erhöhten Thrombektomierate ablesen“, erklärt Professor Dr. Christos Krogias, Korrespondenzautor der vorliegenden Studie. Offensichtlich war bei vielen Betroffenen das Zeitfenster für eine rettende Therapie abgelaufen.
Bei Schlaganfall-Verdacht nicht mit dem Notruf zögern
„Für uns war es von Beginn an wichtig, trotz Pandemiebedingungen die hohe Behandlungsqualität sicherzustellen“, betont Professor Peter Berlin, Generalsekretär der DGN. Er möchte im Namen der DGN darauf aufmerksam machen, dass auch während der zweiten Welle alle Stroke Units leistungsfähig bleiben. Das Fachpersonal könne aber nur helfen, wenn Betroffene nicht zögern, sondern bei Verdacht auf Schlaganfall umgehend die Notrufnummer 112 wählen. „Aus Sorge vor einer möglichen Ansteckung mit Corona davon abzusehen, bezahlen Betroffene womöglich mit ihrem Leben“, appelliert der Professor. (vb)
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