Nach dem Hamas-Angriff auf Israel erschüttert der Nahostkonflikt erneut die Welt. Die Gesundheitsversorgung ist nun vor allem im Gaza-Streifen bedroht. Erste Hilfslieferungen sind am Wochenende gestartet, doch die reichen nicht.
Die Gesundheitsversorgung im Gazastreifen ist zunehmend bedroht: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Israel nun mit Nachdruck aufgefordert, die Evakuierungsaufforderung für Krankenhäuser im Norden des Gazastreifens zurückzunehmen. „Es gibt dort Patienten, die einfach nicht bewegt werden können, viele werden beatmet, es gibt Neugeborene in Brutkästen, Menschen in instabilem Zustand, und es ist sehr schwierig, sie zu transportieren“, sagte ein WHO-Sprecher am Montag der BBC. Die Aufgabe sei „fast unmöglich“. „Wir rufen Israel auf, diese Anordnung zu überdenken“.
Windpocken, Krätze und Durchfallerkrankungen
Zudem häufen sich unter den verheerenden sanitären Bedingungen im Gazastreifen nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) Fälle von Windpocken, Krätze und Durchfallerkrankungen. Das berichteten dort tätige Gesundheitsorganisationen, teilte das UN-Nothilfebüro (Ocha) am Sonntag mit. Eine Ursache sei, dass die Menschen wegen des Trinkwassermangels in ihrer Not aus unsauberen Quellen schöpfen müssten. Das UN-Büro nannte keine konkreten Zahlen. Die Zahl der Fälle werde aber zunehmen, falls Wasser- und Sanitäreinrichtungen nicht schnellstens wieder mit Strom oder Brennstoff versorgt würden, um ihren Betrieb wieder aufnehmen zu können, warnte das UN-Nothilfebüro.
Deutsche pharmazeutische Hilfsorganisationen bislang nicht aktiv
Israel hat die Versorgung des Gazastreifens nach den verheerenden Hamas-Überfällen vom 7. Oktober und dem Start seiner Gegenschläge mit Raketenangriffen eingestellt. Das Land umschließt den Gazastreifen mit mehr als zwei Millionen Palästinensern fast vollständig. Deutsche pharmazeutische Hilfsorganisationen sind bislang im Nahostkonflikt nicht aktiv: „Unsererseits gibt es noch keine offizielle Stellungnahme zur Lage in Israel und dem Gazastreifen. In diesem Gebiet haben wir kein aktives Projekt und Nothilfeeinsätze in Kriegsgebieten führen wir generell nie durch, da wir die Sicherheit unserer ehrenamtlichen Einsatzkräfte nicht gewährleisten können“, erklärte Apotheker ohne Grenzen am heutigen Montag gegenüber der DAZ. Man beobachte dennoch weiterhin die Lage, ob man in der Region helfen könne – seit diesem Jahr unterstützte man etwa ein Krankenhaus im Libanon.
Auch action medeor ist derzeit weder in Gaza noch in Israel aktiv, steht jedoch in regem Austausch mit seinen Partnerorganisationen und koordiniert sich als Bündnismitglied der Aktion Deutschland Hilft mit den anderen Hilfsorganisationen, die derzeit alle vor der Herausforderung eines eingeschränkten Zugangs stehen“, erklärte die Hilfsorganisation am vergangenen Freitag gegenüber der DAZ. Internationale Hilfsgüter stünden schon an der ägyptischen Grenze zu Gaza bereit, hieß es.
Güter von 20 Lastwagen mit Arzneimitteln für den Gazastreifen
Am vergangenen Samstag hat nun Bundeskanzler Olaf Scholz das Anlaufen von Hilfslieferungen in den Gazastreifen begrüßt. „Es ist gut und wichtig, dass jetzt erste humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza kommt. Sie brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente – wir lassen sie nicht allein“, schrieb Scholz am Samstag auf der Plattform X, früher Twitter. Die Bundesregierung setze sich weiter über alle Kanäle dafür ein, das Leid in diesem Konflikt zu lindern, schrieb der SPD-Politiker.
Nach tagelangem Warten fuhren am Samstagvormittag einige Lastwagen mit Hilfsgütern von Ägypten in den palästinensischen Bereich des Grenzübergangs Rafah. Dem Ägyptischen Roten Halbmond zufolge sollen Güter von 20 Lastwagen mit Arzneimitteln in den Gazastreifen geliefert werden. Es sind die ersten Lieferungen über Rafah seit Beginn des Kriegs zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas vor zwei Wochen.
Auch Apotheker helfen e.V. hatte am Donnerstag vergangener Woche gegenüber der DAZ erklärt, „dass Hilfslieferungen des Roten Halbmonds auf ägyptischer Seite vor der Grenze zu Gaza warten, Hilfsgüter hineinbringen zu dürfen“. „Apotheker helfen“ habe keinen direkten Partner in Gaza und es sei insgesamt „sehr schwer möglich, konkret zu helfen“.
100 Lastwagenladungen täglich wären nötig
Die am Wochenende angelaufenen Hilfslieferungen in dem von Israel abgeriegelten Gazastreifen mit gut zwei Millionen Einwohnern kommen nun generell nur langsam voran. Nach Angaben von UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths fuhr am Sonntag ein zweiter Konvoi aus 14, vor allem mit Arznei- und Lebensmitteln beladenen Lkw nach Gaza hinein. Er sprach von einem weiteren „Hoffnungsschimmer“. Nach Einschätzung der UN wären zur Versorgung der Menschen aber rund 100 Lastwagenladungen täglich nötig.
Die Lage vor Ort sei dramatisch, sagte auch Außenministerin Annalena Baerbock. Von Israel seien ein bis zwei Wasserleitungen wieder aktiviert worden, eine dritte sei nach israelischen Angaben von der Hamas zerstört worden, sagte sie. „Aber das ist nur ein minimaler Teil der Wasserversorgung für Gaza. Es müssen vor allem die Pumpen und die Entsalzungsanlagen wieder funktionieren. Daran arbeiten wir mit.“ Es drohe ein Ausbruch der Cholera.
Update: Weiterer Konvoi bringt Hilfsgüter aus Ägypten in den Gazastreifen
Die Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen gehen weiter. Ein dritter Konvoi aus 40 Lastwagen begann am Sonntag von Ägypten aus die Einfahrt in den Transitbereich der gemeinsamen Grenze, um dringend benötigte internationale Hilfsgüter in das Palästinensergebiet zu bringen, wie der Ägyptische Rote Halbmond mitteilte. Nach Angaben von dessen Leiter im Nord-Sinai, Chalid Sajid, haben die Lkw Essen, Arzneimittel und weitere Hilfsgüter für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen geladen. Es blieb abzuwarten, ob am Montag alle 40 Lkw mit ihren Gütern nach Gaza kommen.
Die Güter werden von Ägypten, anderen Ländern sowie internationalen Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt. Sie kommen zunächst zum Flughafen der Küstenstadt Al-Arisch, wo sie nach dem Empfang teils in Lagerhäuser gebracht werden. Seit dem 12. Oktober – also fünf Tage nach dem Terrorangriff der im Gazastreifen herrschenden Hamas auf Israel – seien 27 Flugzeuge eingetroffen. Das sagte der Gouverneur der Region, Mohammed Abdel Fadil Schuscha. Sie hätten zusammen Hunderte Tonnen Hilfsgüter nach Ägypten gebracht.
Unter anderem landeten in Al-Arisch Flugzeuge aus Jordanien, Algerien, Tunesien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, der Türkei, Russland, Indien und Pakistan. Zudem trafen Hilfsgüter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des Welternährungsprogramms (WFP) und des UN-Kinderhilfswerks Unicef ein. Die Unicef-Güter kamen mit von der EU organisierten Flügen im Rahmen einer „humanitären Luftbrücke“ nach Ägypten.
Am Wochenende erreichten bereits Hilfsgüter von mehr als 30 Lkw den Gazastreifen. Am Samstag wurden 20 Lastwagenladungen für den Transport nach Gaza im Transitbereich des Grenzübergangs Rafah verladen. Am Sonntag fuhren nach Angaben von UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths 14 weitere Lastwagen nach Gaza ein.
Die Mengen sind weiterhin sehr gering mit Blick auf den tatsächlichen Bedarf im Gazastreifen, wo mehr als zwei Millionen Menschen leben. Dort waren schon vor Kriegsbeginn 60 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA angewiesen. Die UN gehen davon aus, dass für eine Grundversorgung mit Hilfsgütern rund 100 Lastwagenladungen täglich benötigt werden.
Diese dpa-Meldung wurde um 12:51 Uhr ergänzt
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