Gesundheit

Mein liebes Tagebuch

Wir sollten den Antrag stellen, „Lieferengpässe“ zum (Un-)Wort des Jahres zu machen. Was uns diese Misere an Ärger bereitet und unseren Beruf vermiest, ist nur noch schwer erträglich. Ob das Apotheken-Stärkungsgesetz in eine ähnliche Richtung geht, wird sich zeigen. Unser Präsident, der jetzt eine rosa Brille trägt, macht es uns zunächst mal schmackhaft: Mehr ging nicht, liebe Apothekers, und daher: Macht alle mit, freut euch über ein paar Milliönchen und erfüllende Dienstleistungen und wenn alles zu spät ist, haben wir ja noch das Rx-Versandverbot tief in der Schublade drin. Ob das im Sinne des Perspektivpapiers ist? 

29. Juli 2019 

Lieferengpässe – der Begriff hat das Zeug, zum Wort des Jahres, des Jahrzehnts zu werden. Noch vor 30 Jahren waren Lieferengpässe im Arzneimittelmarkt, zumindest im Westen, kein Thema. So richtig Fahrt nahmen Lieferengpässe mit der zunehmenden Globalisierung, mit dem Kostendruck, mit der Produktionsverlagerung ins Ausland (vor allem in Billiglohnländer) und mit den Rabattverträgen auf. Diese Aufzählung zeigt, dass Lieferengpässe sicher nicht auf eine Ursache allein zurückzuführen ist, aber Kostendruck und Rabattverträge direkt und indirekt Treiber der Engpässe sind. Mein liebes Tagebuch, die Frage ist, wollen wir die Probleme angehen oder laufen lassen und uns irgendwie durchwursteln? Gefühlt haben wir Apothekers, also von Seiten der Standesvertretung, die Lieferengpässe zwar thematisiert und ab und an in Sonntagsreden darauf hingewiesen. Aber so richtig mit Power und Verve hat die ABDA dieses Thema nicht wirklich in die Öffentlichkeit gebracht. Zumindest kam davon kaum etwas in den Medien an. Vielmehr waren es einzelne Apotheker (z. B. Haru Diefenbach u. a.), die sich Lieferengpässe, ihre Auswirkungen und mögliche Lösungsansätze auf ihre Fahnen geschrieben haben, was wiederum einzelne Medien aufgriffen. Sogar die Ärzte scheinen die Missstände eher anzuprangern und Lösungen einzufordern (z. B. eine nationale Arzneimittelreserve für relevante Arzneimittel, gefordert vom Bundesärztekammerpräsidenten Reinhardt) als unsere Standesvertreter. Die Politik reagiert bisher nur zaghaft, versucht es mit einer „unverzüglichen Informationspflicht seitens der Hersteller“ und schaut bisher zu oder drüber hinweg. Ist bisher ja auch zum Glück noch nichts Ernstes passiert. Die Tagesschau-Redaktion hat nun versucht, den Lieferengpässen auf den Grund zu gehen mit dem Fazit, dass sich Hersteller, Behörden und Krankenkassen die Schuld gegenseitig zuschieben. Und nun? Mein liebes Tagebuch, Arzneimittel sind doch eigentlich unser Ding – schade, dass wir als Apothekerschaft nicht deutlicher Lösungen für das Lieferengpass-Problem einfordern. Muss wohl erst was passieren…

Da sind sich Kammer und Verband in Hessen einig: Von den Spahnschen Bemühungen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für ein Apotheken-Stärkungsgesetz die Gleichpreisigkeit für Rx-Arzneimittel zu bewahren, halten sie nicht viel bis nichts. Sie sind überzeugt: Ein Rx-Versandverbot muss her. Holger Seyfarth, Chef des Hessischen Apothekerverbands, ist von den Vorschlägen des Gesundheitsministers zur Wiederherstellung der Gleichpreisigkeit von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln so gar nicht überzeugt. Durch den Gesetzentwurf sei die Gleichpreisigkeit sogar „mehr als gefährdet“, da die Gleichpreisigkeit nicht für Privatversicherte gelte. Spahn habe mit dem Gesetzentwurf einen „mehr als durchlöcherten Schweizer Käse geliefert“. Seyfarth fordert deshalb dazu auf, die Petition des Pharmaziestudenten für ein Rx-Versandverbot zu unterzeichnen, um dem Ziel der Gleichpreisigkeit Nachdruck zu verleihen. Mein liebes Tagebuch, die Hessen stellen sich damit ein Stück weit gegen die allgemeine ABDA-Linie, die ein Rx-Versandverbot derzeit als aussichtslos ansieht, zumal auch die gesellschaftliche Vermittlung eines Versandverbotes immer schwerer geworden sei. Sicher werden auch die Hessen wissen, dass ein Rx-Versandverbot derzeit keine Chancen hat. Aber sie halten die Fahne hoch, setzen Zeichen. Gut so. Und schließlich sagt ja auch unser ABDA-Präsident in seinem Brief ans Apothekervolk, dass das Versandverbot für rezeptpflichtige Medikamente als politische Option für die Zukunft erhalten bleiben soll. Er sagt es nur nicht ganz so laut, also ganz leise, er flüstert es, weil er mit der Politik im Gespräch bleiben muss. Und so ist allen recht getan, und alle haben sich wieder lieb. Bis dann der große Knall kommt und die Rx-Preise fallen…

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