Der Kreis Heinsberg gilt mit über 1200 Infizierten als das „deutsche Wuhan“. Nun könnte man erneut eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn eine großangelegte Studie in der Gemeinde Gangelt neue Erkenntnisse zum Coronavirus liefert. Um das zu gewährleisten, hat man mit Hendrik Streeck den Nachfolger von Star-Virologe Christian Drosten engagiert.
Der 15. Februar machte den Kreis Heinsberg deutschlandweit bekannt. Auf der Kappensitzung des Karnevalsvereins "Langbröker Dicke Flaa" mit rund 300 Teilnehmern in der Gemeinde Gangelt war auch ein 47-Jähriger, der später positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Er gilt als Deutschlands erster Covid-19-Patient, der auf der Intensivstation lag.
Längst ist der Kreis Heinsberg offiziell als Risikogebiet deklariert worden und weist 1281 Infizierte, 34 Todesfälle und 554 Genesene auf. Nun könnte das "deutsche Wuhan" erneut zum Vorreiter werden und dabei helfen, dass die Corona-Pandemie in Deutschland und weltweit eingedämmt wird. Jonas Güttler/dpa Ortsschild der Stadt Heinsberg im Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen.
Studie mit 1000 Menschen im Kreis Heinsberg soll Handlungsempfehlungen für Corona-Pandemie liefern
In Heinsberg, der Stadt, nach der der Kreis benannt ist, hat Landrat Stephan Pusch auf einer Pressekonferenz zum Thema Coronavirus erläutert, wie der aktuelle Stand ist. "Wir tappen noch etwas im Dunkeln", gab er zu. „Wir und ganz Deutschland machen Dinge, ohne genau zu wissen, was am effektivsten ist.“ Man bewege sich in ganz Deutschland im Rahmen einer Prognose, „darüber muss man sich im Klaren sein“.
Eine Studie, die in Heinsberg durchgeführt wird, soll nun Handlungsempfehlungen bringen, wie man in der Corona-Krise weiter verfahren soll. Dazu sei bereits am Wochenende ein Stab von Wissenschaftlern in den Kreis gekommen, habe Infiziertenzahlen und Infektionswege erläutert bekommen und damit begonnen, diese auszuwerten, erzählt Pusch. Ziel sei es herauszufinden, welche Situationen typisch für eine Ansteckung sind und wo die größten Gefahrenherde lauern.
Drosten-Nachfolger Streeck: "Kreis Heinsberg bietet uns eine einmalige Chance"
Professor Hendrik Streeck, Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Bonn und dort seit Oktober 2019 Nachfolger von Christian Drosten, betreut diese Studie. „Der Kreis Heinsberg bietet uns eine einmalige Chance, weil klar ist, wann der Virus hier angekommen ist", sagte der Virologe am Dienstag. "Dadurch kann man relativ genau bestimmen, wie hoch die Dunkelziffer ist und wie viele sich bei bestimmten Ereignissen infiziert haben.“ dpa Landrat Stephan Pusch (M.) spricht, während Prof. Dr. Hendrik Streeck (r.) und Dr. Dr. Ricarda Schmithausen zusehen.
Landrat Pusch erhofft sich von der Studie nicht nur Erkenntnisse für den Kreis Heinsberg, sondern auch Antworten auf Fragen, die ganz Deutschland betreffen. "Was darf man in Zukunft wieder machen, ohne dass es gefährlich ist und was müssen wir an Maßnahmen beibehalten, damit es nicht wieder zu Infektionsketten kommt?" Pusch sieht nun sogar eine "Riesenchance" ein Vorbild für Deutschland und die ganze Welt zu werden, wenn man mehr über das Virus herausfindet und dazu beiträgt, es einzudämmen.
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Feiern als Ansteckungsmultiplikator? Virologe Streeck will das untersuchen
Streeck bremste diese Euphorie und sieht Deutschland sogar auf ein "ethisches Dilemma" zusteuern. Virologen hätten die Aufgabe zu erfahren, wie hoch die Sterblichkeitsrate durch das Coronavirus im Vergleich zu den Existenzen sei, die man gefährde, und Handlungsempfehlungen zu geben. Tatsächlich zu handeln sei aber nicht Aufgabe der Virologen, sondern der Politik. „Wir sprechen nur Empfehlungen aus.“
Er sei mit 40 Studenten der Universität Bonn in den Kreis Heinsberg gekommen, sagte Streeck. "Am Anfang war es mit 20 Studenten geplant, aber der Zuspruch war riesengroß." Nun habe sich den Kreis Gangelt vorgenommen, in dem die berüchtigte Karnevalssitzung stattgefunden hat, und dort ein Studienzentrum eingerichtet. Dort habe man „eine Stichprobe gezogen, die repräsentativ ist“. 1000 Einwohner wurden und werden nun kontaktiert, um sich an der Studie zu beteiligen, so der Virologie-Professor. Ziel ist es, eine Vergleichbarkeit mit anderen Studien weltweit zu gewährleisten. dpa Professor Dr. Hendrik Streeck ist der Nachfolger von Christian Drosten als Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Bonn.
Interessant sei auch, dass sich viele Menschen beim Feiern, zum Beispiel bei besagter Karnevalssitzung und in Ischgl, infiziert hätten. „Wir wollen sehen, was dort anders ist und ob man vielleicht Handlungsempfehlungen daraus ableiten kann“, so Streeck.
Virologe Streeck: "Überrascht, dass das RKI die Studie nicht selbst durchführt"
Es gehe darum, Fakten zusammenzutragen, führte Streeck aus. Dazu solle auch untersucht werden wie in Familien die Infektionsketten verlaufen, ob Kinder Erwachsene anstecken und warum sich einige im Karneval angesteckt haben und andere nicht. Erste Ergebnisse könnten schon kommende Woche vorliegen. Auch eine zweite, kleinere Studie, in der man Kitas und Krankenhäuser betrachte, werde man durchführen.
Verwundert zeigte sich der Virologe von einem anderen Fakt. „Ich war selbst überrascht, dass das Robert-Koch-Institut diese Studie nicht selbst durchgeführt hat“, sagt Streeck, der den Auftrag direkt von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bekommen hat.
Ob die Studie aber tatsächlich Handlungsempfehlungen zu Tage fördert, die in der Corona-Pandemie helfen, sei nicht gesichert, so Pusch. „Vielleicht gibt es gar keine Empfehlung“, gibt der Landrat des Kreises Heinsberg zu bedenken. „Wir befinden uns einer Situation, in der die Politik entscheiden muss, wie man Leben am besten schützt.“
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