Gesundheit

Alternative Corona-Strategie: Wie #ZeroCovid die Pandemie beenden will

Viele Menschen freuen sich auf die Zeit nach der Pandemie: Restaurants öffnen wieder wie gewohnt, ohne Mindestabstände oder Kontaktlisten. Es wird wieder eng zusammengesessen, gesungen und gelacht. Schulen gehen in den Regelbetrieb über. Und auch Geburtstage und Hochzeiten können wieder größer gefeiert werden.

Aktuell scheint dieses Szenario noch in weiter Ferne: Bund und Länder haben in dieser Woche weitere Corona-Beschränkungen auf den Weg gebracht, darunter strengere Masken-Regeln und eine Home-Office-Pflicht. Noch immer infizieren sich zu viele Menschen in Deutschland mit dem Coronavirus. Täglich sterben Hunderte. Neue, ansteckendere Corona-Mutanten könnten die Fallzahlen erneut nach oben treiben, so die Befürchtung. Und auch das schnelle Erreichen einer Herdenimmunität durch Impfungen ist aktuell nicht in Sicht. Die derzeit zur Verfügung stehenden Impfstoffmengen reichen schlicht nicht aus.

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Zu langsam, zu wenig, zu chaotisch – warum das Impfen in Deutschland so schleppend vorangeht

Die Initiative #ZeroCovid stellt eine Abkürzung auf dem Weg zur weitgehenden Normalität in Aussicht – indem die Pandemie in Europa durch strikte Maßnahmen praktisch zum Erliegen kommt. Null Coronafälle in Europa lautet das hochgesteckte Ziel. Möglich machen soll das ein solidarischer europäischer Shutdown. Wer sind die Initiatoren? Und wie soll der Weg hin zu einem normaleren Alltag gelingen?

Wer steckt hinter #ZeroCovid?

Hinter dem Hashtag formiert sich ein breites Bündnis aus Medizinern, Pflegekräften, Journalisten, Aktivisten und Künstlern. Es gibt zudem eine Petition auf der Plattform "We Act". Bislang haben sich mehr als 70.000 Menschen den Shutdown-Forderungen angeschlossen. "Wir brauchen jetzt einen radikalen Strategiewechsel", heißt es unter anderem in der Petition, "kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung."

Neu ist die Idee keineswegs. Länder wie Neuseeland oder Australien machen vor, wie eine solche Strategie aussehen könnte: Im Idealfall kommt es zu keinerlei Übertragungen in der Bevölkerung und das öffentliche Leben kann weitgehend zur Normalität zurückkehren. Treten lokal einzelne Fälle auf, wird schnell und massiv gegengesteuert, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Um Einschleppungen in coronafreie Gebiete zu verhindern, werden die Grenzen zudem streng kontrolliert.

Die Infektionszahlen in Europa rasch senken und dann niedrig halten – diese Forderung ist auch in Fachkreisen beliebt. #ZeroCovid orientiert sich dabei an einem entsprechenden Positionspapier, das im Dezember im Fachblatt "The Lancet" erschienen ist. Unterstützt wird es von internationalen Fachleuten aus dem Bereich der Virologie, Epidemiologie, Modellierung und Ökonomie. Beteiligt ist unter anderem die Göttinger Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut. Die Wissenschaftlerin und ihr Team berechnen auf Basis von Modellen, wie sich das Coronavirus ausbreiten wird und welche Maßnahmen zur Eindämmung beitragen.

Die Forderung der Autorinnen und Autoren: In Europa sollte ein Maximum von zehn Neuinfektionen pro Million Einwohner und Tag gelten. Umgerechnet auf die in Deutschland gängige "Sieben-Tage-Inzidenz" entspricht das sieben Fällen pro 100.000 Einwohnern und Woche. Aktuell liegt der Wert bei 132 Fällen. Es wäre also noch einmal eine deutliche Senkung nötig.

Welche Vorteile hätte eine solche Strategie?

Sind die Corona-Fallzahlen erst einmal stark verringert oder bei Null angekommen, soll jede einzelne Infektion wieder nachvollziehbar sein, so die Hoffnung der #ZeroCovid-Initiative. Aktuell ist eine effektive Kontaktnachverfolgung nicht mehr möglich, was die Eindämmung des Virus erschwert. "Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld und Alten- und Pflegeheimen verursacht", schreibt das Robert Koch-Institut (RKI).

Wo keine Fälle mehr auftreten, könnte das öffentliche Leben wieder weitgehend zur Normalität zurückkehren. In der Folge würde sich die wirtschaftliche wie auch die psychologische Lage der Gesellschaft entspannen, so die Hoffnung. Die Initiative übt auch Kritik an den aktuell geltenden Maßnahmen und erklärt "Flatten the Curve" für gescheitert. Die Regelungen würden nicht ausreichen und die Pandemie lediglich verlängern anstatt sie zu beenden. Gleichzeitig gebe es viele Infektionen und Todesfälle.

Wie soll das Ziel erreicht werden?

#ZeroCovid setzt auf drei Stufen:

  • Schnelles, entschiedenes Handeln in allen europäischen Staaten: Durch strikte Maßnahmen sollen die Infektionszahlen zunächst auf Null sinken. Um einen Ping-Pong-Effekt zu vermeiden, müsse dies in allen europäischen Staaten geschehen, fordert die Initiative. Die Maßnahmen sollen nicht allein die Freizeit, sondern auch das wirtschaftliche Leben betreffen. "Shutdown heißt: Wir schränken unsere direkten Kontakte auf ein Minimum ein und zwar auch am Arbeitsplatz", heißt es unter anderem im Petitionstext. Und weiter: "Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden."
  • Kontrolle der Null: In dieser Phase könnten die Einschränkungen schrittweise gelockert werden und das öffentliche Leben weitgehend zur Normalität übergehen. Gleichzeitig braucht es wirksame Kontrollstrategien, um das erneute Aufflammen des Virus zu verhindern. Dies könnten zum Beispiel strenge Einreise- und Quarantäneregelungen sein. Kommt es lokal zu Infektionen, müsse schnell und entschieden gegengesteuert werden.
  • Langfristige Strategie: Regionale und nationale Aktionspläne sollen die Strategie langfristig unterstützen. "Diese beinhalten Screening- und Impfstrategien, Schutz von Risikogruppen und Unterstützung der Menschen, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind", heißt es weiter.

Wo liegt der Unterschied zu den aktuellen Maßnahmen?

Bund und Länder haben die Corona-Maßnahmen für Deutschland in dieser Woche erneut verlängert. Die bislang schon geltenden Maßnahmen sollen bis zum 14. Februar fortgesetzt werden. Neu hinzu kommt eine Pflicht zum Tragen von medizinischen Masken in Geschäften und im Nahverkehr. Auch beim Thema Home-Office, Schulen und Kitas wurde nachjustiert. Eine befristete Stilllegung der Wirtschaft, wie von #ZeroCovid gefordert, wurde nicht beschlossen.

Wie realistisch ist #ZeroCovid?

Länder wie Neuseeland und Australien haben in den vergangenen Monaten vorgemacht, dass die Virus-Ausbreitung mit einem entschiedenen Vorgehen praktisch zum Erliegen kommen kann. Doch trotz aller Vorsicht kam es vereinzelt immer wieder zu Infektionsketten, die lokale Lockdowns nach sich zogen. Australien und Neuseeland haben zudem den Vorteil, dass sie ihre Grenzen und die Einreise aus anderen Ländern gut kontrollieren können. Die offenen Grenzen in Europa dürften die Kontrolle über die Einschleppung des Erregers dagegen deutlich erschweren, sofern nicht wirksame Maßnahmen beschlossen werden.

Fraglich ist auch, welchen Einfluss neue, ansteckendere Virus-Varianten auf die Eindämmung des Erregers haben. Hinzu kommt die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für einen strikten Shutdown: Im "Ärzteblatt" erklärte der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz es sei "fast aussichtslos", in den Wintermonaten das Infektionsgeschehen auf null zu drücken. 

Auch wirtschaftliche Überlegungen müssten miteinbezogen werden. Im Zentrum dürfte dann die Frage stehen, was auf Dauer weniger Schaden anrichtet: ein länger andauernder, abgespeckter Lockdown – oder ein kürzerer, aber strikter Shutdown?

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