Gesundheit

COVID-19: Großteil der Betroffenen nach Erkrankung nicht beschwerdefrei – Naturheilkunde & Naturheilverfahren Fachportal

Corona: Neurologische Symptome bleiben

Schon früh im Verlauf der Corona-Pandemie wurde festgestellt, dass es bei Infizierten auch zu neurologischen Symptomen wie dem Verlust von Geruchs- und/oder Geschmackssinn kommen kann. Laut einer neuen Studie sind die meisten Betroffenen auch nach überstandener COVID-19-Erkrankung nicht frei von Beschwerden.

Die Zahl der Menschen, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren steigt und steigt. Die durch den Erreger ausgelöste Krankheit COVID-19 verläuft häufig relativ harmlos mit Symptomen wie Fieber, Husten und Kopfschmerzen. Bei manchen Personen kommt es auch zu neurologischen Beschwerden wie zu einem vorübergehenden Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns. Fachleute berichten nun, dass auch neurologische Folgeerkrankungen auftreten können.

Neurologische Symptome und Ausfälle bleiben

Zahlreiche Studien haben neurologische Manifestationen von COVID-19 beschrieben. Das Spektrum reicht von Geschmacks- und Riechstörungen bis hin zu schweren Schlaganfällen. Wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer aktuellen Mitteilung berichtet, zeigte eine italienische Arbeit nun, dass fast 90 Prozent der Betroffenen nach der akuten Erkrankung nicht beschwerdefrei sind. In manchen Fällen bleiben neurologische Symptome und Ausfälle zurück.

Die Spanische Grippe führte ebenfalls zu bleibenden neurologischen Problemen. Handelt es sich in beiden Fällen also um virusvermittelte Autoimmunreaktionen? Der DGN zufolge fand eine neuroimmunologische Arbeitsgruppe der Charité Antikörperbefunde, die darauf hinweisen, dass sich das Immunsystem bei schwer erkrankten COVID-19-Patientinnen und -Patienten gegen körpereigene Nervenzellen richten kann.

Auch junge, „gefäßgesunde“ Menschen gefährdet

Diverse Fallberichte und Studien beschreiben mittlerweile neurologische Begleiterscheinungen bei COVID-19-Erkrankten. Sehr oft kommt es zu Geruchs- und Geschmacksstörungen. Doch es kann während der Virusinfektion auch zu diffusen Hirnschädigungen (Enzephalopathien) mit neurologischen und psychiatrischen Auffälligkeiten, zu einer Entzündung von Gehirn und Rückenmark (Enzephalomyelitis) oder zu Schlaganfällen kommen.

Das Kuriose dabei ist, dass Letztere nicht nur bei COVID-19-Patientinnen und -Patienten auftreten, die viele kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen, sondern auch bei jungen, „gefäßgesunden“ Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert haben.

Des Weiteren können in Folge der Virusinfektion auch Erkrankungen des peripheren Nervensystems wie das Guillain-Barré-Syndrom auftreten. Aufgrund dieser Beobachtungen spricht die internationale Fachwelt mittlerweile von „Neuro-COVID“.

Beschwerden können bestehen bleiben

Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe hat Ende Juni in der Fachzeitschrift „Journal of Alzheimer’s Disease“ eine Neuro-COVID-Einteilung in drei Stadien vorgelegt, die die neurologische Begleitsymptomatik nach Schweregrad einordnet.

Eine Arbeit aus Großbritannien, die Anfang Juli in dem medizinischen Fachmagazin „Brain“ publiziert wurde, unterteilt die Symptomatik nach neurologischer Diagnosegruppe in fünf Klassen (1. Gehirnveränderungen (Enzephalopathien), 2. entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems, 3. Ischämische Schlaganfälle, 4. periphere neurologische Störungen und 5. sonstige zentralnervöse Störungen).

„Noch ist für einige der neurologischen Manifestationen nicht klar, wie häufig sie bei COVID-19 wirklich sind,“ erklärt Professor Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Aber selbst wenn der Anteil prozentual nur etwa dem von SARS oder MERS entspräche, ist die absolute Zahl COVID-19-assoziierter neurologischer Erkrankungen angesichts der enorm hohen Infektionsraten weltweit als hoch einzustufen, was bei der Versorgung der Patienten unbedingt Berücksichtigung finden muss.“

Zudem ist die Erkenntnis, dass neurologische Symptome oft persistierten, beunruhigend. Eine aktuelle Studie aus Italien, die im Fachjournal „JAMA“ veröffentlicht wurde, untersuchte, ob und welche Beschwerden bei COVID-19-Erkrankten nach der Klinikentlassung bestehen blieben: 87 Prozent der Betroffenen wiesen im Nachgang noch Symptome auf.

Die häufigsten neurologischen Folgen waren in dieser Studie Müdigkeit beziehungsweise Fatigue (ca. 53 Prozent), Beeinträchtigungen des Geruchssinns (ca. 16 Prozent), Geschmacksstörungen (ca. elf Prozent), Kopfschmerzen (ca. zehn Prozent) sowie Schwindel (ca. fünf Prozent).

Wie die DGN schreibt, zeigt sich hier eine interessante historische Analogie: Auch die Spanische Grippe 1918 führte in Folge zu ungeklärten neurologischen Beschwerden, an denen noch ein Jahrzehnt lang über eine Million Menschen litten („Enzephalitis lethargica“, auch Europäische Schlafkrankheit genannt). „Das zeigt, dass eine neurologische Nachbetreuung von COVID-19-Patienten mit entsprechend weiterführender Diagnostik enorm wichtig ist“, sagt Professor Berlit.

Immunsystem richtet sich gegen Nervenzellen

Das neuroinvasive Potenzial von Coronaviren wurde schon 2002/2003 beim SARS-CoV-Ausbruch beschrieben: Damals fand man die Viren nur in Gehirnzellen, nicht in den benachbarten Blut- oder Lymphbahnen, was für einen Infektionsweg über die Nervenzellen und nicht über Blut- oder Lymphgefäße spricht.

Bei dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 ist ein direkter Virusnachweis im Nervenwasser (Liquor) bislang aber nur in Einzelfällen gelungen. Daraus ergibt sich die Hypothese, dass vor allem indirekt viral vermittelte Mechanismen bei der Entstehung der neurologischen Symptome eine Rolle spielen könnten. „So erklärt vermutlich die deutliche Aktivierung des Gerinnungssystems bei COVID-19 zumindest einen Teil der Schlaganfälle“ erläutert Professor Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN.

Eine Studie der Berliner Charité untersuchte nun elf Intensivpatienten mit COVID-19 und neurologischen Symptomen auf spezielle Antikörper und wurde fündig: Das Immunsystem richtet sich offensichtlich bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten gegen körpereigene Nervenzellen.

„Die Viren können die Bildung von Autoantikörpern anregen, die genau an die Oberflächenstruktur von Nervenzellen passen“, erklärt Prof. Dr. Harald Prüß von der Charité Berlin, Sprecher der DGN-Kommission Neuroimmunologie, der diese Daten auf dem medizinischen Preprint-Server „medRxiv“ veröffentlicht hat.

„Derzeit prüfen wir, ob die Antikörper-Bildung eine Folge der virusbedingten Entzündung ist. Alternativ könnte es sich dabei um eine „Strategie“ des Virus handeln, seine Oberfläche körpereigenen Strukturen anzupassen, um von den Killerzellen des Immunsystems nicht erkannt zu werden. In beiden Fällen richten sie sich gegen alle Zellen mit dieser Oberflächenstruktur, auch gegen gesunde Nervenzellen. So kann das Virus ein neurologisches Symptom oder eine neurologische Erkrankung katalysieren“, so der Wissenschaftler.

Dieser Mechanismus ist auch von anderen Viren bekannt, zum Beispiel können Herpesviren auf diese Weise eine autoimmune Form der Hirnentzündung nach der eigentlichen viralen Infektion auslösen.

„Noch sind nicht alle Pathomechanismen geklärt, die bei COVID-19-Patienten zu einer neurologischen Beteiligung führen, wir brauchen sicher weitere prospektive Befunde von größeren Patientenzahlen. Der von Prüß und Kollegen vermutete krankheitsauslösende Prozess erscheint aber plausibel und hat zudem den Charme, dass wir hier eine Therapieoption hätten: Bei viral ausgelösten Autoimmunreaktionen können wir erfolgreich mit Immuntherapien behandeln“, erläutert DGN-Generalsekretär Professor Berlit abschließend. (ad)

Autoren- und Quelleninformationen

Quelle: Den ganzen Artikel lesen