Gesundheit

"Hätte ich geahnt, was meine Mutter hier erwarten würde – ich hätte sie nicht hierhergebracht"

"Als ich mich im August 2020 auf die Suche nach einem Heimplatz für meine Mutter machte, hatte ich keine große Wahl. Sie wollte unbedingt in der Nähe ihres Wohnortes bleiben, zwei Heime mit einem guten Ruf schieden damit aus. Im dritten rühmte sich die Aufnahmeleitung mit der Pflege-TÜV-Note 1,0. Für mich klang das nach Märchenstunde – kein Unternehmen der Welt hat eine 1,0 verdient. Ein Pflegeheim ohne Mängel kann es nicht geben. Und der Pflege-TÜV war aus gutem Grund ausgesetzt worden. So kam meine Mutter in ein Heim im Münchner Umland. Der Ruf des Heimes war gut, die Rezensionen im Internet waren es auch. Wir waren dankbar über den angebotenen Platz. Hätte ich geahnt, was meine Mutter hier erwarten würde – ich hätte sie nicht hierhergebracht.

Pflege-Petition – für eine Pflege in Würde


"Am Ende hatte Frieda einfach Glück": Der Pflegekräftemangel gefährdete das Leben meiner Tochter

Schon in der ersten Nacht wurde meine Mutter vom Nachtpfleger beleidigt, als sie auf die Toilette musste. "Schämen Sie sich!", sagte er zu ihr. "Wie ein Baby!" Am zweiten Tag wurde ihr vom Spätdienst eine Windel verpasst. Begründung: Sie müsse zu oft auf die Toilette. Die Windel fasse fünf Liter, wurde ihr gesagt, da könne sie oft reinmachen. Meine Mutter konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Sie hat sich unfassbar geschämt, mir davon zu erzählen. Sie ist nicht inkontinent und merkt, wann sie auf die Toilette muss. Sie braucht keine Windel!

Meine Mutter ist nach einer Krebserkrankung halbseitig gelähmt. Trotzdem ging sie zu Hause noch allein zur Toilette. Mit zwei Stützen links und rechts neben dem Toilettensitz klappte das sehr gut. Doch diese Stützen fehlen im Pflegeheim. Deshalb muss meine Mutter jetzt klingeln, wenn sie muss – damit sie nicht stürzt.  So kam es auch, dass sie am zweiten Tag schon um 19 Uhr im Bett lag, obwohl sie ein Nachtmensch ist. Sie klingelte, die Pflegerin kam ins Zimmer, brachte sie zur Toilette und direkt danach ins Bett. Meine Mutter konnte noch nicht einmal mehr die Zähne putzen. An manchen Tagen liegt sie bis zu 12 Stunden im Bett. Inzwischen traut sie sich kaum noch zu klingeln. Oft hat sie Schmerzen vom Zurückhalten. Sie wird auch nicht regelmäßig geduscht und bekommt nur alle zwei Tage eine frische Unterhose.

stern-Aktion – für eine Pflege in Würde!

→ Hier finden Sie alle Informationen zur Pflege-Petition

→ Hier können Sie die Pflege-Petition online zeichnen

→ Sie wollen die Pflege-Petition händisch zeichnen? Hier können Sie eine Unterschriftenliste zum Ausdrucken herunterladen

→ Sie wollen uns erreichen? Schreiben Sie an [email protected]

Meine Mutter war geistig fit und lebensfroh. Heute ist sie müde und teilnahmslos. Sie fühle sich wie in einem Gefängnis, sagt sie. Sie fängt an, sich aufzugeben, redet jeden Tag vom Sterben. All ihr Lebenswille scheint versiegt zu sein. Meine Mutter hatte ein schweres Leben mit großen Schicksalsschlägen. Ich wünsche ihr einen Lebensabend in Würde. Dazu gehören auch regelmäßige Toilettengänge. Und dafür brauchen Pflegekräfte vor allem eins: Zeit."

*Name geändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

Über die Aktion:

Es geht um Ihre Kinder, Eltern und Großeltern, um unser aller Zukunft. Wir brauchen gute Pflege. Früher oder später. Deutschland altert schnell, und immer mehr Menschen sind im Alltag auf professionelle Pflege angewiesen. Doch in den Krankenhäusern, Heimen und bei den ambulanten Diensten herrscht ein enormer Pflegenotstand. Überall fehlen Pflegekräfte, weil die Arbeitsbedingungen schwer zumutbar sind und das Gehalt zu niedrig. Wir alle sind davon akut bedroht: Pflegekräftemangel führt zu schwereren Krankheitsverläufen, mehr Komplikationen und Todesfällen. Unsere Politiker:innen finden seit zwei Jahrzehnten keine wirksame Gegenmaßnahme. Es braucht einen ganz großen Wurf, um den Pflegekollaps noch aufzuhalten. Unser Umgang mit dem Thema Pflege entscheidet darüber, wie menschlich unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert bleibt.

Hier können Sie die Pflege-Petition online mitzeichnen.

Quelle: Den ganzen Artikel lesen