In Israel gilt in Kliniken wieder eine Testpflicht. Die Corona-Variante „Pirola“ treibe die Fallzahlen nach oben, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Auch für Deutschland denkbar?
In israelischen Krankenhäusern gibt es wieder verpflichtende Corona-Tests. Seit vergangenem Montag müssen bei allen Neuaufnahmen PCR-Tests durchgeführt werden. Das ordnete das Gesundheitsministerium in Jerusalem an, wie unter anderem die „Jüdische Allgemeine“ berichtet. Hintergrund sind demnach die steigende Anzahl an Neuinfektionen und die neue vorherrschende Corona-Variante „Pirola“. Allerdings: Für die breite Öffentlichkeit werde es vorerst keine neuen Regulationen geben.
Kommt das auch auf Deutschland zu? Wir klären die wichtigsten Fragen.
Wie ist die aktuelle Corona-Lage in Deutschland?
Die Zahl der laborbestätigten Corona-Infektionen steigt laut Robert Koch-Institut seit Anfang Juli kontinuierlich an. So wurden in der Woche bis zum 3. September 5100 Nachweise bundesweit gemeldet, vor einem Monat waren es noch 1900. Das ist zwar ein deutlicher Anstieg, aber weiterhin ein niedriges Niveau. Experten gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus.
„Die tatsächliche epidemiologische Lage ist schwer einzuschätzen, da kaum noch und schon gar nicht flächendeckend getestet wird“, erklärte der Epidemiologe Timo Ulrichs im Gespräch mit FOCUS online Ende August. Sein Kollege, der Virologe Hendrik Streeck fügte hinzu: „Wir testen nur noch sehr, sehr wenig, sodass das genaue Infektionsgeschehen überhaupt nicht klar nachzuvollziehen ist.“ Doch beide sagten: „Es ist schon von einem Anstieg der Fallzahlen auszugehen.“
Lage in den Kliniken: Laut Pandemieradar sind 78,1 Prozent der Betten auf den Normalstationen belegt. Das sind zwei Prozent mehr als vergangene Woche. Laut Krankenhaussurveillance ist die Zahl der Fälle mit schweren Atemwegsinfektionen im Vergleich zur Vorwoche aber gesunken. In der aktuellen Meldewoche hatten rund neun Prozent der Hospitalisierten mit Atemwegserkrankung eine Covid-19- und jeweils unter einem Prozent eine Influenza bzw. RSV-Diagnose.
Lage auf den Intensivstationen: Der Blick auf das DIVI-Intensivregister zeigt, dass aktuell 232 Corona-Patienten auf einer Intensivstation behandelt werden, in der Vorwoche waren es 190. Vor einer Woche erklärte Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gegenüber der deutschen Presseagentur, dass ein großer Teil von ihnen wegen anderer medizinischer Probleme in Behandlung sei. Corona-Patienten machen zudem flächendeckend einen nur kleinen Anteil der Intensivpatienten aus – von 0,2 Prozent in Sachsen-Anhalt bis 4,7 Prozent in Bremen.
Wie steht’s um die besorgniserregende Corona-Variante „Pirola“?
Vor allem zwei neue Abkömmlinge von Omikron sind gerade besonders im Fokus: EG.5 („Eris“) und BA.2.86 („Pirola“)
- Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte zunächst EG.5 zu einer von nunmehr drei „Virusvarianten von Interesse“ hoch. Wegen des Wachstumsvorteils und Immunflucht-Eigenschaften könnte EG.5 laut WHO wieder für mehr Fälle sorgen und in einigen Ländern oder sogar weltweit dominant werden.
- Deutlich stärker mutiert ist die neue Variante BA.2.86. Die WHO stufte sie vorige Woche als eine von derzeit sieben „variants under monitoring“ ein. BA.2.86 weise im Vergleich zu den nächsten Verwandten knapp 30 Veränderungen im Spike-Protein auf.
In Deutschland ist weiterhin EG.5 vorherrschend, sie lag in der aktuellen Meldewoche bei knapp 46 Prozent. Laut RKI gibt es bislang noch keine Nachweise von BA.2.86.
„Neue Varianten können sich nur durchsetzen, wenn sie noch ansteckungsfähiger sind als ihre Vorgänger“, erklärt Ulrichs. „Ob sie auch über weitere Eigenschaften verfügen wie z.B. Immunflucht oder eine höhere Pathogenität, ist noch völlig offen und sollte genau beobachtet werden.“ Der Epidemiologe beruhigt: „Auch wenn das der Fall sein sollte, besteht kein erhöhtes Risiko, wieder in eine Situation zu geraten wie während einer Pandemiewelle. Dazu ist die Immunisierung durch Impfung und (laufende) Durchseuchung in der Bevölkerung zu groß, als dass das Coronavirus noch einmal so heftig zuschlagen könnte.“
Drohen Engpässe in Kliniken und auf den Intensivstationen?
Ja, sagen Experten. „Es geht nicht nur um Covid dieses Jahr“, sagte Leif Sander von der Uniklinik Charité in Berlin der Presseagentur dpa. Saisonale Anstiege von Infektionskrankheiten könnten in Kombination mit Personalmangel wie im Vorjahr relativ schnell an Belastungsgrenzen führen. „Das wird, glaube ich, auch diesen Herbst wieder passieren.“ Insbesondere in der Kindermedizin und den Notaufnahmen drohten relativ schnell Engpässe.
Als größtes Problem der Intensivstationen für den Herbst bezeichnete Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) den schon länger bestehenden Personalmangel in Deutschland, insbesondere in der Pflege. Rund ein Viertel der Intensivbetten sei deshalb nicht nutzbar. Aktuell sei die Lage aber stabil.
Wird es neue Corona-Regeln auch in Deutschland geben?
Aus dem Bundesgesundheitsministerium* heißt es auf Nachfrage von FOCUS online, es sei „zum aktuellen Zeitpunkt noch zu früh, um fachlich fundiert abzuschätzen, wie sich das Infektionsgeschehen im Herbst/Winter 2023/2024 entwickelt“. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) äußerte sich gestern am Rande der Long-Covid-Pressekonferenz auf eine Journalistenfrage dazu: „Bei der derzeit steigenden Inzidenz ist es natürlich so, dass gerade diejenigen mit Risikofaktoren […], denjenigen rate ich auf jeden Fall dazu, eine Maske zu tragen.“ Es sei falsch, das Immunsystem mit einer Infektionskrankheit, insbesondere Covid, „trainieren zu wollen“. Denn: „Je häufiger unser Abwehrsystem in Anspruch genommen ist, desto geschwächter wird es in der Regel“, so Lauterbach. Das Immunsystem sei nicht wie der Oberarm, der durch ein regelmäßiges Beanspruchen Muskeln aufbaue. Daneben rät Lauterbach zur Impfung entsprechend der Stiko-Empfehlung.
Laut „Bild“ gebe es in Deutschland allerdings vermehrt Forderungen nach einer Wiedereinführung von Corona-Schutzmaßnahmen im Gesundheitswesen. Demnach forderte Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen, in Krankenhäusern sowie Pflegeeinrichtungen wieder Masken zu tragen. Es „mehren sich Hinweise“, dass in der kommenden Herbst-Winter-Saison „die Belastung im Gesundheitswesen aufgrund von akuten respiratorischen Infektionen wieder deutlich zunehmen könnte“, wird Dahmen zitiert.
Fazit: Es kommt wohl auf die Entwicklung der Fallzahlen bzw. Hospitalisierungen an, ob es tatsächlich neue, verpflichtende Corona-Maßnahmen in Deutschland geben wird. Aktuell sind sie laut Bundesgesundheitsministerium noch nicht vorgesehen.
Im Hinblick auf die steigenden Fallzahlen appellieren Mediziner jedoch, bei Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben. Risikogruppen wird zudem eine Auffrischungsimpfung empfohlen.
Wer sollte sich impfen lassen?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt nur noch bestimmten Gruppen Auffrischimpfungen. Dazu gehören etwa Menschen ab 60, Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen ab einem Alter von sechs Monaten, Pflege- und Gesundheitspersonal sowie Angehörige von Risikopatienten. Mindestens zwölf Monate sollen in der Regel seit der letzten Impfung oder Infektion vergangen sein.
Gesunden Erwachsenen unter 60 und Schwangeren wird dies nicht mehr empfohlen. Grundimmunisierung und Booster empfiehlt die Stiko auch nicht mehr für gesunde Säuglinge, Kinder und Jugendliche.
Der angepasste Impfstoff soll ab 18. September in den Praxen verfügbar sein.
*Transparenzhinweis: Das Statement des Bundesgesundheitsministeriums sowie die Aussagen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wurden nachträglich eingefügt.
Quelle: Den ganzen Artikel lesen