Gesundheit

Kann Bayer für Gesundheitsrisiken durch die „Pille“ verantwortlich gemacht werden?

Fast zwölf Jahre ist es mittlerweile her, dass die damals 25-jährige Felicitas Rohrer eine Lungenembolie und einen Herzstillstand erlitt und beinahe verstarb. Sie macht die damals von ihr eingenommene Bayer-Verhüttungspille Yasminelle® dafür verantwortlich – und fordert daher vor Gericht Schadensersatz und Schmerzensgeld von dem Pharmakonzern. Nachdem ihre Klage in erster Instanz erfolglos blieb, stand heute die Berufungsverhandlung an – ein Urteil soll im Juni fallen.

Der Rechtsstreit um mögliche Gesundheitsgefahren durch die Einnahme des hormonellen Kontrazeptivums Yasminelle® geht nur mühsam vonstatten. Bereits vor zehn Jahren hatte Felicitas Rohrer Klage gegen Bayer erhoben – der Konzern hatte die „Pille“ mit dem Wirkstoff Drospirenon früher vertrieben. Erst 2015 fand die erste Verhandlung statt. Der Grund für die Klage: Die damals 25-jährige Frau hatte im Juli 2009 eine beidseitige Lungenembolie sowie einen Kreislaufzusammenbruch mit Herzstillstand erlitten und war dabei nur knapp dem Tod entgangen. Sie ist überzeugt, dass dies an Yasminelle lag. Dieses Präparat gehört zu den Verhütungspillen der sogenannten vierten Generation, die immer wieder wegen erhöhter Thrombose-Risiken in der Kritik stehen.

Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erleiden bei Einnahme des Wirkstoffs Drospirenon etwa neun bis zwölf von 10.000 Frauen innerhalb eines Jahres eine venöse Thromboembolie. Bei der Einnahme einer Pille der sogenannten ersten Generation sind es demnach weniger: fünf bis sieben. Das BfArM empfiehlt Ärzten und Ärztinnen mittlerweile, insbesondere Erstanwenderinnen und Anwenderinnen unter 30 Jahren bevorzugt Pillen der ersten und zweiten Generation zu verschreiben, also den Pillen „mit dem bekannten geringsten Risiko für venöse Thromboembolien“.

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Doch die Bemühungen der jungen Frau, von Bayer Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200.000 Euro zu erlangen, blieben bislang ohne Erfolg. Das Landgericht Waldshut-Tiengen wies ihre Klage Ende 2018 ab. Aus Sicht des Gerichts konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass die von ihr erlittenen schweren gesundheitlichen Schäden durch die Einnahme des Medikaments verursacht wurden. Eine Gefährdungshaftung nach § 84 Arzneimittelgesetz lehnten die Richter ab, da auch andere Umstände als die Einnahme der „Pille“ für den Schaden ursächlich sein konnten. Sodann vergingen weitere Jahre, ehe am heutigen Dienstag vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe beziehungsweise dem zugehörigen Zivilsenat in Freiburg die Berufungsverhandlung stattfand (Az. 14 U 19/19).

In der Verhandlung wurde ein Sachverständiger unter anderem dazu befragt, ob die Gesundheitsschäden der Frau auch auf andere Faktoren als die Einnahme der Pille zurückzuführen sein könnten – etwa auf einen Langstreckenflug der Klägerin Monate vorher, der bereits im vorinstanzlichen Urteil Zweifel nährte. Darauf zielt die Bayer-Verteidigung nämlich ab: Wenn das Unternehmen sicher nachweisen kann, dass im konkreten Einzelfall andere Faktoren als sein Arzneimittel geeignet gewesen sein können, die Gesundheitsschäden zu verursachen, haftet es nicht, wie ein Gerichtssprecher erläuterte. Entschieden wurde heute allerdings noch nichts. Das Urteil soll am 25. Juni verkündet werden.

Posttraumatische Belastungsstörung, Panikattacken und Depression

Für die Klägerin geht es um viel. „Ich werde nie wieder zu meinem alten Körper kommen“, sagte die heute 36-Jährige kurz vor dem Prozesstag. „Man wacht mit 25 aus dem Koma auf und kann gar nichts mehr.“ Heute leide sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, Panikattacken und Depression und müsse ihren Alltag nach der Krankheit ausrichten. Das Verfahren sei zudem ein Beispielprozess. Sollte das Gericht zu ihren Gunsten entscheiden, könne das viele Klagen möglicher weiterer Yasminelle-Geschädigter gegen Bayer nach sich ziehen. Die Bayer Vital GmbH hält die Ansprüche der Klägerin für unbegründet. Niedrig dosierte kombinierte orale Kontrazeptiva wie Yasminelle wiesen bei bestimmungsgemäßer Einnahme ein positives Nutzen-Risiko-Profil auf.

In den USA hat Bayer wegen Drospirenon-haltigen Präparaten bereits hohe Vergleichszahlungen leisten müssen. 10.600 Anspruchstellerinnen erhielten dort wegen Erkrankungen infolge von venösen Blutgerinnseln insgesamt rund 2,1 Milliarden US-Dollar, wie das Leverkusener Unternehmen mitteilte. Eine Haftung sei aber nicht anerkannt worden. Im Zusammenhang mit den Präparaten sind nach Bayer-Angaben noch weitere Verfahren anhängig: zwei in den USA und „weniger als zehn“ in Ländern außerhalb der USA und Kanada, davon zwei in Deutschland. Yasminelle wird in Deutschland mittlerweile von Jenapharm vertrieben.

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