Studie: Oxytocin kann zu Aggressionen führen
Es ist lange bekannt, dass das Hormon Oxytocin positive Gefühle verstärken kann. Doch offenbar kann das sogenannte „Liebeshormon“ auch Aggressionen auslösen. Zu diesem Schluss kommen nun Forschende. Ihre Ergebnisse könnten ein neues Licht auf die Oxytocin-Behandlung verschiedener psychiatrischer Erkrankungen von sozialer Angst und Autismus bis hin zu Schizophrenie werfen.
Oxytocin ist ein Hormon, dass beim Menschen viele wichtige physiologische Funktionen reguliert, wie zum Beispiel Reproduktion, Herz-Kreislauf, soziales Verhalten und Lernen. Es ist auch als „Liebeshormon“ bekannt und regelt beispielsweise Prozesse wie die Mutter-Kind-Bindung und ist auch für die Einleitung der Geburt sowie das Stillen verantwortlich. Und es kann laut einer neuen Studie zu Aggressionen führen.
Einschränkungen während der Corona-Pandemie
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Wie das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in einer aktuellen Mitteilung schreibt, waren Paare während der Pandemie-Einschränkungen gezwungen, Tage und Wochen miteinander zu verbringen – einige haben dabei ihre Liebe wiedergefunden, andere sind wohl mittlerweile auf dem Weg zum Scheidungsrichter.
Dabei spielte Oxytocin, ein Peptid, das im Gehirn produziert wird, möglicherweise eine Rolle: Es ist bekannt, dass es als Neuromodulator positive Gefühle verstärken kann.
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Neu ist, dass es auch Aggressionen auslösen kann. Diese Schlussfolgerung ziehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Weizmann-Instituts für Wissenschaft. Gemeinsam mit Forschenden des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie haben sie die Oxytocin-produzierenden Gehirnzellen von Mäusen, die unter halb-natürlichen Bedingungen leben, manipuliert und untersucht.
Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Neuron“ veröffentlicht.
Acht Jahre an der Studie gearbeitet
Laut den Fachleuten stammt viel Wissen zur Wirkung von Neuromodulatoren wie Oxytocin aus Verhaltensstudien an Labortieren unter Standardlaborbedingungen: Alle Parameter sind streng kontrolliert und künstlich.
Eine Reihe neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen legt jedoch nahe, dass die Handlungen einer Maus in einer halb-natürlichen Umgebung viel mehr über ihr natürliches Verhalten aussagen, insbesondere wenn die Erkenntnisse auf den Menschen übertragen werden sollen.
Das Forschungsteam um den Neurobiologen Alon Chen hat einen Versuchsaufbau geschaffen, der es möglich macht, Mäuse in einer Umgebung zu beobachten, die ihren natürlichen Lebensbedingungen ähnlicher ist.
Acht Jahre lang haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Studie gearbeitet: Tag und Nacht haben die Forschenden die Aktivität der Nagetiere mit Kameras überwacht und computergestützt analysiert.
Neu dabei war vor allem die Nutzung der Optogenetik und einer eigens entwickelten, implantierbaren Vorrichtung, die es ermöglichte, bestimmte Nervenzellen im Gehirn ferngesteuert mit Hilfe von Licht an- oder auszuschalten. So konnten die Forschenden das Verhalten der Mäuse in einer natürlichen Umgebung verfolgen und gleichzeitig ihre Hirnfunktionen analysieren.
Oxytocin diente als eine Art Testlauf für das experimentelle System. Das sogenannte „Liebeshormon“ stand bereits länger im Verdacht, nicht nur positive Gefühle zu vermitteln, sondern eher die Wahrnehmung sozialer Signale zu verstärken und damit, je nach dem individuellen Charakter und der Umgebung, auch sozial auffälliges Verhalten zu begünstigen.
Für die Studie nutzte das Team Mäuse, bei denen sie die Oxytocin-produzierenden Zellen im Hypothalamus sanft aktivieren konnten.
„Liebeshormon“ eher ein „soziales Hormon“
Die Mäuse zeigten in der halb-natürlichen Umgebung zunächst ein verstärktes Interesse aneinander, schnell aber kam zunehmend aggressives Verhalten hinzu. Im Gegensatz dazu führte die zunehmende Oxytocinproduktion bei den Tieren unter klassischen Laborbedingungen zu einer verminderten Aggression.
Wie es in der Mitteilung weiter heißt, wäre in einem rein männlichen, natürlichen sozialen Umfeld ein aggressives Verhalten zu erwarten, wenn die Tiere um Territorium oder Nahrung konkurrieren. Das heißt, dass die sozialen Bedingungen förderlich für Konkurrenz und Aggression sind.
Eine andere soziale Situation, wie die Standardlaborbedingungen, führt hingegen zu einer anderen Wirkung des Oxytocins.
Wenn das „Liebeshormon“ also eher ein „soziales Hormon“ ist, was bedeutet das dann für seine pharmazeutische Anwendung? Laut den Fachleuten hängen seine Wirkungen sowohl vom Kontext als auch von der Persönlichkeit ab. Das impliziert, dass für den therapeutischen Einsatz eine sehr viel differenziertere Sichtweise erforderlich ist.
Den Forschenden zufolge kann man die Komplexität von Verhalten nur verstehen, wenn man es in einer komplexen Umgebung untersucht. Erst dann können Erkenntnisse auch auf das menschliche Verhalten übertragen werden. (ad)
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