Gesundheit

Nasales Glucagon bei Unterzucker – auf den Notfall vorbereitet sein

Während GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid und Co. nur äußerst selten zu einer Hypoglykämie führen, rufen die derzeit kursierenden Ozempic-Fälschungen doch in Erinnerung, wie gefährlich ein Unterzucker unter Insulin-Therapie werden kann. Was man bei einer (schweren) Hypoglykämie tun kann, lesen Sie hier.  

„Erst essen, dann messen“ lautet die Devise bei einer Hypoglykämie. Denn insbesondere bei langjährigen Diabetikern kann die Symptomatik so diskret verlaufen, dass Betroffene scheinbar aus dem Nichts bewusstlos werden. Viel Zeit zum Reagieren bleibt also unter Umständen nicht.

In der S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes heißt es in einem Expertenkonsens: „Menschen mit Typ-1-Diabetes und ihre An- und Zugehörigen oder primären Betreuungspersonen sollten über die Anwendung der Glucagonspritze bzw. Glukagon-Nasenpulver und anderer Sofortmaßnahmen bei einer Hypoglykämie aufgeklärt werden.“

Denn während eine milde Hypoglykämie noch durch die Patienten selbst behoben werden kann, indem diese 20 g Kohlenhydrate, beispielsweise auch in Form von 200 ml Fruchtsaft zu sich nehmen, sieht das bei einer schweren Hypoglykämie schon anders aus. 

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So kann es sein, dass der Patient zwar noch bei Bewusstsein ist, aber nicht mehr eigenständig die dann notwendigen 30 g Glucose zu sich nehmen kann. Ist die Bewusstlosigkeit eingetreten, können ihm zugehörige Menschen 3 mg Glucagon intranasal oder 1 mg Glucagon intramuskulär/subkutan verabreichen. Spricht die Therapie nicht an, muss sie nach spätestens fünf Minuten wiederholt werden [1].

Für diese und andere Fälle einer schweren Hypoglykämie stand Glucagon für Laien lange ausschließlich intramuskulär/subkutan zur Verfügung (Glucagen® HypoKit Plv.u.Lsm.z.H.e.Injektionslsg.). Diese invasive Applikationsart kann für viele Menschen ein Hemmnis darstellen, auch weil es bei Anwendung von Glucagen® einer Rekonstitution der Zubereitung bedarf und diese in eine Spritze aufgezogen werden muss. Seit November 2022 ist mit Ogluo® von Tetris Pharma B.V ein weiteres Glucagon-Präparat zur Injektion in der Lauer-Taxe gelistet (Stand 7.11.2023). Anders als Glucagen® enthält es vollsynthetisches Glucagon. Das Glucagon aus Glucagen® wird rekombinant aus S. cerevisiae gewonnen. Bei Ogluo® handelt es sich um einen Fertigpen für die subkutane Injektion, der ab zwei Jahren anwendbar ist. Die Fachinformation von Glucagen® (Stand 9/2023) gibt im Gegensatz dazu die kleinste Dosierung für Kinder an, die jünger als sechs bis acht Jahre sind oder unter 25 kg wiegen. Die EMA beschreibt Ogluo® als Referenzarzneimittel zu Glucagen®, bei dem allerdings keine Rekonstitution mehr nötig ist [2]. 

Bereits seit März 2020 ist mit Baqsimi® von Eli Lilly ein Glucagon-haltiges Nasenspray auf dem Markt (Pulver aus vollsynthetischem Glucagon). Es ist ab vier Jahren zugelassen und ermöglicht Laien mittels Sprühstoß rasch und unkompliziert Hilfe bei einer Hypoglykämie. Doch auch hierbei handelt es sich durchaus um ein in der Apotheke erklärungsbedürftiges Arzneimittel, wie behördlich genehmigtes Schulungsmaterial zeigt [3].

Die Inzidenz schwerer Hypoglykämien ist niedrig, allerdings gilt das Risiko für schwere Hypoglykämien laut Leitlinie als ungleich verteilt: „Der Großteil der Menschen mit Typ-1-Diabetes erleidet pro Jahr keine schweren Hypoglykämien, während einige Patienten mehrmals im Jahr Fremdhilfe bei der Therapie einer Hypoglykämie benötigen“ [1].

Damit im Ernstfall nichts schiefgeht, sollten sich Angehörige und Patienten vorab mit dem Nasenspray vertraut machen. Dabei hilft das Blaue-Hand-Material des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) [3]: darin fasst der Hersteller die korrekte Anwendung und die wichtigsten Informationen sowohl knapp mit einem bebilderten Text als auch in einem zweiminütigen Video zusammen und warnt vor etwaigen Tücken. Denn auch wenn es banal klingt, hier ein paar kurze wichtige Regeln:

  • Der Kolben darf erst betätigt werden, wenn die Spitze des Nasensprays im Nasenloch steckt.
  • Ein – zwar gut gemeinter – Sprühstoß in die Luft zur Entlüftung wäre nicht nur unnötig, sondern sogar fatal. Denn dann landet die lebensrettende Dosis versehentlich in der Luft oder im Gesicht statt auf der Nasenschleimhaut. Als Einzeldosisbehältnis enthält Baqsimi® nur eine einzige Dosis Glucagon mit 3 mg. Allerdings gibt es auch ein Doppelpack auf dem Markt.
  • Wurde der Kolben vollständig hinuntergedrückt und die Dosis erfolgreich appliziert, verschwindet ein zuvor sichtbarer grüner Balken.
  • Das Nasenspray selbst ist in einem Röhrchen enthalten. Um den Wirkstoff vor Feuchtigkeit zu schützen, ist es zusätzlich mit einer Folie umhüllt, die erst unmittelbar vor Gebrauch entfernt werden darf. Hierfür kann einfach am roten Streifen der geschweißten Folie gezogen werden.

Gut zu wissen: Tiefes Einatmen oder Inhalieren sind nicht nötig, auch die Wahl des Nasenlochs spielt keine Rolle. Ebenso wenig wird die Wirkung durch eine Erkältung oder Anwendung abschwellender Nasensprays beeinträchtigt [4].

Wann Baqsimi wirkt – und wann nicht!

Das Peptidhormon Glucagon besteht aus 29 Aminosäuren und wird nach der Applikation passiv durch die Mucosa der Nasenschleimhaut resorbiert. Es mobilisiert Glykogen aus der Leber und hebt so den Blutzuckerspiegel an. Der mittlere maximale Glucoseanstieg betrug laut Fachinformation bei Patienten mit Typ 1 Diabetes 140 mg/dl, bei Kindern zwischen vier und 16 Jahren 138 mg/dl [4]. Die Wirkung ist laut Fachinformation unabhängig von Geschlecht oder Körpergewicht, sodass auch bei Kindern keine Dosisanpassung erforderlich ist. Zur Anwendung bei Kindern unter vier Jahren liegen keine Daten vor.

Der Wirkeintritt beginnt nach fünf Minuten – vorausgesetzt, es stehen hepatische Glykogenspeicher zur Verfügung. Das ist beispielsweise nach 

  • längerer Nahrungskarenz,
  • bei chronischem Alkoholabusus oder
  • chronischer Hypoglykämie nicht der Fall,

sodass Baqsimi® nicht oder nur unzureichend wirken kann. In diesen Fällen bleibt nur die direkte intravenöse Zufuhr von Glucose durch den Rettungsdienst. Zur Erinnerung: Einem Bewusstlosen dürfen Angehörige keinesfalls ein Traubenzucker-Täfelchen in die Wangentasche schieben! Er ist stattdessen in die stabile Seitenlage zu bringen. Nach Ansprechen auf Glucagon ist die orale Zufuhr von Kohlenhydraten (Traubenzucker, Fruchtsaft) das A und O, um die Glykogenspeicher wieder aufzufüllen und einer erneuten Hypoglykämie vorzubeugen.

Neben- und Wechselwirkungen – klinisch relevant?

Die Verträglichkeit von Baqsimi® ist grundsätzlich gut. Rund jeder Dritte berichtet jedoch über verstärkten Tränenfluss sowie eine Reizung der oberen Atemwege, wie etwa Rhinorrhoe oder nasaler Pruritus. Häufig klagen Patienten auch über Nausea (27 %), Kopfschmerzen (21 %) und Erbrechen (16 %). Zwar entwickeln laut Fachinformation 5,6 % der Patienten Therapie-bedingte Anti-Glucagon-Antikörper. Da diese aber weder neutralisierend wirken noch die Wirkungen oder Nebenwirkung beeinflussen, sei dies ohne therapeutische Relevanz.

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Patienten, die Beta-Blocker einnehmen, könnten zudem mit einer verstärkten Blutdrucksteigerung und Herzrasen reagieren. Denn Glucagon führt zu einer starken Katecholaminausschüttung der Nebennieren. Das ist auch der Grund, warum Baqsimi® bei Patienten mit Phäochromozytom kontraindiziert ist – bei ihnen könnte eine unkontrollierte Freisetzung von Katecholaminen aus dem Tumor erfolgen und drastische Blutdruckspitzen auftreten. Bei Betablocker-Patienten sind die Symptome jedoch aufgrund der kurzen Halbwertszeit von Glucagon (mittlere Halbwertszeit nach nasaler Applikation: etwa 38 Minuten) nur vorübergehend [4].

Nasenspray versus Spritze: Was ist besser?

Bei einer schweren Hypoglykämie zählt jede Minute. Glucagon als Nasenspray kann es im direkten Vergleich durchaus mit einer Glucagon-Spritze aufnehmen. In verschiedenen Studien mit Insulin-induzierter Hypoglykämie zeigte die intramuskuläre Applikation zwar durchaus einen Zeitvorteil, ehe der Blutglucosespiegel den Zielkorridor erreicht (16,2 vs. 12,2 Minuten beziehungsweise 11,4 vs. 9,9 Minuten nasal vs. i.m.). Allerdings stellt die invasive Applikation nicht nur ein Hemmnis für Angehörige dar, sondern der Wirkstoff muss im Falle der Glucagen®-Spritze (nicht bei Ogluo®) zuvor auch noch rekonstituiert und in die Spritze aufgezogen werden. Da sich der Wirkeintritt auf den Zeitpunkt der Applikation bezieht, macht das Nasenspray den Zeitverlust durch die Rekonstitution wohl wett [4]. 

Dieses Jahr gab die Firma Zealand Pharma übrigens bekannt, bei der EMA einen Zulassungsantrag für den Glucagon-Rezeptor-Agonisten Dasiglucagon zur Injektion bei Hypoglykämie für das Alter ab sechs Jahren eingereicht zu haben. Zealand Pharma kooperiert mit Novo Nordisk, dem Zulassungsinhaber von Gulcagen®. In den USA wird Dasiglucagon bereits unter dem Handelsnamen Zegalogue® vertrieben [5].

Literatur 

[1] Deutsche Diabetes Gesellschaft e.V. (DDG). S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. Stand 02.09.2023, gültig bis 01.09.2028, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/057-013 

[2] Internetseite der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zu Ogluo. Stand 26.05.2023, www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/ogluo

[3] Internetauftritt des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Arz­nei­mit­tel > Phar­ma­ko­vi­gi­lanz > Ri­si­ko­in­for­ma­tio­nen >Schu­lungs­ma­te­ri­al. Stand November 2019. www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/Schulungsmaterial/_functions/Schulungsmaterial_Formular.html 

[4] Fachinformation zu Baqsimi® 3 mg Nasenpulver, Stand Dezember 2019, www.fachinfo.de/pdf/022825?redirect-referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F 

[5] Pressemitteilung von Zealand Pharma. Zealand Pharma announces designation of priority review by the US FDA for dasiglucagon in congenital hyperinsulinism. Stand 30.August 2023, www.globenewswire.com/news-release/2023/08/30/2734023/0/en/Zealand-Pharma-announces-designation-of-priority-review-by-the-US-FDA-for-dasiglucagon-in-congenital-hyperinsulinism.html


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