Gesundheit

Stiko-Empfehlung für Kinder ist da! Was Sie wissen sollten, bevor Sie sich entscheiden

Nach langem Zögern empfiehlt das Expertengremium der Stiko nun auch gesunden Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren die Covid-Impfung. Die Entscheidung darüber, liegt jedoch weiterhin bei den Eltern beziehungsweise den Jugendlichen selbst. Was Sie dafür wissen sollten.

Im Mai 2021 hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA den ersten Covid-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren zugelassen. Inzwischen hat diese Zulassung auch der US-Hersteller Moderna erhalten. Laut Bundesgesundheitsministerium sind bereits 920.000 der 4,5 Millionen zwölf- bis 17-Jährigen in Deutschland geimpft. Studien der Impfstoff-Hersteller gehen bislang von einer 100-prozentigen Wirksamkeit der Kinder-Impfung gegen schwere Verläufe aus.

Und jetzt hat sich auch die Ständige Impfkommission (Stiko) für die Covid-Impfung für alle Kinder und Jugendlichen ab zwölf Jahren ausgesprochen. Nach sorgfältiger Bewertung neuer wissenschaftlicher Beobachtungen und Daten komme man zu der Einschätzung, "dass nach gegenwärtigem Wissensstand die Vorteile der Impfung gegenüber dem Risiko von sehr seltenen Impfnebenwirkungen überwiegen", teilte das Gremium am Montag mit und berief sich auf einen Beschlussentwurf. Der offizielle Empfehlungstext liegt noch nicht vor, Änderungen sind möglich.

Covid-Impfung bei Kindern ist umstritten

Zuvor hatten viele Spitzenpolitiker auf eine entsprechende Änderung der Impf-Empfehlung, die zunächst nur für vorerkrankte Kinder gegolten hatten, gedrungen. Viele Mediziner und Wissenschaftler hatten das kritisiert; insbesondere deshalb, weil die Gesundheitsminister der Bundesländer die Impfung schon vor der Stiko empfohlen hatten. "Problematisch ist, dass der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz als Impfempfehlung interpretiert werden könnte. Eine Empfehlung ist keine politisch zu entscheidende Frage, sondern eine wissenschaftsbasierte Frage, für deren Beantwortung die Stiko zuständig ist und dieses auch wahrnimmt", kommentierte etwa Ingeborg Krägeloh-Mann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, gegenüber FOCUS Online.

Inzwischen hält die Stiko diese Frage offenbar für so wissenschaftlich fundiert zu beantworten, dass sie die Covid-Impfung allen Kinder und Jugendlichen ab zwölf Jahren empfiehlt. Die Entscheidung für oder gegen die Impfung liegt dennoch weiterhin bei den Eltern beziehungsweise den Jugendlichen selbst. FOCUS Online gibt den Überblick über die Fakten, die Sie dafür kennen sollten.

1. Das Corona-Risiko von Kindern und Jugendlichen

Auch Kinder und Jugendliche können an Covid-19 schwer erkranken. Für Risikogruppen, etwa übergewichtige oder an Vorerkrankungen leidende Kinder, war daher mit einem der zugelassenen Impfstoffe schon länger eine Impfung möglich. Doch wie groß ist das Risiko im Vergleich zu Erwachsenen? Für das Sterbe-Risiko lässt sich das sehr schnell beantworten, für mögliche Folgen wie "Long Covid" weniger. Doch auch dort gibt es eher beruhigende Tendenzen.

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Die deutsche Herzstiftung schreibt auf ihrer Webseite: "Wie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in einem Sicherheitsbericht verweist, traten die Fälle in Übereinstimmung mit anderen, internationalen Daten (vor allem aus Israel und den USA) überwiegend bei männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ab 16 bis 29 Jahren auf. Meist war das innerhalb von 14 Tagen der Fall und häufiger nach der zweiten Dosis einer mRNA-Covid-19-Impfung. Nach Durchsicht der Daten hat im Juli nun der Ausschuss für Risikobewertung (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee, PRAC) beschlossen, Myokarditis und Perikarditis als mögliche Nebenwirkung in die Fach- und Gebrauchsinformationen beider mRNA-Impfstoffe (Comirnaty/Biontech und Spikevax/Moderna) aufzunehmen."

Die Experten sehen jedoch das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Impfung weiterhin als positiv an.

Langzeitfolgen als Restrisiko?

Schwierig sind Erkenntnisse über Langzeitfolgen einer Impfung. Das zeigte sich bei der Schweinegrippe-Pandemie 2009. In dem vom Robert-Koch-Institut und der Bundesgesundheitszentrale für gesundheitliche Aufklärung herausgegebenen "Impfbuch für alle", das in deutschen Apotheken verteilt wird, findet sich dazu folgender Eintrag: "Insgesamt waren gegen dieses Grippevirus fünf Impfstoffe zugelassen worden. Bei einem davon, Pandemrix, traten später Fälle von Narkolepsie auf – nämlich bei je einem von 181.000 geimpften Erwachsenen sowie bei je einem von 18.400 geimpften Kindern. Die Betroffenen leiden unter unkontrollierbaren Einschlafanfällen und häufigen Stürzen."

Es handelte sich laut "Ärzteblatt" bei der Narkolepsie um eine Autoimmunerkrankung, die gegen bestimmte Rezeptoren im Gehirn gerichtet war. Verantwortlich dafür seien Antikörper im Blut gewesen. Entscheidend ist hier der Zeitablauf: Die ersten Komplikationen gab es 2010, insgesamt wurden aber bis 2015 rund 1300 Fälle bekannt, so das "Ärzteblatt".

3. Welche Impf-Empfehlungen gibt es?

Da Kinder von Covid-19 erheblich seltener und vor allem weniger schwerwiegend betroffen sind als Erwachsene, geschweige denn als Menschen im Seniorenalter, legen Experten die Maßstäbe hier besonders streng an, wenn es darum geht, eine Impfung für Kinder zu empfehlen. Denn eine Empfehlung löst automatisch politischen Druck aus, diese auch umzusetzen – und gerade bei Kindern und Jugendlichen steht hier perspektivisch eine verpflichtende Impfung im Raum, ohne die dann etwa der Schulbesuch nicht mehr möglich sein könnte.

Entsprechend viel Zeit hat sich die Stiko gelassen mit der Empfehlung der Covid-Impfung für Kinder. Sie gilt jetzt für alle Kinder und Jugendlichen über zwölf Jahren. Experten wie Karl Lauterbach hatten sich dafür schon seit Längerem stark gemacht. Auch Christian Drosten hatte die Kinder-Impfung schon im Frühsommer positiv bewertet. "Aus Elternperspektive wäre mein Kind geimpft. Klarer Fall. Dieses Risiko möchte ich nicht", sagte der Charité-Virologe kürzlich dem Schweizer Online-Magazin "Republik".

Lauterbach: "Schlimmere Varianten sind möglich"

Gesundheitsökonom Karl Lauterbach geht davon aus, dass mögliche Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen im Verhältnis zum Erkrankungsrisiko in jedem Fall für eine Impfung sprächen. "Falls wir die Kinder nicht impfen, droht ihnen ein Jahr von vielen Quarantänen und zum Schluss die Infektion mit der Delta-Variante. Selbst schlimmere Varianten sind möglich. Im Vergleich dazu ist die Impfung ein Segen. Auch für Kinder ist Covid ein Risiko", so Lauterbach auf Twitter.

Die sächsische Impfkomission (SiKo) hatte die Kinder-Impfung schon vor der Stiko empfohlen. In der Empfehlung vom 1. August heißt es: "Zur generellen Impfempfehlung bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-15 Jahren sind die Daten aus den USA und Israel zur individuellen und auch epidemiologischen Nutzen-Risiko-Abwägung eingeflossen. Hier überwiegt der Nutzen eindeutig das Risiko adverser Reaktionen."

Länder wie Israel oder die USA impfen Kinder ab zwölf Jahren schon seit Wochen. Schweden, das trotz der Kritik an seinem Pandemie-Kurs seit Monaten stabil niedrige Infektionszahlen und vor allem extrem niedrige Todeszahlen vorweisen kann, impft Kinder ab 16 Jahren.

Impfen auch von null bis zwölf Jahren?

Vor kurzem wurde bekannt, dass einige Kinderärzte in Deutschland bereits Kinder unterhalb von zwölf Jahren impfen. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin lehnt das ab: "Das entspricht einem so genannten ‚Off-label-Use‘ (Anwendung jenseits der Zulassung), von dem wir abraten. Ein Nutzen einer Covid-19-Impfung bei Kindern unter zwölf Jahren ist wahrscheinlich, aber noch nicht belegt; letzteres betrifft auch die klare Abgrenzung von Risikofaktoren bzw. potentielle Gefährdung der Gesundheit. Zum Schutz der Risikopopulation in diesem Alter empfehlen wir nachdrücklich die Impfung der Kontaktpersonen bzw. Eltern der betroffenen Kinder."

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4. Welche Rolle spielt politischer und gesellschaftlicher Druck?

Neben dem medizinischen Nutzen einer Impfung ist ein anderer wesentlicher Aspekt der politische Druck, der aufgebaut wird, auch Kinder in die Impfkampagne mit einzubeziehen. Konflikte sind hier vorprogrammiert. Die Vorsitzende des Allgemeinen Schulleitungsverbandes Deutschlands, Gudrun Wolters-Vogeler, erwartet wegen des unterschiedlichen Corona-Impfstatus der Schülerinnen und Schüler Spannungen an den Schulen.

"Natürlich wird es im Alltag heftige Diskussionen geben", sagte Wolters-Vogeler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Denn wenn es künftig einen positiven Fall in einer Klasse gebe, müssten jene in Quarantäne, die nicht doppelt geimpft sind." Die anderen dürften hingegen im Präsenzunterricht bleiben und können sich weiterhin an schulischen Aktivitäten beteiligen. Diese Unterscheidung könnte aus Sicht von Wolters-Vogeler viele Eltern dazu bringen, ihre Kinder impfen zu lassen, wenn sie nicht wollen, dass diese wegen jeder Infektion in der Klasse in Quarantäne müssen.

Impfen, um Quarantäne zu umgehen?

Im Alltag würde das bedeuten: Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung hängt nicht unbedingt von einer individuellen Risikoabwägung ab, sondern von der Angst, in der Schule durch immer neue Quarantäne-Maßnahmen isoliert zu sein. In einem Memo des Bundesgesundheitsministerium vom 2. August, das FOCUS Online vorliegt, heißt es: "Unabhängig von den gesundheitlichen Risiken stellen zu hohe Infektionszahlen auch den regulären Schulablauf als solchen in Frage. Denn viele Infektionsfälle und Ausbrüche bedeuten auch zahlreiche Quarantäne-Erfordernisse für Kontaktpersonen in einer Schulklasse. Im Vereinigten Königreich beispielsweise waren kurz vor den Schulferien fast ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler in Quarantäne."

Die beiden Strafrechtsprofessorinnen Frauke Rostalski und Elisa Hoven warnen davor, dass die Politik damit zumindest indirekten Druck auf Eltern und Kinder ausübt. Die Juristinnen schreiben in der "Welt": "Schulschließungen erfolgen nicht zum Schutz der Kinder und Jugendlichen, sondern zum Schutz der Risikogruppen. Wenn aber eine Schutzimpfung für alle Gefährdeten – und darüber hinaus für jede andere und jeden anderen – möglich ist, lassen sich Schulschließungen nicht mehr rechtfertigen. Sie wären eine unverhältnismäßige Maßnahme der Pandemiebekämpfung. Wenn sich jeder effektiv selbst schützen kann, dürfen Dritte hierfür nicht länger herangezogen und in ihrer Freiheit beschnitten werden. Kinder und Jugendliche haben also ein Recht darauf, dass ihre Schulen geöffnet werden – und müssen sich dafür nicht erst impfen lassen", so Rostalski und Hoven.

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