Gesundheit

Tumor zerstört, Amputation verhindert – Ärzte retten Krebspatientin mit neuem Chemo-Verfahren

Medizinern in Bayern ist eine weltweit einmalige Krebsbehandlung gelungen. Sie konnten den Knochenkrebs einer 18-Jährigen mittels eigens entwickelter Infusionstherapie vollständig zerstören. Die junge Frau entging damit auch einer zuvor drohenden Bein-Amputation. Ein Gespräch mit dem Chef-Arzt.

Eine erfolgreiche Fallgeschichte, die Mut macht. Deutschen Ärzten ist eine erfolgreiche lokale Krebsbehandlung einer 18-jährigen Patientin gelungen. Die junge Frau litt unter schwerem Knochenkrebs. „Sie hatte einen hochaggressiven bösartigen Tumor am linken Knie“, sagt Prof. Dr. med. Karl Aigner, Chef-Arzt am Medias Klinikum in Burghausen, zu FOCUS online. „So groß wie eine Kokosnuss.“

Die junge Frau hatte zuvor eine klassische Chemotherapie abgebrochen, die schweren Nebenwirkungen waren für sie unerträglich geworden. Doch der Krebs streute und es fanden sich bereits Metastasen in der Leisten- und Oberschenkelregion. „Der Patientin wurde deshalb die Amputation des Beins empfohlen“, erklärt Aigner. „Das ist die normale Vorgehensweise.“

Die Mutter der Patientin hätte daraufhin nach Wegen gesucht, diese Amputation zu umgehen. „Sie sind dann auf mich gekommen“, sagt Aigner. „Und ich habe gesagt, dass das funktionieren kann.“ Das war vor rund zwei Jahren.

Arzt ist Pionier der regionalen Chemotherapie

Aigner ist spezialisiert auf die regionale Chemotherapie. Seit mehr als 40 Jahren arbeitet er mit diesen sogenannten isolierten Perfusionstechniken, hat sie immer wieder modifiziert. Der vom Tumor betroffene Körperteil wird dabei zeitweise vom Blutkreislauf abgekoppelt und mit sehr starken chemotherapeutischen Medikamenten durchspült. Aigner gilt als Pionier. 1981 gelang ihm die weltweit erste isolierte Leber-Perfusion.

Der Vorteil einer regionalen Chemotherapie ist, dass eine deutlich höhere Konzentration der chemotherapeutischen Mittel erreicht werden kann. „Wir sprechen hier von einer bis zu 80-fach höheren Konzentration“, sagt Aigner. „Bei einer systemischen [„normalen“] Chemotherapie würde hierbei zwar auch der Tumor zerstört werden, aber eben auch der Patient.“ Bei der isolierten Behandlung wird das Blut vor dem Wiedereintritt in den eigenen Blutkreislauf gefiltert. Die Patienten haben deshalb auch sehr wenige oder gar keine Nebenwirkungen.

„Als würde man ein Auto tunen“: Weltweit erste EISLI-Behandlung

Im Fall der 18-jährigen Patientin hat Aigner die isolierte Perfusion des Beines noch einmal modifiziert. „Ein wenig, als würde man ein Auto tunen“, sagt Aigner. Nur eben was Konzentration, Temperatur und Dauer der Behandlung betrifft oder auch die Lokalisierung der Katheter für den Anschluss an die Perfusionsmaschine.

Bei der 18-Jährigen war die Schwierigkeit, dass nicht nur das Knie betroffen war, sondern zudem die Becken- und Leistenregion. „Wir mussten die Perfusion quasi nach oben erweitern“, so Aigner. Die Ballonkatheter wurden entsprechend im Becken angebracht. Auch arbeitete er mit der von ihm entwickelten Stop-Flow-Infusion. Dabei kann durch eine Blockierung der Katheter die Fluss-Geschwindigkeit vorübergehend gestoppt werden. Sie nannten die Behandlung entsprechend erweiterte Extremitäten-Stop-Flow-Infusion (EISLI).

Mit EISLI-Behandlung wurde Tumor bei 18-Jähriger komplett zerstört

Insgesamt vier EISLI-Therapien absolvierte die 18-Jährige, jeweils für eineinhalb Stunden und im Abstand von drei Wochen. „Das eigentliche Ziel war es, den Tumor so zu verkleinern, dass er mit gesunden Rändern entfernt und eine Knie-Prothese eingesetzt werden kann“, so Aigner. Doch schon nach der ersten Therapie war der Tumor deutlich geschrumpft. Und der Erfolg ging weiter. „Wir konnten tatsächlich den gesamten Tumor zerstören“, erinnert sich der Chirurg. Bei einer OP am Klinikum rechts der Isar in München wurde der jungen Frau zudem ein künstliches Kniegelenk eingesetzt.

Das war vor zwei Jahren und bislang hat die 18-Jährige keinerlei Anzeichen einer Krebserkrankung mehr. Von einer „Heilung“ will Aigner dennoch nicht sprechen. „Ich sage immer zu meinen Patienten: ‚Wenn wir uns in 15 Jahren wiedersehen und es gibt noch immer keine Krebs-Anzeichen, dann können wir vielleicht über Heilung diskutieren.’“

In bis zu 80 Prozent spricht der Tumor auf die Behandlung an

„Die EISLI ist jetzt kein Wundermittel“, sagt Aigner. „Aber das Konzept der Stop-Flow-Infusion ist wirklich gut und sehr wirksam.“ In 70 bis 80 Prozent spreche der Tumor auf die Behandlung an, das heißt er wird so weit zerstört, dass er operabel wird. Immer wieder erlebten sie auch Komplettremissionen. Das bedeutet, dass nach der Behandlung weder klinische, radiologische noch sonstige Zeichen der Krankheit vorliegen.

Tatsächlich sei beinahe jeder Tumor mit einer regionalen Chemotherapie behandelbar, sagt Aigner. Mit „sehr guten Ergebnissen“ bei Kopf-, Hals-, Leber-, Bauchspeicheldrüsen-, Brust- und Gebärmutterhalskrebs sowie Analkarzinomen. Eine schwierige Ausnahme bilden dagegen Dickdarmtumore, da diese sehr schlecht durchblutet sind.

Viele Kassen übernehmen die Kosten bislang nicht

Als Nachteil der regionalen Chemotherapie nennt Aigner die Kosten. Die meisten gesetzlichen Kassen übernehmen die Behandlung bislang nicht. Für den Mediziner unverständlich. „Die Patientinnen und Patienten würden damit den enormen Nebenwirkungen einer systemischen Chemotherapie entkommen“, kritisiert er. 

Doch auch manche Ärztinnen und Ärzte scheuen die Behandlung, da das Abkoppeln vom eigenen Blutkreislauf auch Risiken birgt. „Es braucht natürlich Erfahrung“, sieht auch Aigner ein. Er selbst arbeitet mit einem Team, bei dem manche Oberärzte seit mehr als 25 Jahren dabei sind. Daneben hält der Professor Fachvorträge, führt Gastoperationen in anderen Ländern durch, USA, Japan, China, Israel oder Ägypten, und hat bereits über 200 Fachartikel publiziert.

76-Jähriger lernt gerade Mannschaft in der Karibik an

An Rente denkt der 76-Jährige bislang nicht. Eher an ein neues Projekt: „Ich lerne gerade eine Ärzte-Mannschaft in der Dominikanischen Republik an, auch mit dem Schwerpunkt der regionalen Krebstherapie.“ Er und seine Frau, die gebürtig aus der Dominikanischen Republik stammt, könnten sich auch vorstellen, irgendwann dorthin zu ziehen. In Deutschland lernt er gerade auch seine Tochter ein. Die Diplom-Biologin forscht an Immunreaktionen im Körper nach Chemotherapien.

„Ich finde, es ist eigentlich gar nichts Besonderes“, sagt er zum Abschluss über seine Behandlungserfolge. Ob er dennoch hofft, dass diese Methode Schule macht? „Ich würde mir schon wünschen, dass diese Methode sich durchsetzt“, sagt er. „Aber in meinem Alter sehe ich das gelassen.“

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