Gesundheit

Was passiert, wenn Deutschland nicht in den Lockdown geht? "Dann gibt es zwei Möglichkeiten"

Angesichts rasant steigender Infektionszahlen beraten Bund und Länder heute über strengere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Im Raum steht Berichten zufolge eine Art "Lockdown Light", der unter anderem die zeitweise Schließung von Gastronomiebetrieben und strengere Kontaktbeschränkungen vorsieht. Veranstalter, Gastgewerbe und Tourismusbranche sehen die Pläne kritisch.

Im Gespräch mit dem stern sprach sich die Infektionsmodelliererin Viola Priesemann für einen "frühen und intensiven Lockdown" aus. Sie appellierte zudem zu raschem Handeln: "Je früher wir nun agieren, desto kürzer kann dieser mögliche zweite Lockdown sein und desto sinnvoller ist er auch", so die Physikerin. "Warten wir länger, steigen auch die Fallzahlen weiter. Das Ziel muss sein, die Zahlen so weit zu drücken, dass die Gesundheitsämter wieder mit der Kontaktnachverfolgung hinterherkommen." Priesemann arbeitet am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und forscht zu der Ausbreitungs-Dynamik des Coronavirus auf Basis von Rechenmodellen.

Übersteigen die Fallzahlen die Kapazitäten der Gesundheitsämter zur Kontaktnachverfolgung, sieht die Physikerin darin einen entscheidenden Kipppunkt, ab dem sich das Virus unkontrolliert ausbreiten kann. Und: "Die Ausbreitung des Virus gerät gerade außer Kontrolle", so die Wissenschaftlerin.

Später, längerer Lockdown oder starke Kontaktbeschränkungen

Entscheide man sich nun gegen einen Lockdown, würden die Fallzahlen weiter steigen. "Dann gibt es zwei Möglichkeiten", so Priesemann. "Entweder machen wir einen späten Lockdown, spätestens dann, wenn die Krankenhauskapazitäten erreicht sind. Der müsste dann aber länger sein, um den Gesundheitsämtern wieder mehr Luft für die Eindämmung des Virus zu verschaffen", so die Wissenschaftlerin.

"Oder wir versuchen, an der Kapazitätsgrenze der Krankenhäuser zu agieren. An diesem Punkt ist die Kontrolle über die Ausbreitung des Virus aber sehr schwierig. Der R-Wert müsste dann auf einem sehr hohen Niveau von Neuinfektionen um den Faktor 1 gehalten werden, damit es zu keiner weiteren Ausbreitung kommt." Der Nachteil: "Wir müssten uns alle sehr stark mit unseren Kontakten einschränken, denn die Gesundheitsämter helfen zu diesem Zeitpunkt kaum noch."

In Deutschland haben sich nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bislang 464.239 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. 10.183 Personen starben. Nach einem vergleichsweise ruhigen Sommer meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland zuletzt wieder stark steigende Neuinfektionszahlen. Auch die Anzahl der Covid-19-Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, ist zuletzt deutlich gestiegen, hat aber noch nicht den Höchstwert aus dem Frühjahr erreicht.

Das Interview mit Viola Priesemann können Sie hier in voller Länge nachlesen (Paid-Inhalt).

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