Die Schottin Jo Cameron musste noch nie Schmerzmittel nehmen. Sie gehört zu den wenigen Menschen, die aufgrund eines Gendefekts keine Schmerzen empfinden. Für Forscher sind solche Patienten besonders spannend, um neue Schmerztherapien zu entwickeln. Bei Cameron ist unter anderem ein bislang namensloses Gen verantwortlich.
Es gibt Menschen, die keinen Schmerz empfinden. Was zunächst traumhaft klingt, kann schwere Folgen haben. Denn Schmerz schützt unseren Körper, er ist ein Warnsignal. Tut Kindern beim Spielen etwas weh, hören sie damit auf, bevor sie sich ernsthaft verletzen.
Schätzungen zufolge gibt es auf der ganzen Welt etwa hundert Menschen ohne Schmerzempfinden. Schuld daran ist ein seltener Gendefekt. Dieser fällt Eltern meist schon in frühen Jahren auf, etwa wenn sich ihr Kind das Bein bricht und dabei keine Miene verzieht. Auch die Schottin Jo Cameron hat ein solches defektes Gen. Bemerkt hat das aber erst mal niemand – bis Cameron im Alter von 66 Jahren an der Hand operiert wurde und sich Ärzte wunderten, dass sie nach dem Eingriff nicht über Schmerzen klagte.
"Ich dachte einfach, das sei normal"
Devjit Srivastava, der beratende Anästhesie-Arzt des Krankenhauses, diagnostizierte schließlich eine Schmerzunempfindlichkeit, sehr zur Überraschung der Patientin. Heute, ein paar Jahre später, sagt sie: "Ich hatte bis vor wenigen Jahren keine Ahnung, dass es so ungewöhnlich war, wie wenig Schmerzen ich empfand – ich dachte einfach, das sei normal."
Auch nach Behandlungen beim Zahnarzt hatte Cameron nie Schmerzmittel nehmen müssen. Manche Verbrennungen hatte sie erst bemerkt, als ihre Haut bereits verbrannt roch.
Zwei Genmutationen machen Schottin schmerzunempfindlich
Tatsächlich handelt es sich bei Jo Cameron um zwei Genmutationen: betroffen sind das sogenannte FAAH-Gen sowie das benachbarte FAAH-OUT-Gen, dem Forscher des University College London nun erstmals einen Namen gaben.
Das FAAH-Gen war unter Schmerzforschern bereits bekannt. Es spielt im Körper eine wichtige Rolle in Bezug auf Schmerzempfinden, Stimmung und Gedächtnis. Mäuse, die kein solches Gen besitzen, empfanden in Tests weniger Schmerzen, hatten eine beschleunigte Wundheilung und waren weniger ängstlich.
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Kaum Schmerzen, keine Angst und eine schnelle Wundheilung, das trifft auch auf Jo Cameron zu. Selbst in gefährlichen Situationen bleibe sie stets ruhig und gerate nie in Panik, berichtet sie. Auch den Einfluss des Gens auf das Gedächtnis konnte Cameron bestätigen: Sie vergesse oft den Haustür-Schlüssel oder bestimmte Wörter.
Weg zu neuen Schmerztherapien
Von dem zweiten Gen, das bei Cameron defekt ist, hatten Wissenschaftler bislang angenommen, dass es gar keine Funktion besitzt. Jetzt stellten sie jedoch fest, dass FAAH-Out das FAAH-Gen kontrolliert.
"Nun, da wir wissen, wie dieses neu identifizierte Gen funktioniert, hoffen wir, dass wir neue Behandlungsmöglichkeiten finden", erklärt James Cox vom Londoner University College. Er und seine Kollegen erhoffen sich von dem Fall neue Erkenntnisse für die Behandlung von Angst und Schmerzen bei anderen Patienten.
Eine genaue Erforschung des Gens könnte bei der Entwicklung spezieller Therapien helfen, damit Patienten nach einer Operation weniger Schmerzen empfinden und Wunden schneller heilen.
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