Gesundheit

Brasilien ist auf dem Weg, Epizentrum der Pandemie zu werden

Die Rekorde fallen Tag für Tag und sie klingen nicht gut: Der Bundesstaat Sao Paulo allein hat mehr Corona-Tote als ganz China, nämlich 5000. Manaus, die so stark betroffene Stadt am Amazonas, muss seine Toten in Hunderten Massengräbern beerdigen. Unter Krankenschwestern verzeichnet Brasilien die meisten Opfer der Welt, mehr als die USA, dreimal so viel wie Italien. Und gestern nun der vorläufige traurige Tagesrekord: 1179 Menschen, die in Brasilien binnen 24 Stunden an Covid-19 starben.

Aber die veröffentlichten Zahlen sind das eine. Die wahren Zahlen sind höher, weil Brasilien nicht ausreichend auf das Virus testet. Die wahren Zahlen – gemäß der Medizinischen Fakultät Ribeirao Preto – liegen bei drei Millionen Infizierten, zehnmal so viel wie die offiziellen 272.000. Und der Höhepunkt der Krise wird erst im Juni erwartet. Die bittere Wahrheit lautet: Brasilien ist auf dem besten Weg, das Epizentrum der Pandemie zu werden. 

Brasilien

Corona in den Favelas: Wenn Drogenbanden die Ausgangssperre kontrollieren

Gouverneure wollen Lockdown, Bolsonaro nicht

Die Katastrophe wäre vermeidbar gewesen. Die Regierung hatte miterlebt, was China, Italien, Spanien und Frankreich im Februar und März durchmachten. Sie hatte mindestens vier Wochen mehr Zeit, um sich auf die Krise vorzubereiten. Doch sie schickte verwirrende und oft verantwortungslose Botschaften an ihre Bürger, bis heute.

Viele Gouverneure befürworten einen Lockdown, um die Krise zu meistern – Präsident Bolsonaro aber treibt gleichzeitig die Öffnung der Wirtschaft voran. Bürgermeister beschließen auf lokaler Ebene, nicht essenzielle Geschäfte zu schließen – Bolsonaro aber erlässt eine bundesweite Verordnung, um Schönheitssalons und Fitnessstudios offenzuhalten. Die Gesundheitsexperten des Landes warnen vor dem Gebrauch des Malariamedikaments Hydroxychloroquin – Bolsonaro aber preist die Wirkung an und fordert zur Verblüffung aller eine Massenproduktion für sein „Allheilmittel“.

Bolsonaro ist Fan von Hydroxychloroquin

Wegen der Differenzen mit Bolsonaro gab zuerst sein Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta auf, ein Arzt, der so viel Stümperei nicht mehr ertrug. Und vier Wochen später sein Nachfolger Nelson Teich, ebenfalls Arzt, der gegen so viel Stümperei ebenfalls nicht ankam. Zwischendurch trat auch noch Justizminister Moro zurück, Brasiliens Korruptionsjäger, weil Bolsonaro den Chef der Bundespolizei mit einem Lakaien ersetzen wollte, um seine Söhne – ebenfalls Politiker – vor Korruptionsermittlungen zu schützen.

Es gibt jetzt noch zwei Fans von Hydroxychloroquin auf der Welt: der selbst ernannte Gesundheitsexperte Jair Messias Bolsonaro und der selbst ernannte Gesundheitsexperte Donald J. Trump. Trump ist derjenige, der Hydroxychloroquin selbst einnimmt und zum Schutz vor dem Virus das Spritzen von Desinfektionsmitteln empfiehlt. Bolsonaro ist derjenige, der zum Schutz vor dem Virus gar nichts empfiehlt. Er ist für Weiterleben wie bisher.

Der Präsident (und ehemalige Hauptmann) schüttelt weiterhin Hände, als wäre nichts geschehen. Er macht Selfies mit Fans, als wäre nichts geschehen. Er spricht auf Demos, bei denen seine Fans die Rückkehr zur Militärdiktatur fordern. 

Besonders Arme in Brasilien von Corona betroffen

In diesen Zeiten der Unsicherheit, der Sorgen und vielen Toten ist der Präsident eine Art Konstante: Corona juckt ihn nicht. Corona verdirbt ihm höchstens die Wirtschaftszahlen. Corona juckt ihn so wenig, dass er die Frage nach den vielen Toten fast patzig beantwortete: „Und? Was wollt ihr? Was soll ich machen? Ich bin Messias, vollbringe aber keine Wunder.“

Das Coronavirus hat in Brasilien vor allem dort zugeschlagen, wo die Armen leben und die medizinische Versorgung besonders schlecht ist: In Manaus, wo sie in den Krankenhäusern an die Grenzen der Kapazitäten stoßen. Im armen Nordosten, wo die Rate der Infektionen pro Kopf am schlimmsten ist. In den Favelas der Großstädte Rio de Janeiro und Sao Paulo, wo die Gesamtzahlen der Toten am höchsten sind. 

Viele Infizierte im Gesundheitswesen

Sie sind auch deswegen so hoch, weil das Konzept von social distancing und Shutdown in Brasilien nie richtig umgesetzt wurde. Während sich in der Lombardei nach einer Auswertung des Imperial College London 75 Prozent der Menschen daran hielten, taten dies in Sao Paulo nur 21 Prozent. Die Epidemie, so warnen die Forscher, könnte in Brasilien noch exponentiell wachsen.

Doch die Menschen sind auch verzweifelter. Gehen sie nicht zur Arbeit, stehen viele – im Gegensatz zu Europa – sofort vor dem Nichts. Die Soforthilfe in Höhe von knapp 100 Euro kommt nicht bei allen an. Viele Tagelöhner müssen auf die Straße, um wenigstens ein paar Real zu verdienen, Bonbons zu verkaufen, Getränke, Zigaretten, ihre Arbeitskraft. Sie halten sich eher an Bolsonaros Devise – Öffnen! – als an die der Wissenschaftler.

Derzeit verzeichnet Brasiliens täglich die zweitmeisten Toten der Welt, nach den USA. „Bei den Infizierten sind wir schon die Nummer 1“, sagt Domingos Alves, Professor der Medizinischen Fakultät Ribeirao Preto. Auch nach Untersuchungen des Imperial College London hat Brasilien tatsächlich die höchste Infektionsrate aller 54 untersuchten Länder. Bis Anfang August werden nach Berechnungen des Institute for Health Metrics and Evaluation in Washington 88.000 Brasilianer sterben, darunter viele Ärzte und Pfleger. Aufgrund fehlender Schutzausrüstung und schlechter Arbeitsbedingungen wurden Zehntausende infiziert, mehr als 15.000 haben Symptome entwickelt. „Gehälter sind niedrig, deswegen arbeiten viele in zwei oder drei Jobs“, sagt Manoel Neri, Präsident des Bundesverbands für Krankenpflege. 

Coronavirus-Pandemie

In Brasilien steigen die Infektionszahlen rasant. Doch Präsident Bolsonaro fordert Lockerungen

Indigene Völker Brasiliens in Gefahr 

Und nun kommt ein neuer Rekord hinzu, der vielleicht besorgniserregendste. Die Organisation der Indigenen Völker Brasiliens (ABIP) meldet den Tod von 103 Indigenen, darunter auch in entlegenen Gebieten nahe der Grenze zu Peru und Kolumbien.

Es könnte der Beginn einer Katastrophe sein, eines „Genozids“, wie es der große brasilianische Fotograf Sebastiao Salgado formuliert, der die Völker des Amazonas seit sieben Jahren fotografiert. „Sie haben keine Antikörper gegen diese und andere Viren. Sie sterben sofort. Ganze Völker könnte es treffen, wenn das Virus erst einmal zu ihnen in den Urwald vordringt.“

Salgado fordert, das Militär zu schicken, um die Zehntausenden weißen Eindringlinge des Regenwaldes heraus zu zwingen: Goldgräber, Holzfäller, Missionare. Aber bei diesem Präsidenten macht er sich keine Illusionen: Er schützt schon die Weißen nicht. Die Indigenen, die er mal mit Tieren verglich und deren Wälder er zur industriellen Nutzung will, wird er noch weniger schützen.

Neu in Gesundheit

Beauty-Trend

Natürliche Kosmetik: Darum fördert Rosenwasser ein gesundes Hautbild

Beauty-Trend

Natürliche Kosmetik: Darum fördert Rosenwasser ein gesundes Hautbild

Tipp für den Alltag

Was man tun kann, wenn die Maske Schmerzen an den Ohren verursacht

Gesunde Lippen

Lippenpflege leicht gemacht: Das sind die wichtigsten Basics

News zur Coronavirus-Pandemie

Dänische Polizei lässt keine deutschen Urlauber mehr nach Sylt

Sars-CoV-2 in Deutschland

Mehrere Bundesländer melden keine neuen Corona-Infektionen

Weltgesundheitsorganisation

WHO-Staaten fordern fairen Zugang zu Corona-Impfstoff, Trump sorgt mit Drohungen für Wirbel

Fliegende Helfer

"Absolut fantastisch!" – Drohnen liefern Medikamente an Risikogruppen

Facebook-Post

Corona-Skeptiker erkrankt an Covid-19 und warnt: "Seid nicht so dumm wie ich"

Coronavirus

Bitte Abstand halten! In diesen Situationen ist das Risiko einer Corona-Ansteckung am größten


Folgen der Pandemie

"Wir waren das Wuhan von Deutschland" – Hirschhausen trifft Heinsberger Landrat



Infektionen in Deutschland

Aktuelle Virus-Lage: Was uns der neue "7-Tage-R-Wert" sagt – und was nicht

Kampf gegen das Coronavirus

Das Rennen um den Impfstoff: Es geht um Menschenleben – und viel Geld

Körperbewusstsein

Haltungstrainer: So soll ein Geradehalter zu einer aufrechten Körperhaltung beitragen

Corona-Pandemie

Beschränkungen gelockert: Europa stürmt in die Sonne

News zur Coronavirus-Pandemie

Merkel und Macron wollen Corona-Wiederaufbaufonds von 500 Milliarden Euro

Virologin über Corona-Verbreitung

"Je lokaler ein Ausbruchsgeschehen, desto besser"

Coronavirus

Hygiene-Experte erklärt: So desinfizieren Sie Ihre Schutzmaske richtig

Maskenpflicht

So einfach falten Sie sich eine Schutzmaske – ganz ohne Nähen

"Wir und Corona"

"Frauen haben keine Interessensvertretung mehr": Leidet die Gleichstellung in der Coronakrise?

Test

Stoff, Einweg oder FFP3: Mit welcher Maske kann man am besten atmen?

Quelle: Den ganzen Artikel lesen