Wer weiß, ob es im nordrhein-westfälischen Gangelt jemals wieder eine Karnevalssitzung gibt. Sie war berühmt. Doch der Name Gangelt könnte vielleicht schon bald sinnbildlich stehen für den Moment, in dem die Corona-Epidemie außer Kontrolle geriet. Hätte man den Karneval vielleicht ausfallen lassen sollen? Vor zwei Wochen wollte kein Gesundheitspolitiker den Deutschen das zumuten. Sogar der Virologe Alexander Kekulé, der jetzt Schließungen von Kitas und Schulen fordert, hielt sich da zurück. Wäre es gut gegangen, hätten alle das besonnene Vorgehen Jens Spahns gelobt, der immer noch völlig zurecht Augenmaß und Verhältnismäßigkeit aller Maßnahmen anmahnt, die gegen die Epidemie ergriffen werden.
Vergleicht man das Corona-Krisenmanagement mit einem Fußballspiel und Jens Spahn wäre der Trainer, so waren wir vergangene Woche vielleicht in Minute zehn und Spahns Mannschaft gäbe gerade einen souveränen Eindruck ab. „Staatsmännisch“ trete er auf, so sagten mir Gesundheitspolitiker anderer Parteien da noch, ein ungewöhnliches Lob vom politischen Gegner. Doch jetzt wurde ein paar Minuten weiter gespielt, die gegnerische Mannschaft hat überraschend ein Tor erzielt. Wer würde dann noch sagen, gut gespielt? Wer würde jetzt sagen, alles unter Kontrolle und klar, der Karneval musste stattfinden?
Erkrankung bei Kindern
Kinderarzt, Kita und Quarantäne: Was Eltern beim Coronavirus wissen müssen
Chaos durch Corona?
Im Augenblick haben viele Menschen hierzulande offenbar den Eindruck, alles könnte im Chaos versinken. Paniker und „Doomer“ (die Apokalypse-Gläubigen) kaufen Nudelregale leer, klauen Mundschutzmasken aus Praxen und Krankenhäusern und brechen sogar in Lager ein, um für Patienten benötigtes Desinfektionsmittel gleich palettenweise zu plündern. Und auch gestern noch besonnene Politiker*innen neigen plötzlich zu panischen Überreaktionen.
So geschehen in Nürnberg am vergangenen Sonntag. Den folgenden Fall schildert Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, in einem Brandbrief an das Robert Koch-Institut: Eine Mutter erscheint mit ihrem hochfiebrigen Kind in der Notaufnahme, der Vater wurde bereits positiv auf das neue Coronavirus getestet. Beim Kind wird Influenza diagnostiziert, die Mutter erweist sich im Test als Trägerin des Coronavirus, doch sie zeigt kaum Symptome. Die Ärzte wollen sie nachhause entlassen mit der Auflage, zwei Wochen daheim zu bleiben, damit sie niemanden gefährdet. Schließlich gehört sie zu keiner Risikogruppe und hat einen milden Krankheitsverlauf. In Nordrhein-Westfalen verfahren die Ärzte in solchen Fällen längst so.
Dann aber schaltet sich das bayerische Gesundheitsministerium ein und ordnet an, die Frau müsse zur Isolierung im Klinikum bleiben. Auf der Intensivstation! Ja, Sie haben richtig gelesen! Die hochinfektiöse, aber ansonsten gesunde Frau wurde dort untergebracht, wo schwerkranke Patientinnen und Patienten mit dem Leben ringen, Menschen, deren Immunsystem gerade aus den unterschiedlichsten Gründen geschwächt sein kann. Zwar in Isolation, sodass eine Ansteckung anderer eigentlich ausgeschlossen erscheint, doch Fehler passieren.
Und das ganze spielt sich ab in einer Zeit, in der Mundschutzmasken und Schutzkittel überall auf der Welt knapp sind. Eine Krankenschwester, die der Frau Tee bringt, müsste dafür eine Maske tragen – und diese danach vorschriftsgemäß entsorgen. Wenn dann wirklich schwer kranke infektiöse Patienten in größerer Zahl kämen, gäbe es keine Schutzausrüstung mehr, weil alles jetzt schon verschwendet wurde. Liebe Frau Ministerin Melanie Huml, Sie sind doch auch Ärztin – was hat Ihr Ministerium denn zu diesem Irrsinn getrieben? War es die bevorstehende Kommunalwahl in Bayern, wollen Sie unerbittliche Härte gegenüber dem Virus zeigen?
Coronavirus in Deutschland
Was kommt da noch? – Corona und die Folgen
Der Föderalismus ist ein Freund des Virus
Es wäre nun dringend nötig, dass aus Berlin ein Machtwort kommt. Doch das Bundesgesundheitsministerium und das Robert Koch-Institut können nicht von oben einen nationalen Pandemieplan für ganz Deutschland durchsetzen. Die Gründe haben wir im Artikel „Können wir Krise“ analysiert. Der Föderalismus ist ein mächtiger Freund des neuen Corona-Virus. So gibt es zum Beispiel im eilig aktualisierten Infektionsschutzplan des Landes Nordrhein-Westfalen – also im Auge des Orkans, dort, wo schon mehr als 100 Fälle gemeldet sind – zum Teil andere Handlungsanweisungen für Ärztinnen und Ärzte als in den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts.
Und die Mediziner vor Ort in der Gegend um Heinsberg machen es wieder anders, in Absprache mit dem örtlichen Gesundheitsamt. An der Uniklinik Aachen infizierte sich eine Krankenschwester, laut RKI müssten alle ihre Kontaktpersonen – also auch Pflegekräfte und Ärzt*innen des Klinikums – in Quarantäne. Klar kann das nicht funktionieren, denn dann würden bald viele Stationen schließen müssen. Wer negativ auf das Virus getestet wurde und keine Symptome hat, darf weiterarbeiten.
Schön wäre es, wenn man jetzt realistische Handlungsempfehlungen des Robert Koch Instituts hätte, denn vor Ort in den Krisenregionen macht es zurzeit gerade jeder so, wie er denkt, und lebt in ständiger Angst davor, später eventuell rechtlich belangt zu werden, wenn es schief geht. Schön wäre auch, wenn eine Zentralstelle in Deutschland jetzt dafür sorgen würde, dass überall dort, wo Infektionsnester sind, ausreichend Schutzausrüstungen vorhanden wären. Es wäre auch wünschenswert, wenn Politiker*innen – auch hier ist Melanie Huml vorgeprescht – nicht die Schuld am Fehlen von Schutzausrüstungen pauschal auf die Ärzte schieben.
Sie hat ja nicht ganz unrecht, man fragt sich schon, warum es Allgemeinarztpraxen gibt, die gar nichts im Vorrat haben, um ihr Personal zu schützen. Aber wir haben es mit einer Epidemie zu tun. Der Politik obliegt die Daseinsfürsorge für alle Bürger*innen und auch für das medizinische Personal. Feuerwehrleute werden vom Staat mit Schutzkleidung ausgestattet, dann bitte auch Ärzt*innen, Pflegekräfte und medizinische Fachangestellte! Wir brauchen sie alle noch, sie sollen sich nicht gerade jetzt anstecken und in Quarantäne landen.
Coronavirus
Können wir Krise? Wo Deutschland im Kampf gegen das Coronavirus Probleme hat
Kein Grund zur Panik
Jens Spahn ist zuzutrauen, dass er weiß, was nötig wäre. Er ist Medizin-Profi seit der ersten Stunde seiner Karriere als Bundespolitiker, die er im Jahr 2002 im Gesundheitsausschuss begann, und er profiliert sich derzeit als „Macher“, was seine Beliebtheitswerte nach oben rauschen lässt. Doch er wird einen Teufel tun, ausgerechnet jetzt das nötige Machtwort zu sprechen und von oben durchzuregieren. Würde er es versuchen, so würde er seinen Sparringspartner, den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet, zutiefst verärgern. Föderalismus ist eine heilige Kuh. Wer an der Hoheit der Länder in der Gesundheitspolitik kratzt, riskiert das Ende seiner politischen Karriere, und Spahn, nun ja, Spahn will noch Kanzler werden.
Trotzdem es gibt aktuell keinen Grund zur Panik. Obwohl die Fallzahlen deutschlandweit nun bei über 300 liegen und wohl weiter steigen werden, haben wir in Deutschland immerhin noch keinen einzigen Corona-Toten zu beklagen. Und das neue Corona-Virus ist bei weitem nicht so gefährlich wie der Ebola-Erreger. Von „Zehntausenden Toten“, wie einer unserer Leser schon befürchtet, sind wir zum Glück himmelweit entfernt. Der Intensivmediziner Uwe Janssens sagte mir: „Ich sehe das so, dass wir das jetzt als gute Fingerübung dafür nehmen, wenn mal wirklich ein Killervirus kommt.“
Hoffentlich behält er recht.
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