Gesundheit

Infektiologe Clemens Wendtner: "Es wird durch die Affenpocken keine Pandemie 2.0 geben"

Teilen Sie die Einschätzung und die Sorgen der WHO? Und was bedeutet es für die Situation in Deutschland?

Clemens Wendtner: Wir sind weit davon entfernt, dass es sich hier nur um Einzelfälle handelt. Wir haben auch in Deutschland vierstellige Zahlen. 2410 Fälle hat das Robert Koch-Institut (Stand: 26.7.2022) gemeldet. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Fälle in den nächsten Wochen und Monaten noch steigen wird. In Rechenmodellen geht man davon aus, dass die Zahl auf 10.000 Fälle in Deutschland ansteigen könnte. Es wird aber durch den Ausbruch der Affenpocken keine Pandemie 2.0 entstehen. Das ist die einhellige Meinung von Expert:innen in dem Fachgebiet.

Wie wahrscheinlich ist eine weitere Ausbreitung der Affenpocken in Deutschland?

Niemand wünscht sich, dass Affenpocken in Deutschland endemisch werden. Das Risiko steigt mit den Fallzahlen. Noch betrifft der Affenpocken-Ausbruch vor allem eine Gruppe, nämlich Männer, die Sex mit Männern haben und zwar Geschlechtsverkehr mit vielen wechselnden Partnern. Doch wenn das Virus auf andere Gruppen springt, wenn mehr Frauen betroffen sind und auch Kinder hinzukommen, steigt die Gefahr für eine Endemie. Bisher sind in Deutschland fünf Fälle von Affenpocken bei Frauen bekannt. Kinder sind bisher in der Bundesrepublik noch nicht betroffen. Auch problematisch wäre, wenn das Affenpockenvirus auch in Deutschland in Nagetieren, unter anderem auch Eichhörnchen, zirkulieren würde, wie wir es aus endemischen Gebieten auf dem afrikanischen Kontinent kennen. Eine solche Situation, dass sich das Virus im Tierreservoir immer wieder vermehrt und hält – dies gilt es zu verhindern. 

Was muss in Deutschland beachtet werden, damit sich die Affenpocken nicht weiterverbreiten?

In erster Linie hilft eine Verhaltensänderung. Eine Maßnahme kann zum Beispiel Vorsicht bei häufig wechselnden Sexualkontakten mit engem Körperkontakt sein. Ebenso gibt es auch die Möglichkeit der Ringimpfung, um Risikogruppen oder Kontaktpersonen zu impfen. So lässt sich das Infektionsgeschehen eindämmen.

Affenpocken


30 Jahre alt, Dateningenieur, männlich. Und plötzlich infiziert: "Ich hatte Schmerzen wie nie zuvor"

Wissen die Deutschen denn genug über das Virus, um sich zu schützen?

In der Bevölkerung besteht vielleicht noch nicht genug Wissen um die Affenpocken. Auch medial wird nicht in der Breite über Affenpocken berichtet wie bei der Covid-19-Infektion. Es bestehen noch Wissensdefizite bei den Deutschen – zum Beispiel zum Übertragungsweg von Affenpocken.

Können Sie noch einmal erklären, wie Affenpocken übertragen werden?

Der enge körperliche Kontakt zu einer infizierten Person reicht aus, um sich anzustecken. Läsionen auf der Haut, die durch das Virus ausgelöst werden, sind hochansteckend. Der Hautkontakt ist für eine Ansteckung ausschlaggebend. Es handelt sich um eine Schmierinfektion. Das heißt, man kann sich mit Affenpocken auch über kontaminierte Flächen anstecken. Ein Beispiel: Man kann sich über Bettwäsche anstecken, die eine infizierte Person benutzt hat. Selbst die Pockenkrusten, wenn sie abfallen und sie in der Bettwäsche sind, können ansteckend sein.

Lange Zeit galt die Übertragung von Mensch zu Mensch als unwahrscheinlich. Was weiß man bisher, warum es jetzt doch weltweit mehr als 17.000 Infektionen gibt?

Es gibt noch keine Erkenntnisse, dass das aktuelle Affenpockenvirus mutiert und dadurch leichter übertragbar wäre. Eine Mutation ist bei einem DNA-Virus ohnehin sehr selten. Zudem hat sich die Immunitätslage geändert, es gibt zunehmend eine Generation, die gar nicht vor Pocken beziehungsweise auch vor Affenpocken geschützt ist. Üblicherweise sehen wir die Affenpocken bei Menschen unter 40 Jahren, die nie eine Pockenimpfung bekommen haben.

Wir müssen erkennen, dass Zoonosen – also Infektionen, die vom Tier auf den Menschen überspringen, zunehmen werden. Der Grund dafür ist, dass der Lebensraum für Tiere kleiner wird, zum Beispiel durch Abholzungen, und Tiere so dichter an den Menschen kommen.

Wir leben in einer globalisierten Welt, wo eine Reise von London nach Australien, China oder Nigeria kein Thema mehr ist, und dadurch verteilen sich solche Keime auch schneller, als wir es vor 20 oder 30 Jahren gesehen haben. So war es auch bei den Affenpocken – der erste Fall in London hatte noch einen Kontakt in Nigeria, wo Affenpocken endemisch sind, dann ist das Virus in London kursiert und in Spanien gab es ein großes Festival, was das Infektionsgeschehen angeheizt hat.

Es gibt also Situationen, in denen das Ansteckungsrisiko erhöht ist?

Bei Großveranstaltungen vom Christopher Street Day bis zu riesigen Musikfestivals kommt es zu großen Menschenansammlungen. Dort besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko. Da solche Veranstaltungen im Sommer Hochkonjunktur haben, macht das Virus keine Pause. Durch die dicht gedrängten Menschen in einer großen Menge an Personen kann es leichter zu Infektionen kommen.

Der zweite Aspekt ist: Es ist eine Erkrankung, die durch (ungeschützten) Sex mit vielen wechselnden Partner:innen übertragen wird. Eine Vorsichtsmaßnahme vor einer Infektion ist geschützter Geschlechtsverkehr. Allerdings ist das Kondom kein Garant dafür, dass man sich beim Sex nicht ansteckt. 

Eine Geschlechtskrankheit im klassischen Sinne sind Affenpocken doch nicht? Sie werden nach jetzigem Kenntnisstand vor allem durch engen Körperkontakt übertragen – und den gibt es nicht nur beim Sex.

Affenpocken beziehungsweise deren Erbsubstanz (DNA) sind auch im Sperma nachweisbar. Wir können aber noch nicht nachweisen, ob sie vermehrungsfähig sind. Wir können das Virus auch im Blut nachweisen. Wir sehen, dass die Konzentration im Sperma und im Blut geringer ist als in den Hautläsionen. Heißt: Die Pocken auf der Haut sind der klassische Übertragungsweg bei Affenpocken, also über den engen Körperkontakt. Natürlich kommt es beim Sex zu engem Körperkontakt, doch auch auf einem Musikfestival kann ich mich bei den dicht neben mir stehenden Personen anstecken, wenn sie Pocken auf der Haut haben.

Kann es auch asymptomatische Fälle von Affenpocken geben?

Die Affenpocken, die wir hier in der Klinik erleben, sind eher schwächer. Man zählt die Bläschen am Körper der Patient:innen für die Behandlung – die meisten haben weniger als 50 Pocken. Wenn ein Patient oder eine Patientin nur 20 Bläschen am Körper hat, ist das Ansteckungsrisiko auch geringer als bei einer größeren Anzahl an Hautläsionen. Wir hatten hier noch keinen komplett asymptomatischen Fall. Hier kann es auch zu einem sogenannten Selection Bias kommen: Wir sehen in dem stationären Umfeld nur die Fälle, die auch symptomatisch geworden sind. Ich kann also nicht ausschließen, dass es auch mehr oder weniger asymptomatische Fälle gibt, bei denen Patient:innen nur ein oder zwei Läsionen haben. Diese können zum Beispiel auch im Mund auftreten, so dass Betroffene sie gar nicht sehen können.

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Ab wann ist eine Person, die sich mit Affenpocken infiziert hat, ansteckend?

Das Infektionsrisiko ist auch gegeben, wenn Patient:innen nur leichte Symptome haben – also vor dem Pockenstadium. Die Hautläsionen treten erst ein paar Tage nach Fieber, Muskel- und Kopfschmerzen auf. Wer solche Symptome und Hautläsionen bei sich bemerkt, sollte dies ärztlich abklären lassen.

Sie haben den ersten Affenpocken-Fall in Deutschland behandelt. Was können Sie aus dem Alltag in der Klinik über die Affenpocken-Fälle berichten?

Die gute Nachricht ist, dass bei uns in der Klinik noch niemand an Affenpocken verstorben ist. Weltweit mussten fünf Menschen im aktuellen Ausbruch durch diese Infektion ihr Leben lassen. In unserer Klinik musste kein:e Patient:in auf der Intensivstation behandelt werden. Affenpocken können eine Erkrankung sein, die mit starken Schmerzen verbunden ist. Wir sehen das besonders bei Patient:innen, die Analverkehr haben, dass sich mitunter sehr schmerzhafte Geschwüre bilden, die nur mit intravenös verabreichten Schmerzmitteln behandelt werden können. Auch starker Juckreiz oder Abszesse können bei Affenpocken-Patient:innen auftreten. Das sind Details aus dem medizinischen Alltag, die belegen, dass man die Affenpocken meiden sollte.

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