Gesundheit

Lauterbachs Triage-Gesetz hat genau den Haken, den es vermeiden sollte

Bislang blieben deutsche Kliniken und Krankenhäuser von der Triage verschont. Ein neuer Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach soll regeln, wie genau Klinikpersonal im Ernstfall vorgehen muss – doch dafür hagelt es Kritik.

Im Zuge der Pandemie viel diskutiert, blieb sie letztendlich zum Glück doch aus: Die Triage in deutschen Krankenhäusern und Kliniken. Weil bislang aber lediglich Leitlinien existieren und viele Menschen mit Vorerkrankungen oder Behinderungen im Falle einer Triage Benachteiligung befürchten, soll eine gesetzliche Regelung Abhilfe schaffen. Der Entwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach wird aber scharf kritisiert.

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Was ist Triage?

  Mit Triage ist der Prozess gemeint,, bei dem medizinisches Fachpersonal die Dringlichkeit der Behandlung einschätzen muss. Ärztinnen und Ärzte führen sie in dramatischen Ausnahmezuständen durch, wie zum Beispiel im Krieg oder Katastrophenfällen – also immer dann, wenn es an Personal und Materialien mangelt und eine ausreichende Versorgung aller Menschen nicht möglich ist.

Fachkräfte müssen innerhalb weniger Minuten anhand von Vitalzeichen, wie etwa Blutdruck und Temperatur sowie Aussagen und Symptomen des Patienten erkennen, wie wichtig eine sofortige Behandlung ist.

Weltweit gibt es heute vier gängige Triage-Systeme. In Deutschland verwenden Kliniken vor allem das Manchester Triage System (MTS) und den Emergency Severity Index (ESI). Im ESI identifizieren Pflegekräfte zuerst Personen mit hoher Behandlungsdringlichkeit. Sprich, bei wem besteht potenziell Lebensgefahr. Der Rest wird, je nach Untersuchungsbedarf, in unterschiedliche Dringlichkeitsstufen eingeordnet. Diese entscheidet dann auch die Behandlungsreihenfolge.

Bislang gibt es noch kein Triage-Gesetz in Deutschland, sondern Leitlinien, wie zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Sie geben Empfehlungen für den Umgang mit Triage heraus. Während der Pandemie ging es bei Triage vor allem darum, ob man aufgrund knapper Ressourcen Patientinnen und Patienten überhaupt auf der Intensivstation behandeln kann.

Warum soll die Triage gesetzlich geregelt werden?

Dass nun ein Gesetzesentwurf vorliegt, hat mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zu tun. Dort klagten 2021 neun Menschen mit Behinderung, weil sie ihren Schutz vor Diskriminierung aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Regelung verletzt sahen. Mit dem Urteil vom Dezember 2021 muss der Gesetzgeber nun eine entsprechende Regelung zu schaffen, um „dafür Sorge tragen, dass jede Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen hinreichend wirksam verhindert wird.“

Die wichtigsten Punkte aus Lauterbachs Entwurf

Der Entwurf soll einige wichtige Eckpunkte, die bislang nur durch rechtlich nicht bindende Leitlinien geregelt sind, fest machen. Dazu gehört:

 

Paradox: Gesetz könnte zu mehr Benachteiligung führen

Für den Entwurf hagelt es von mehreren Seiten Kritik. Dass die Entscheidung über Triage an der „Überlebenswahrscheinlichkeit“ festgemacht werden soll, halten Sozialverbände laut „Welt“ für widersprüchlich. So sollen zwar möglichst viele Menschenleben gerettet werden. Gleichzeitig nehme man in Kauf, Menschen sterben zu lassen, denen es aktuell schlecht geht. Denn: Die Prognosen von Ärztinnen und Ärzten entsprechen nicht immer dem tatsächlichen Verlauf.

Viele befürchten, dass gerade Menschen mit Vorerkrankungen oder Behinderungen noch mehr benachteiligt werden könnten – obwohl dieser Passus genau das verhindern soll. Ein Losverfahren, dass laut Caritas noch am ehesten Chancengleichheit verspräche, würde es laut „Welt“ jedoch nicht in den Entwurf schaffen – hier sei der Widerstand innerhalb der Regierung zu groß.

Mediziner gegen Entwurf: Mögliche rechtliche Konsequenzen

Auch unter Medizinerinnen und Medizinern sorgen Teile des Entwurfs für Kritik. Ihnen sei dieser zu streng, insbesondere mit Blick auf den kategorischen Ausschluss der Ex-Post-Triage. Diese Passage befand sich im ursprünglichen Entwurf, den Lauterbach im Mai im Bundestag einreichte. Doch nach starker Kritik erklärte der Gesundheitsminister, diese sei „ethisch nicht vertretbar“.

Für Ärztinnen und Ärzte sei dies allerdings ein großes Problem. Denn dann verkäme das Gesetz zu einem „First-come-first-serve-Gesetz“, sagt Johannes Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, gegenüber der „Welt“.

Ärztinnen und Ärzte müssen den Zustand, vor allem von Menschen auf der Intensivstation, kontinuierlich evaluieren und entscheiden, ob die aktuelle Behandlung erfolgsversprechend und dem Patientenwillen entsprechend ist. Mit einem Ausschluss der Ex-Post-Triage wäre dies aber nicht mehr einfach so möglich: Der kategorische Ausschluss von Ex-Post-Triage nehme ihnen dann nämlich die Sicherheit über solche Entscheidungen.

Diese Sorge teilt der Verband der Intensivmediziner (Divi): So befürchte man rechtliche Konsequenzen, wenn sie die möglicherweise erfolgsversprechende Handlung auf Wunsch der Patienten abbrechen. Durch den Gesetzesentwurf, so die Befürchtung, könnte es sein, dass das Personal gezwungen wäre, eine Behandlung weiterhin durchzuführen – auch wenn die Patienten es ausdrücklich nicht wünschen.

Besonders in den letzten Wochen kam es im Rahmen der Anhörungen des Gesundheitsausschusses im Bundestag zu Kritik am Entwurf. Der neue Entwurf wird diesen Monat im Bundestag debattiert und soll am 10. November beschlossen werden.

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