Donald Trump hat den Satz geprägt, der schon seit Tagen die Runde macht: „Die Lösung darf nicht schlimmer sein als das Problem.“ Der überforderte US-Präsident wollte damit betonen, dass das öffentliche und – vor allem – das wirtschaftliche Leben bald weitergehen müsse. Ob es nicht toll wäre, wenn zu Ostern die Kirchen im ganzen Land wieder pickepackevoll mit Menschen wären, faselte Trump in einem anderen Moment geistiger Umnachtung, die ihn in Corona-Zeiten noch ein wenig häufiger ereilen als in den vorherigen drei Jahren seiner Präsidentschaft.
Nun ist die Rückkehr zur Normalität nicht mehr als ein frommer Wunsch in einem Land, das seit Donnerstag die meisten mit dem neuartigen Coronavirus infizierten Menschen weltweit zählt; in einem Land, dessen Gesundheitssystem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter der Pandemie zusammenbrechen wird; in einem Land, dessen medizinische Versorgung einer führenden Industrienation nicht würdig ist.
Die Generation, die nur Turbokapitalismus kennt, hält keine zwei Wochen Lockdown aus
Da können auch krasse Typen wie der 69-jährige Dan Patrick, Vize-Gouverneur in Texas, nichts ausrichten, auch wenn sie im wahrsten Sinne des Wortes alles geben würden: Der Republikaner wolle die einschränkenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus nicht länger hinnehmen, schimpfte er bei „Fox News“, und überhaupt habe ihn niemand gefragt, ob er nicht bereit wäre, sein Leben zu geben für seine Kinder, seine Enkel, sein gutes, altes Amerika: „Wenn das der Deal ist, bin ich auf jeden Fall dazu bereit – und ich denke, es gibt viele Großeltern wie mich.“
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Die Trumps und Patricks beginnen gerade überall auf der Welt zu nörgeln, und damit stoßen sie in fragiler Atmosphäre eine völlig verantwortungslose Diskussion an. Die Generation, die nichts anderes kennt als den Turbokapitalismus, an dem sie sich jahrzehntelang bereichert hat, hält keine zwei Wochen im Lockdown aus.
Sie können sich nicht vorstellen, dass es ihre alte, weiße Welt noch viel länger im Stillstand aushält, und sie würden lieber Leben geben (ihres, oder – noch besser – das Leben der anderen), um ebenjene Welt zu bewahren, als sich Gedanken über solidarische Lösungen für eine Zeit nach der Krise zu machen. Stattdessen stellen sie relativ unverblümt die Behauptung auf, dass es besser wäre, tot zu sein, als pleite.
Es geht um Leben und Tod – und dann erst um die Wirtschaft
Auch in Deutschland ist die Debatte um mögliche Exit-Strategien schon nach einer guten Woche im Ausnahmezustand so heftig entbrannt, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade zu einer Ansage in ungewohnter Deutlichkeit genötigt sah: Es sei viel zu früh, über eine Lockerung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu sprechen. Sie wolle „sehr klar“ sagen, dass im Augenblick nicht der Zeitpunkt sei, darüber zu sprechen, so die Bundeskanzlerin.
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Von einem Abflachen der Kurve kann auch in Deutschland noch lange nicht die Rede sein – und wenn wir nicht wollen, dass sich die ganze Katastrophe über einen noch viel längeren Zeitraum, als wir ihn uns jetzt überhaupt vorstellen können, ausdehnt, sollten wir innehalten und die existenziellen Sorgen und Nöte ins Verhältnis setzen: Es geht um die Gesundheit aller Menschen, es geht um Leben und Tod.
Erst in zweiter Linie geht es um die wirtschaftlichen Folgen der Krise. Denn bis auf ein paar wenige Krisengewinnler sind wir alle von der Krise betroffen, also kann und wird und muss es hinterher Lösungen geben. Alle werden Abstriche machen müssen, um das System wieder in Bewegung zu setzen. Aber wenn wir uns erst einmal bewusst gemacht haben, dass wir uns alle zusammen auf einem sinkenden Schiff befinden, werden wir auch in der Lage sein, die Rettungsboote untereinander angemessen aufzuteilen.
„Konflikt zwischen Freiheit und Gesundheit“
Das mag naiv klingen, ist aber Tatsache. Vor allem ist es ein beruhigender Gedanke in ungewissen Zeiten. Wären da bloß nicht die Trumps oder die Patricks. Wären da nicht Menschen wie der Managementberater Reinhard K. Sprenger, der im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin „Capital“ kritisiert, dass die Regierung in der Corona-Krise zu sehr auf die Virologen höre und Folgeschäden der Shutdown-Politik vernachlässige. Langfristig könne dies zu mehr Toten führen, malt Sprenger den kapitalistischen Teufel an die Wand.
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Sprenger hält es für eine Alternative, nur Risikogruppen massiv in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken – „Menschen meines Alters beispielsweise“ – und den Rest „auf eine kluge und geregelte Weise durchseuchen zu lassen“. Man müsse „den Konflikt zulassen zwischen Freiheit und Gesundheit, zwischen dem Überleben der Alten und der Zukunft der Jungen“. So zynisch muss man erst einmal argumentieren können.
„Unser gesamtes System ist angewiesen auf Menschen, die arbeiten, Unternehmen, die produzieren – auf Steuern, die gezahlt werden“, sagt Sprenger, und es scheint, als wolle die Generation der Boomer dieses System um jeden Preis für ihre Kinder und Enkel, um die sie sich angeblich so sorgen, erhalten.
Apokalyptische Analysen der Situation
Dass sie mit ihren apokalyptischen Analysen der Situation bei der betroffenen Gruppe der jüngeren Bevölkerung nur umso mehr Stress verursachen in Tagen, in denen es eigentlich so wichtig wäre, die Hand am Ruhepuls zu haben, schert sie nicht.
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Denn grundsätzlich stimmt zwar: Die Lösung darf nicht schlimmer sein als das Problem. Aber die Sorge vor finanziellen Folgen, vor einem Zusammenbruch der Wirtschaft, die Sorge davor, dass sich das Rad irgendwann auch einmal langsamer drehen könnte, hat uns doch überhaupt erst das Problem beschert.
Also darf die Lösung zwar nicht schlimmer sein als das Problem. Aber sie darf auch nicht vorschnell erzwungen werden, und sie darf niemals auf Kosten der Gesundheit erfolgen, solange wir uns im Kampf gegen die Ausbreitung eines neuartigen, längst nicht ausreichend erforschten Virus befinden. Sonst erledigt sich das Problem nämlich irgendwann von alleine. Aber ganz sicher nicht so, wie Sprenger oder Patrick oder Trump sich das vorstellen.
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