Gesundheit

Phänomen Corona-Fatigue: Immer mehr Covid-Genesene leiden unter Extrem-Müdigkeit

Corona überstanden zu haben bedeutet nicht immer, wieder fit zu sein. Neben weiteren Langzeitschäden klagen viele Patienten über extreme Erschöpfung und Müdigkeit. Verschwindet diese nicht wieder, kann dahinter eine schwere Folgeerkrankung stecken.

Erkrankt jemand an Covid-19, leidet nicht nur seine Lunge. Das gilt sowohl während der Infektion, als auch danach. Neben Schäden in den Gefäßen zählen auch Müdigkeit und Erschöpfung zu den häufigen Spätfolgen einer Sars-CoV-2-Infektion.

Ein Wissenschaftsteam um Liam Townsend vom Trinity College in der irischen Hauptstadt Dublin untersuchte im Rahmen einer kleinen Studie 128 Patienten, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden hatten. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Teilnehmer, 67 Personen fühlten sich auch Wochen nach der Genesung noch abgeschlagen.

Im Durchschnitt waren die Patienten fünfzig Jahre alt, sie waren etwa zehn Wochen nach ihrer Genesung befragt worden. Ein Zusammenhang mit der Schwere der Erkrankung war nicht erkennbar, wie das Forscherteam im Vorfeld einer Konferenz zu Corona-Themen mitteilte. Auch Zusammenhänge etwa mit Entzündungswerten im Blut schlossen die Experten aus.

Einen Unterschied machten sie jedoch beim Geschlecht aus: 67 Prozent aller Teilnehmer mit Ermüdungssymptomen waren weiblich. Außerdem häufiger betroffen waren Menschen, bei denen bereits vor der Erkrankung Angstzustände oder Depressionen diagnostiziert worden waren. Von den 67 Personen war das bei neun der Fall. Von den 61 Teilnehmern, die keine andauernde Abgeschlagenheit bemerkt hatten, hatte nur einer bereits vorher eine psychische Störung.

Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Wissenschaftler auf dem prePrint-Server „medRxiv“. Im Rahmen der Corona-Konferenz der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases wollen sie die Studienergebnisse offiziell vorstellen.

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Extreme Müdigkeit und Erschöpfung – noch Monate nach der Infektion

In den vergangenen Monaten gab es weitere Forschungsergebnisse, die extreme Müdigkeit als Corona-Spätfolge identifizierten. So hatten etwa italienische Forscher anhaltende Krankheitsanzeichen bei Ex-Corona-Patienten untersucht und ihre Ergebnisse im Fachblatt „JAMA Network“ veröffentlicht. Von 143 befragten und zuvor stationär im Krankenhaus behandelten Probanden klagten 125, also mehr als 87 Prozent auch zwei Monate nach der eigentlich überstandenen Infektion noch über Krankheitszeichen.

Neben Atemnot, Gelenk- und Brustschmerzen sowie Durchfall nannten sie am häufigsten anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung. Diese habe sich bei 53,1 Prozent der Teilnehmer nach dem scheinbar vollständigen Abklingen der Corona-Symptome bemerkbar gemacht, sei dann aber nicht mehr verschwunden. Von Ärzten wird Erschöpfung als „Fatigue“ bezeichnet.

Das ist laut Immunologin Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité jedoch nicht ungewöhnlich. „Oft ist es so, dass das Immunsystem durch die Infektion erst massiv hochfährt – und der Körper es danach nicht mehr schafft, es wieder auf ein Normalmaß zurück zu schrauben“, erklärt die Leiterin des Fatigue Centrums der Uniklinik. Häufig reguliere sich das aber mit der Zeit von selbst, nach zwei bis drei Monaten gehe es den meisten Patienten wieder gut.

Carmen Scheibenbogen ist habilitierte Immunologin und leitet das Fatigue Centrum an der Berliner Charité. Das Zentrum gilt deutschlandweit als führend, was das Chronische Fatigue Syndrom angeht.

Schwere Folgeerkrankung: Chronisches Fatigue Syndrom

Halte die Fatigue stattdessen länger an und kämen außerdem weitere Symptome hinzu, könne sich daraus jedoch ein Chronisches Fatigue Syndrom entwickeln, kurz CFS. Dieses habe mit bloßer Müdigkeit jedoch nur noch wenig zu tun, die Diagnose könne erst nach sechs Monaten gestellt werden.

„CFS-Patienten sind oft schwerstkrank, können nur noch liegen“, erklärt die Expertin. Viele litten unter starken Muskel- und Kopfschmerzen, außerdem an Konzentrationsstörungen.

Unter dem weitgehend unbekannten Chronischen Fatigue Syndrom, oder auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt, leiden Schätzungen zufolge bis zu 400.000 Menschen in Deutschland. Trotzdem sind die Krankheit und seine Symptome weitgehend unbekannt. Anlaufstellen und Informationen finden Betroffene beim Berliner Fatigue Centrum und dem Bundesverband Chronisches Erschöpfungssyndrom.

Fatigue-Patienten würden dadurch schon durch einfache Haushaltstätigkeiten gefordert, klagten danach tage- oder wochenlang über starke Beschwerden. Im sozialen Umfeld fehle dafür häufig Verständnis, die Symptome werden bagatellisiert und könnten nicht nachvollzogen werden. Für Scheibenbogen zählt die Krankheit damit zu den schwersten, die es überhaupt gibt.

Frauen sind stärker betroffen

Die genauen Zusammenhänge des Syndroms sind laut der Medizinerin noch nicht erforscht. In der Vergangenheit habe man die Krankheit häufig mit Burnout oder Depression verglichen – auch wenn es sich organisch um ganz anders gelagerte Krankheiten handle. Man gehe davon aus, dass CFS eine Autoimmunkrankheit sei, die in der Regel nach einer Virusinfektion auftrete und die Feinsteuerung im Körper aus dem Lot bringe.

Ihre Erfahrungen stützen die Ergebnisse der irischen Wissenschaftler. Aufgrund ihrer Hormone haben Frauen laut Scheibenbogen ein erhöhtes Risiko. Das Immunsystem sei zwar tendenziell aktiver als bei Männern, gleichzeitig aber anfälliger für Störimpulse.

Auch dass die Schwere des Covid-19-Verlaufs nicht zwingend einen Hinweis auf eine mögliche, postvirale Fatigue gibt, bestätigt Scheibenbogen. Bei ihren Patienten handele es sich nicht nur um Menschen, die auf der Intensivstation beatmet werden mussten.

Stattdessen habe sie auch schon junge und fitte Patienten unter 30 Jahren behandelt. Personen, die vor der Infektion gesund und Vollzeit tätig waren – jetzt aber so krank seien, dass sie nicht mehr arbeiten könnten.

Betroffene sollten nach sechs Monaten zum Arzt gehen

Bislang sind die Therapiemöglichkeiten begrenzt. Da es laut Scheibenbogen am Verständnis der Mechanismen mangelt, die hinter der Krankheit stecken, fehlen auch gezielte Behandlungsmöglichkeiten. Stattdessen könnten Medikamente lediglich Schmerzen und Schlafstörungen lindern, ebenso seien gezielte Ruhephasen förderlich für Körper und Psyche.

Die Medizinerin betont jedoch, dass sich jemand, der nach einer durchgemachten Corona-Infektion weiterhin unter Erschöpfung und Müdigkeit leide, zunächst keine allzu großen Sorgen machen müsse. Erst nach einem halben Jahr sollten sich Betroffene durchchecken und, sofern es keinen anderen organischen Grund gebe, auf CFS untersuchen lassen.

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