Persönliche Gesundheit

Vorsorge rettet Leben – und bei Darmkrebs sollte sich jeder drei Fragen stellen

Mit Darmkrebs möchte niemand etwas zu tun haben. Doch Vorsorge rettet Leben. Darum setzt sich Christa Maar dafür leidenschaftlich ein. Im Interview erklärt sie, welche Fragen sich jeder stellen sollte und worauf besonders junge Menschen achten sollten.

Mehr als 24.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich an Darmkrebs. Die gute Nachricht: Rechtzeitig erkannt, ist die Erkrankung heilbar. Seit die Darmspiegelung zur Vorsorge 2002 eingeführt wurde, konnten rund 140.000 Todesfälle und 290.000 Neuerkrankungen verhindert werden.

Gerade Männer gelten als Vorsorgemuffel. Eine Befragung zeigte: 80 Prozent der Deutschen kennen die Angebote der Krankenkassen zur Krebsfrüherkennung. Aber nur etwa 67 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer nehmen sie in Anspruch (RKI/ Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016).

Trotzdem: Es sei schon besser geworden, sagt Christa Maar. Sie rief 2001 die Felix Burda Stiftung ins Leben. Denn ihr Sohn erkrankte im Alter von 31 Jahren an Darmkrebs. Felix hat diese Krankheit nur zwei Jahre überlebt. Damals hätte die Familie viel zu wenig über Darmkrebs, familiäre Risiken und Möglichkeiten der Vorsorge gewusst.

Heute geht das immer noch vielen Menschen in Deutschland so. FOCUS Online Christa Maar kämpft für perfekte Vorsorge: Denn dann ist Darmkrebs heilbar.

FOCUS Online: Frau Maar, der Angst vor der Vorsorge haben Sie für die aktuelle Kampagne einen neuen Namen gegeben, nämlich „Präventiophobie“. Was steckt dahinter?

Christa Maar: Eine Reihe von Befragungen hat uns gezeigt: Die Menschen haben zum einen keine Vorstellung davon, was Prävention bedeutet. Sie wissen nicht, dass es darum geht, die Untersuchung zu machen, wenn sie keine Beschwerden haben. Viele denken, ich muss erst dann zum Arzt gehen, wenn ich spüre, dass mit meinem Darm etwas nicht in Ordnung ist. Der Krebs macht aber über lange Zeit gar keine Beschwerden. Und wenn man ihn spürt, ist er oft bereits weit fortgeschritten.

Auch die Angst vor der Darmspiegelung ist für Viele nach wie vor ein Grund, sie nicht zu machen. Diese Ängste greifen wir mit unserer Kampagne auf: „Präventiophobie – Wenn die Angst vor der Darmkrebsvorsorge größer ist als die Angst vor dem Krebs“, dann riskiert man möglicherweise, dass ein Krebs erst spät – und oft zu spät – erkannt wird.

FOCUS Online: Die gute Nachricht ist ja: In nur 1 Prozent der Vorsorge-Darmspiegelungen wird tatsächlich Krebs diagnostiziert. Fakten sind das eine. Doch oft hindern die Emotionen die Menschen daran, zur Vorsorge zu gehen. Wie kann man sie anders abholen?

Maar: Emotional gelingt es vermutlich am besten über Fallgeschichten. Wenn Betroffene erzählen, dass sie schon mit 20 oder 30 Jahren Darmkrebs bekommen haben, kann das Menschen zum Nachdenken bringen, ob sie sich nicht doch für die Untersuchung entscheiden sollen.

Besonders junge Menschen, die an Darmkrebs erkrankt sind, erstaunen mich immer wieder. Trotz ihren oft nicht unerheblichen gesundheitlichen Einschränkungen finden sie immer noch die Kraft, sich um andere Erkrankte zu kümmern. Aus diesem Grund zeichnen wir jedes Jahr eine Frau oder einen Mann, die an Darmkrebs erkrankt sind, mit dem „Ehrenfelix“ aus.

Bisher ging man immer davon aus, wer in jungen Jahren erkrankt, müsse ein familiäres Risiko für Darmkrebs haben. Bei den meisten Betroffenen ist dies aber nicht der Fall.

Es ist bislang ungeklärt, warum die Zahl der jungen Betroffenen dauernd ansteigt – zwar nicht rasant, aber kontinuierlich. Das ist vor allem in Ländern mit westlichem Lebensstil der Fall. Die Wissenschaftler in den USA, die dieses Phänomen schon länger beobachten, gehen gegenwärtig davon aus, es habe mit Übergewicht, Mangel an Bewegung und Junk Food zu tun. Das sagt aber noch nichts darüber aus, was dadurch im Körper passiert.

Hier zu neuen Erkenntnissen zu kommen, ist für mich ein wichtiges Ziel in der Nationalen Dekade gegen Krebs.

FOCUS Online: Glauben Sie denn, dass es die Lebensstilfaktoren sind?

Maar: Die Lebensstilfaktoren gehören natürlich auf jeden Fall dazu. Aber diese können Sie ja nur abfragen. Es lässt sich kaum überprüfen, wie wahrheitsgetreu die Studienteilnehmer solche Fragen beantworten. Deshalb müssen wir uns genauer anschauen, was im Körper vorgeht und welches die auslösenden Faktoren sind. Eine große Bedeutung könnten dabei das Darmmikrobiom und seine bakterielle Zusammensetzung haben.

Die Diagnose Darmkrebs bedeutet für Betroffene nicht nur einen emotionalen Einbruch, sondern oft auch einen finanziellen. Wer Patienten unterstützen möchte, kann an folgendes Konto spenden:

Felix Burda Stiftung
IBAN: DE35 6808 0030 0730 0323 01
BIC: DRESDEFF680
Commerzbank Offenburg
Stichwort: „patientenhilfe darmkrebs“

Weitere Informationen finden Sie unter diesem Link. Die Felix Burda Stiftung mit Sitz in München wurde 2001 von Dr. Christa Maar und Verleger Prof. Dr. Hubert Burda gegründet und trägt den Namen ihres 2001 an Darmkrebs verstorbenen Sohnes.

Die Stiftung widmet sich ausschließlich der Prävention von Darmkrebs und ist heute eine der bekanntesten, gemeinnützigen Institutionen in der deutschen Health Community.

FOCUS Online: Welche Ziele verfolgen Sie noch mit der Dekade gegen Krebs?

Maar: Ich bin zusammen mit Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) für die Arbeitsgruppe Prävention zuständig. Wir haben uns vorgenommen, in Deutschland die Ursachenforschung für Darmkrebs bei jungen Menschen voranzubringen. Ziel ist es, Methoden zu entwickeln, mit denen sich ein erhöhtes Risiko für diese Erkrankung frühzeitig voraussagen lässt und dementsprechend personalisierte Vorsorgeempfehlungen gegeben werden können. Ähnliches gilt natürlich auch für andere Krebserkrankungen und hier insbesondere für die besonders häufigen wie Lungen-, Brust- und Prostatakrebs. Ziel muss die Entwicklung von Risikoprädiktionsmodellen sein, die eine personalisierte Vorsorge und Früherkennung erlauben. 

Aktuell funktioniert beispielsweise die Darmkrebsprävention nach dem Muster Mann/ Frau und Alter: alle Männer ab 50 zur Vorsorgedarmspiegelung, Frauen hingegen erst ab 55, weil sie im Schnitt fünf Jahre später erkranken. Bei solchen Einheitsprogrammen liegt es auf der Hand, dass dadurch viele Menschen untersucht werden, die nie an diesem Krebs erkranken werden. Weitaus sinnvoller wäre es, wenn wir vorhersagen könnten, wer ein erhöhtes Risiko hat und sich dementsprechend präventiv untersuchen lassen sollte. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft der personalisierten Krebsprävention gehört. Ein Ziel der Nationalen Dekade ist es, hieran mitzuwirken.

FOCUS Online: Viele haben zwar Angst vor der Untersuchung, viel mehr aber noch vor dem Ergebnis. Was lässt sich gegen die „Ich will es lieber gar nicht wissen“-Mentalität tun?

Maar: Diese Menschen haben offensichtlich trotz aller Aufklärung noch immer nicht begriffen, dass ein Krebs besser therapiert werden kann, je früher er erkannt wird. Bei Darmkrebs kann man sogar dem Entstehen von Krebs zuvorkommen, indem bei der Darmspiegelung bereits gutartige Vorstufen von Krebs erkannt und entfernt werden können und damit verhindert wird, dass daraus später Krebstumoren werden.

FOCUS Online: Rechtzeitig erkannt, ist Darmkrebs heilbar. Was sollte jeder über die Darmspiegelung wissen?

Maar: Wichtig zu wissen ist, dass es eine Untersuchung ist, bei der es nicht darum geht, Krebs zu finden, sondern gutartige Vorstufen. Erkennt der Arzt bei der Untersuchung Polypen, kann er sie noch während der Untersuchung entfernen.

Von der Untersuchung selbst bekommt man nichts mit, weil man sie dank einer Kurzschlafspritze verschläft. Der unangenehmere Teil ist die Vorbereitung, mit der man seinen Darm sauber spülen muss. Da der Arzt bei der Untersuchung Unregelmäßigkeiten sonst nicht erkennen kann. Doch all das wird mehrheitlich belohnt mit der Erkenntnis: Ich kann weiter darmkrebsfrei leben. 

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FOCUS Online: Welche drei Fragen sollte sich jeder zu seiner Darmgesundheit stellen?

Maar: Erstens sollte sich jeder fragen: Gibt es in meiner Familie Darmkrebs? Wer hat oder hatte den Krebs, in welchem Alter wurde er diagnostiziert und in welchem Verwandtschaftsgrad stehen die oder der Betroffene zu mir? Wenn es mehrere nahe Verwandte mit Darmkrebs gibt und der Krebs bereits im Alter vor 50 aufgetreten ist, hat man selbst möglicherweise ein stark erhöhtes Risiko für diesen Krebs. Mit diesem Wissen geht man zum Arzt, der darüber informiert, was als nächstes zu tun ist und möglicherweise zur baldigen Vorsorgedarmspiegelung raten wird.

Bis vor einigen Jahren war die Frage nach dem familiären Risiko für Darmkrebs nahezu unbekannt. Wie mir Rückmeldungen zeigen, hat sich dies inzwischen insoweit geändert, als Söhne und Töchter von Eltern, die an Darmkrebs erkrankt sind, heute eher begreifen, dass die Erkrankung der Eltern auch Auswirkungen sie als Kinder hat.

Die zweite Frage betrifft in diesem Zusammenhang oft die nach dem Anspruch auf die Bezahlung einer vorgezogenen Darmspiegelung, wenn ich familiär belastet bin. Ein gesetzlicher Anspruch auf Bezahlung besteht gegenwärtig nicht, doch erstattet die Mehrheit der gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Untersuchung.

Und drittens sollte man sich unabhängig vom familiären Risiko  fragen, ob man andere Risikofaktoren hat, die das persönliche Risiko für Darmkrebs erhöhen. Dazu gehören Rauchen, Übergewicht, Diabetes und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.

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FOCUS Online: Wofür sollten besonders junge Menschen sensibel sein?

Maar: Immer, wenn Sie Blut im Stuhl bemerken. Der Hausarzt tippt oft als erstes auf  Hämorrhoiden, verschreibt eine Salbe und empfiehlt, in einem halben Jahr wiederzukommen. Zu diesem Zeitpunkt ist ein vorhandener Krebs dann weiter gewachsen und kann vielleicht nicht mehr geheilt werden. Deshalb sollten junge Menschen mit Blut im Stuhl sich nicht mit der Diagnose Hämorrhoiden zufrieden geben, sondern sich zur Abklärung der Ursache zur Koloskopie überweisen lassen.

FOCUS Online: Inzwischen kommt eine Einladung zum Darmkrebs-Screening für ab 50-Jährige per Post. Was hat das neu eingeführte System gebracht?

Maar: Darüber wissen wir leider gegenwärtig nichts. Es gibt keine Zahlen. Die Dokumentation wurde Anfang Dezember auf unbestimmte Zeit ausgesetzt, weil keine „zuverlässige, geprüfte und damit ausreichend funktionale Software für die Dokumentation der Früherkennungsuntersuchung von Darmkrebs“ zur Verfügung stehe. Ich kann nicht verstehen, wie man ein so wichtiges Screening Programm ohne Dokumentation implementieren kann.

FOCUS Online: Von welchen Ländern können wir etwas lernen?

Maar: Die Niederlande sind ein positives Beispiel. Hier bekommen die Menschen den immunologischen Stuhltest mit dem Einladungsschreiben nach Hause geschickt. Dabei liegt ein frankierter Rückumschlag, um den Test ans Labor zu schicken. Jahr für Jahr machen 70 Prozent der Eingeladenen den Test. Dem zeitaufwändigen deutschen Verfahren wird eine Teilnahmequote um die 20 Prozent vorausgesagt.

FOCUS Online: Warum scheuen immer noch so viele Menschen den Stuhltest als ersten Schritt?

Maar: Wer den Stuhltest machen will, für den ist das ein ziemlich zeitaufwändiger Vorgang: Ich muss zum Arzt gehen, um mir den Test zu holen, möglicherweise eine Wartezeit mit einkalkulieren, und wenn ich den Test gemacht habe, ihn auch wieder zeitnah zum Arzt zurückbringen. Ich kann jeden verstehen, der sagt, dass der zeitliche Aufwand  sich nicht so einfach in seinen Alltag integrieren lässt.

FOCUS Online: Wann waren Sie selbst zuletzt bei der Darmkrebsvorsorge?

Maar: Vor fünf Jahren. Ich habe eine Kapselendoskopie gemacht, das ist eine relativ neue Methode, die Darmkrebs und Polypen so genau erkennt wie die Darmspiegelung. Man schluckt eine Video-Kapsel und kann auf dem umgehängten kleinen Monitor genau verfolgen, wo sich die Kamera gegenwärtig befindet und was sie sieht. Leider ist das Verfahren für den Arzt insofern nicht stressfrei, als er im Anschluss hunderte Bilder auf mögliche Befunde durchsehen muss. Hier könnte in Zukunft ein intelligentes KI-Programm helfen. Was sich auch mit einer derart innovativen Methode nicht verhindern lässt, ist die Vorbereitung, denn natürlich muss der Darm sauber gespült sein. Es war auf jeden Fall ein interessantes Erlebnis, diese Video-Reise durch den eigenen Darm. Und am Ende die Gewissheit zu haben: Es ist alles in Ordnung. FOC

Die neue Kampagne der Burda-Stiftung – Präventiophobie

Anmerkung: FOCUS Online gehört wie die Felix Burda Stiftung zu Hubert Burda Media.

Darmkrebs vorbeugen: Mediziner erklärt, wie Sie frühzeitig richtig vorsorgen

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