COVID-19: Protektiver Effekt durch frühere Corona-Infektion
Viele Menschen, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren erkranken nur leicht an COVID-19 oder haben gar keine Symptome. Ein Grund, warum es zu leichten Krankheitsverläufen kommt, könnte eine frühere Infektion mit einem saisonalen Coronavirus sein.
Forschende der Universitätsmedizin Münster konnten in zwei Studien einen Zusammenhang von Infektionen mit einem saisonalen Coronavirus und einem milden Verlauf von SARS-CoV-2-Infektionen belegen. Demnach treten bei einer früheren Ansteckung mit dem saisonalen Coronavirus OC43 schwere Krankheitsverläufe bei COVID-19 seltener auf.
Global zirkulierende humane Coronaviren
Nach aktuellen Erkenntnissen eines Forschungsteams der Medizinischen Fakultät der Universität Münster (WWU) am Universitätsklinikum Münster (UKM) hat eine frühere Infektion mit dem saisonalen Coronavirus OC43 einen protektiven Effekt.
Laut einer Mitteilung zeigen zwei Studien der Arbeitsgruppe, dass vorausgegangene Infektionen mit diesem der vier bereits vor der Pandemie global zirkulierenden humanen Coronaviren (HCoV-229E, HCoV-NL63, HCoV-HKU1 und HCoV-OC43), die meist nur saisonale, harmlose Infekte der oberen Atemwege auslösen, vor einem schweren Verlauf von COVID-19 schützen können.
„Unsere daraus abgeleitete Empfehlung ist, dass OC43-Antikörper bei stationär aufgenommenen COVID-19-Patienten gemessen und als Teil der Risikobewertung betrachtet werden“, so Prof. Hartmut Schmidt, Direktor der Medizinischen Klinik B (Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie, Klinische Infektiologie) am UKM.
Wichtiger Baustein in der Therapie
Die COVID-19-Pilotstudie aus Münster mit 60 Patientinnen und Patienten zur Bedeutung von früheren Infektionen mit saisonalen Coronaviren auf den Krankheitsverlauf wurde in der Fachzeitschrift „International Journal of Infectious Diseases“ veröffentlicht.
Die Ergebnisse konnten jetzt in einer Multicenter-Validierungsstudie mit knapp 300 Patientinnen und Patienten aus Deutschland und Frankreich bestätigt werden, die im Fachmagazin „Journal of Clinical Virology“ publiziert wurde.
Diese Ergebnisse stellen einen Ausgangspunkt für weitere Studien dar und könnten zu einem wichtigen Baustein in der Therapie von COVID-19-Erkrankten werden.
Auch das Geschlecht spielt eine erhebliche Rolle
„Patienten haben bereits ab 40 Jahren ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf, insbesondere Männer“, sagt Prof. Martin Dugas, Direktor des Instituts für Medizinische Informatik der WWU Münster.
„Beide Studien belegen, dass im Vergleich zu anderen COVID-19-Patienten vor allem jene Patienten kritisch erkrankten, bei denen sich keine Antikörper gegen das sogenannte Nukleokapsid-Protein von HCoV OC43 nachweisen ließen“, erklärt der Experte.
Neben einer vorausgegangenen Infektion spielen zudem der Zeitpunkt ab dem 40. Lebensjahr sowie das Geschlecht eine erhebliche Rolle. In der Pilotstudie waren 17 der 19 Erkrankten mit Intensivtherapie Männer im Alter von 50 bis 65 Jahren.
„Wir haben auch in der Folgestudie keine signifikanten Unterschiede im Krankheitsverlauf feststellen können, unabhängig davon, ob die Patienten 40, 60 oder 80 Jahre alt waren, sofern keine schweren Vorerkrankungen vorlagen. Patienten in der zweiten Lebenshälfte, insbesondere Männer ohne OC43-Antikörper, hatten generell ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf“, erläutert Dugas.
Der Wissenschaftler fordert mit Blick auf die Daten, „die aktuelle Impfstrategie auf Personen ab 40 Jahren auszurichten“. Insgesamt waren etwa 20 Prozent der untersuchten Patientinnen und Patienten OC43-Antikörper negativ.
Bestimmung der Antikörper
Aufgrund der Erkenntnisse plädieren die Forschenden außerdem dafür, sich bei COVID-19-Patientinnen und -Patienten bei der Risikobewertung nicht rein auf ein fortgeschrittenes Alter und Vorerkrankungen zu stützen.
„Mit der zusätzlichen Bestimmung der Antikörper haben wir in der Pandemie einen weiteren Baustein, um diese sehr komplexe Erkrankung COVID-19 zu verstehen“, so Prof. Joachim Kühn, Ärztlicher Leiter der Klinischen Virologie am UKM. Die Testung auf OC43-Antikörper sei laut dem Experten mittels eines preiswerten kommerziellen Testes zuverlässig möglich.
„Mit einer Blutprobe können wir innerhalb kurzer Zeit ein Ergebnis liefern“, sagt Kühn. „Damit ist es kein Problem, diesen Parameter bei allen stationär aufgenommenen Patienten zu erheben.“
Neue Therapiemöglichkeiten nutzen
Am UKM erfolgt das bereits seit März für alle COVID-19-Erkrankten, um diese je nach Ergebnis sehr engmaschig zu überwachen. „Wir haben mit der Testung erstmalig eine Screeningmöglichkeit, aus der wir eine Prognose für den Krankheitsverlauf ableiten und neue Therapiemöglichkeiten bei COVID-19 für diejenigen Patienten nutzen können, die sie am meisten benötigen“, erklärt Prof. Hartmut Schmidt. „Diese Chance sollten wir nutzen.“
Die Idee, vorangegangenen Infektionen auf den Grund zu gehen, stammt unter anderem aus den Ergebnissen der im Frühjahr 2020 initiierten Coronaplasma-Studie des UKM mit 4.010 Teilnehmenden aus ganz Deutschland.
„Unter den Personen mit mildem COVID-Verlauf hatten sehr viele Kontakt zu Kindern unter zehn Jahren“, erläutert Studienleiter Schmidt. Daraus sei die Hypothese entstanden, dass eine sogenannte childhood-related infection, also beispielsweise eine Erkältung, die Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen von Kindern weitergegeben bekommen, einen protektiven Effekt gegen COVID-19 haben kann.
Die Ergebnisse dieser Befragung wurden bereits im vergangenen Jahr publiziert, ebenfalls im „International Journal of Infectious Diseases“. (ad)
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